Sonntag9. November 2025

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AnalyseWarum die EU in der Belarus-Krise einen langen Atem benötigt

Analyse / Warum die EU in der Belarus-Krise einen langen Atem benötigt
Solidaritätskundgebung in Warschau: Lukaschenko hat schon länger jedes Augenmaß verloren Foto: AFP/Wojtek Radwanski

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Was Lukaschenkos Flugzeug-Entführung die europäische Politik über autoritäre Herrscher in ihrer östlichen Nachbarschaft lehrt.

An die Bilder aus Belarus vom vergangenen Sommer erinnert man sich noch gut: Abertausende Menschen versammelten sich auf Plätzen, um der Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja zuzuhören, die umringt von ihren beiden Mitstreiterinnen auf der Bühne stand. Es waren Tage voller Hoffnung: Hoffnung auf einen friedlichen Wandel in dem osteuropäischen Land nach mehr als zwei Jahrzehnten bleierner Lukaschenko-Ära. Doch dann folgte der von schweren Wahlfälschungen begleitete Urnengang, dessen Sieg Alexander Lukaschenko selbstherrlich beanspruchte. Demos und kreative Proteste breiter Bevölkerungsschichten wollten wochenlang nicht abklingen. Doch das Regime war stärker: Die Bewegung wurde niedergeschlagen, viele Aktive landeten im Gefängnis oder waren zur Emigration gezwungen.

Was voller Zuversicht begann, endete bitter. Lukaschenkos Regime hat eine gewaltige Repressionswelle losgetreten. Jede öffentliche Meinungsäußerung ist zum Risiko für Leib und Leben geworden.

„Staatsterrorist“ wird niemand leichtfertig genannt

Lukaschenkos Regime hat sich stabilisiert, indem es mit bürokratischer Willkür und offener Gewalt gegen jeden Dissens vorging. Die europäische Öffentlichkeit hat dem Treiben des Machthabers zuletzt nicht mehr besonders viel Aufmerksamkeit gezollt. Doch mit seiner illegalen und gefährlichen Entführungs-Aktion hat Lukaschenko erneut auf sein krudes Herrschafts-Verständnis aufmerksam gemacht. „Staatsterrorist“ ist kein Etikett, das leichtfertig vergeben wird.

Der Fall Ryanair zeigt eindrücklich, dass das Lukaschenko-Regime nicht nur eine Sicherheitsbedrohung für die belarussischen Bürger ist, sondern auch eine Gefahr für die internationale Sicherheit. Das betrifft nicht nur die internationale Luftfahrt. Mit seiner rabiaten Aktion sendet Minsk auch eine Message an seine Bürger im Ausland: Ihr seid selbst in der Europäischen Union nicht sicher. Es ist nicht auszuschließen, dass Regimekritiker und Emigranten im Ausland Opfer (bela-)russischer Agenten werden.

Zudem illustriert der Fall, dass der relative „Erfolg“ der staatlichen Repression nicht bedeutet, dass sich das Regime stabilisiert und die Lage nachhaltig beruhigt hat. Sicher, manche Vertreter aus Politik und Wirtschaft würden gern wieder zurück zur Normalität. Doch der aktuelle Fall zeigt, dass das ein Irrglaube ist: Es gibt keine Normalität in Belarus. Lukaschenko hat schon länger jedes Augenmaß verloren. In seinem Bestreben, sein Herrschaftssystem gegen mutmaßliche Angriffe von inneren und äußeren Feinden abzusichern, ist er zu einem Tyrannen geworden.

Maßlosigkeit bei der Wahl der Mittel

Die Maßlosigkeit bei der Wahl seiner Mittel ist der (kurzfristige) Vorteil des Diktators. Sie stellt die EU und andere internationale Player vor große Herausforderungen. Je härter die internationale Konfrontation wird, desto mehr wird das Land zur Grauzone, in der der Autokrat waltet, wie es ihm beliebt. Doch angesichts des beispiellosen Vorfalls bleibt es den Europäern nicht erspart, Stellung zu beziehen. Der Diktator in der europäischen Nachbarschaft zwingt die EU zum Handeln. Sie sollte möglichst entschlossen, effizient und einig vorgehen.

Neue Sanktionen würden die Verantwortlichen des Skandals bestrafen und das Regime politisch und wirtschaftlich weiter schwächen. Zudem würde die EU damit zeigen, dass sie die Bürger des osteuropäischen Landes nicht vergessen hat. Ein längerfristiges Ziel müsste es sein, den Preis der russischen Unterstützung für Belarus in die Höhe zu treiben.

Denn die Krux an der Belarus-Krise ist, dass Moskau Minsk die Treue hält – und jede EU-Maßnahme mit einem demonstrativen Schulterschluss gekontert wird. Dass sich Moskau für solche Gesten nicht zu schade ist, zeigt, dass die dortigen Akteure ihrem Verbündeten in ihrer moralischen Verwahrlosung kaum nachstehen. Die EU hat begrenzte Mittel zur Verfügung, um dem Diktatoren-Spuk an ihrer Außengrenze (und weiter östlich) etwas entgegenzusetzen. Auf ein schnelles Finale kann sie nicht hoffen. Eine Eigenschaft könnte man sich von Moskau und Minsk jedoch abschauen: Ausdauer.

Die Flugzeugentführung nach Minsk

In Belarus hat Machthaber Lukaschenko am Sonntag ein Passagierflugzeug zur Landung gezwungen und einen seiner Gegner festnehmen lassen. Die Behörden der autoritär regierten Republik hatten ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mithilfe eines Kampfjets zur Landung in Minsk gebracht – angeblich wegen einer Bombendrohung. Nach EU-Angaben waren 171 Menschen an Bord, darunter Blogger Roman Protassewitsch. Letzterer gehört zu den Mitbegründern des regierungskritischen Nachrichtenkanals Nexta. Die Behörden in Belarus stufen Nexta als extremistisch ein. Der Kanal hatte im vergangenen Jahr nach der Wahl immer wieder zu den Massenprotesten gegen Machthaber Alexander Lukaschenko aufgerufen. Die meisten übrigen Passagiere reisten nach stundenlanger Verzögerung weiter nach Vilnius.

Europäer
25. Mai 2021 - 16.55

Sollte sich die EU nicht endlich einmal um ihre eigenen Bürger kümmern anstatt dauernd von deren Problemen abzulenken um sich besserwissend in Angelegenheiten anderer Länder zu mischen.