Vor dem Hintergrund wachsender Spannungen mit China plant die EU ein neues Freihandelsabkommen mit Indien. Man wolle eine der größten Freihandelszonen der Welt schaffen, erklärten die 27 Staats- und Regierungschefs der EU nach einer Videokonferenz mit Indiens Premierminister Narendra Modi am Samstag in Porto (Portugal). Außerdem sind Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen und den Schutz von Herkunftsbezeichnungen für Lebensmittel geplant.
In der vergangenen Woche war ein Investitionsabkommen mit China geplatzt. Die EU hat den von Kanzlerin Angela Merkel vermittelten Deal auf Eis gelegt, nachdem sich Brüssel und Peking wechselseitig mit Sanktionen belegt hatten. Umso größer sind nun die Erwartungen an Indien. Der Subkontinent wird von der EU als Gegengewicht gegen ein zunehmend selbstbewusstes China betrachtet.
Allerdings ist die Ausgangslage düster. Indien leidet mehr als jedes andere Land unter der Corona-Pandemie. Viele Inder geben Modi die Schuld an der humanitären Katastrophe mit täglich tausenden Toten. Die „Apotheke der Welt“ ist dringend auf Hilfe von außen angewiesen; selbst bei der Impfstoff-Produktion gibt es Probleme. Indien fordert daher die Aufhebung der Impfstoff-Patente.
Doch die EU stellte sich auf ihrem zweitägigen Gipfeltreffen gegen entsprechende Forderungen, die auch von den USA unterstützt werden. Die Europäer setzen auf den Export ihrer Vakzine, die Inder hingegen auf die Eigenproduktion von sogenannten Generika – also Nachahmermedikamenten, die nach Ablauf des Patentschutzes günstiger auf den Markt kommen.
Probleme gibt es auch im Automobilsektor. Wer fertig montierte Pkw nach Indien einführt, zahlt dafür einen Aufschlag von 60 bis 100 Prozent des Neupreises. Die EU würde diese Hürde gern abschaffen. Indien sieht darin jedoch eine Gefahr für die heimische Produktion. Wegen der indischen Zölle waren die letzten Gespräche über ein Freihandelsabkommen 2013 ergebnislos abgebrochen worden.
Gewerkschaftsbund begrüßt neue Ziele
Auch jetzt überwiegt in Brüssel die Skepsis. Bis kurz vor dem Gipfel in Porto hatte die EU erwogen, Indien kein breit angelegtes Freihandelsabkommen anzubieten, sondern es eine Nummer kleiner zu versuchen. Letztlich gaben geopolitische Erwägungen den Ausschlag: Man möchte China etwas entgegensetzen. Peking hatte Ende 2020 mit 14 Asien-Pazifik-Staaten die größte Freihandelszone der Welt geschaffen.
Mehr Ehrgeiz versprachen die EU-Staaten auch bei ihrem Sozialgipfel, der der Runde mit Indien vorausging. Sie verständigten sich auf konkrete Ziele in den Bereichen Beschäftigung, Weiterbildung und Armutsbekämpfung bis zum Jahr 2030. Allerdings sind diese Ziele – darunter eine Beschäftigungsquote von mindestens 78 Prozent – nicht rechtlich bindend. Über ihre Einhaltung soll die EU-Kommission wachen.
Der Europäische Gewerkschaftsbund begrüßte die neuen Ziele. „Dies könnte der Beginn eines gerechteren Europas sein“, erklärte Generalsekretär Luca Visentini. Kritik kam dagegen aus dem Europaparlament. Merkel und einige andere EU-Chefs hätten die „Handbremse für ein soziales Europa“ gezogen, so die SPD-Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Der Gipfel habe gezeigt, dass es immer noch kein gemeinsames Verständnis von Sozialpolitik gebe.
De Maart
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