ÖsterreichNeuer Ibiza-Paukenschlag: Bundespräsident muss Finanzminister zur Herausgabe von Akten zwingen

Österreich / Neuer Ibiza-Paukenschlag: Bundespräsident muss Finanzminister zur Herausgabe von Akten zwingen
Alexander van der Bellen, Bundespräsident von Österreich, muss Minister an die Verfassung erinnern Foto: dpa/Georg Hochmuth

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Auch zwei Jahre nach dem Auffliegen schlägt der Ibiza-Skandal in Österreich immer wieder hohe Wellen. Jetzt musste der Bundespräsident in einem beispiellosen Schritt den Finanzminister zur Kooperation mit dem Untersuchungsausschuss zwingen.

Der Skandal um das 2017 heimlich auf Ibiza aufgezeichnete Video mit den Korruptionsfantasien des späteren FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache hat der Republik eine Serie politischer Premieren beschert: Erstmals wurde eine Regierung per Misstrauensvotum gestürzt, erstmals wurde mit der parteilosen Brigitte Bierlein eine Frau Bundeskanzlerin und erstmals kam es nach den Neuwahlen zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen. Und nun musste der wie keiner seiner Vorgänger als Krisenmanager geforderte Bundespräsident Alexander van der Bellen erneut etwas verkünden, „was es in dieser Form in unserem Land noch nicht gegeben hat“.

Der Verfassungsgerichtshof beantragte beim Staatsoberhaupt die Exekution eines Entscheides gegen einen amtierenden Minister. Konkret ging es um die Lieferung von Akten aus dem Finanzministerium an den parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss, die Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) partout nicht herausrücken wollte. Die Opposition zog deshalb geschlossen vor das Höchstgericht – und bekam Anfang März recht.

Höchstgericht ignoriert

Der Minister wurde dazu verpflichtet, die angeforderten Akten zu liefern, was den Vertrauten von Kanzler Sebastian Kurz nicht beeindruckte. Er ignorierte die Entscheidung der Verfassungsrichter mit dem Hinweis auf den Datenschutz und seine „Fürsorgepflicht“ für die 12.000 Ministeriumsmitarbeiter. Um deren Gesundheits- und Krankendaten, wie Blümel befürchtete, geht es freilich nicht. Vielmehr interessiert sich der Untersuchungsausschuss für die Korrespondenz von Thomas Schmid, der schon im Finanzministerium als Generalsekretär arbeitete, bevor sein Freund Blümel Anfang 2020 als Ressortchef einzog.

Diese Situation mag für viele überraschend sein, nicht aber für unsere Bundesverfassung

Alexander von der Bellen, Präsident Österreichs

Schmid ist inzwischen unter fragwürdigen Umständen an die Spitze der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG aufgestiegen. Darum geht es unter anderem im Ibiza-Ausschuss, der die Frage klären soll, ob Entscheidungen der vor knapp zwei Jahren gestürzten ÖVP-FPÖ-Regierung käuflich waren. Bisher bekannt gewordene Chatprotokolle zeichnen jedenfalls ein wenig rühmliches Bild der Kurz-Truppe, in der die Zugehörigkeit zur „Familie“ wesentliches Kriterium für Karrieren sein dürfte.

Ob die vom Ausschuss geforderten Akten noch mehr peinliche Mosaiksteine für dieses Sittenbild liefern, wird sich nun herausstellen. Denn die Verfassungsrichter ließen sich nicht von einem Minister an der Nase herumführen, sondern riefen den Bundespräsidenten zu Hilfe. Dieser sollte den Entscheid zur Herausgabe der Akten exekutieren. Diese bisher noch von keinem Bundespräsidenten ausgeübte Funktion eines „Gerichtsvollziehers“ sieht die Verfassung vor. Er kann dabei notfalls sogar das Bundesheer einsetzen.

So weit kam es dann aber doch nicht. Unmittelbar, nachdem Van der Bellen am Donnerstagnachmittag verkündet hatte, dass er dem Exekutionsantrag des Verfassungsgerichtshofes auf jeden Fall nachkommen werde, begann das Finanzministerium mit der Anlieferung von Schachteln voller Akten an das Parlament.

Auch Kurz im Visier

Die Opposition gibt sich damit noch nicht zufrieden. Denn am Freitag entdeckten die Abgeordneten bei einer ersten Durchsicht der Akten, dass diese vom Finanzministerium als „geheim“ eingestuft worden sind. Das bedeutet, die Dokumente dürfen im Ausschuss nur hinter verschlossenen Türen besprochen und von den Abgeordneten auch nicht öffentlich diskutiert werden. Nun fordert sie Konsequenzen aus der historisch einmaligen Polit-Farce, die auch ein bezeichnendes Licht auf Kurz’ gestörtes Verhältnis zum Parlament wirft. „Herr Blümel. Nehmen Sie endlich Ihren Hut!“, forderte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper findet es „beschämend, dass die ÖVP das Parlament so sehr missachtet, dass wir permanent das Verfassungsgericht anrufen müssen“. Die ÖVP sei „unter Sebastian Kurz keine staatstragende Partei mehr“. Auch die FPÖ, der Ex-Chef den Ibiza-Skandal ursprünglich ausgelöst hat, wirft eifrig mit Steinen im Glashaus und fordert Kurz auf, Blümel zu feuern.

Das wird der Kanzler wohl nicht tun. Aber Kurz kann schon bald selbst vor einem ähnlichen Problem stehen. Beim Verfassungsgericht liegt nämlich eine weitere Klage, die ihn zur Herausgabe von Akten an den Ibiza-Ausschuss auffordert. Bislang weigert sich Kurz, dem nachzukommen, weil er alle Akten geliefert habe beziehungsweise angeforderte bereits vernichtet seien. Sollte das Höchstgericht der Opposition auch in diesen Fall recht geben, wird Alexander van der Bellen bald wieder Gerichtsvollzieher spielen müssen.

Grober J-P.
10. Mai 2021 - 9.33

Überall die gleichen Machenschaften, es klüngelt in allen Richtungen, rechts wie links, und keiner sagt halt. Man regt sich kurz auf und dann ist die Sache vom Tisch. Kein Wunder, dass die Leute die Nase voll haben von Politik.