Mittwoch5. November 2025

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Kreml vs. TwitterWie die russische Internetaufsichtsbehörde das Netzwerk verlangsamt – und wie sie dabei scheitert

Kreml vs. Twitter / Wie die russische Internetaufsichtsbehörde das Netzwerk verlangsamt – und wie sie dabei scheitert
Auch in dieser Moskauer Metrostation dürfte das Twittern zuletzt langsamer gewesen sein – das Vorgehen des Kreml scheint trotzdem wie ein Schuss ins eigene Knie Foto: AFP/Dimitar Dilkoff

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Twitter kam der Aufforderung nach Löschung umstrittener Inhalte nicht nach. Deshalb verlangsamt nun die russische Internetaufsichtsbehörde das Netzwerk. Wie schon im Fall Telegram vorerst nur mit beschränktem Erfolg.

Die Häme im Runet, dem russischen Internet, ist groß nach den gegen das soziale Netzwerk Twitter gerichteten Störversuchen der Internetaufsichtsbehörde Roskomnadsor. Bei der seit Mittwoch veranlassten „Verlangsamung“ von Twitter-Inhalten gab es einige Kollateralschäden.

Nicht nur die Webseiten der Staatsduma, des Kreml und mehrerer Ministerien, sondern auch die Internetpräsenz von Roskomnadsor selbst fielen den Zensurversuchen zum Opfer: Sie waren zeitweise nicht aufrufbar. „Sind bei Roskomnadsor etwa Partisanen tätig?“, fragte eine Userin auf Twitter. Von einem „Versagen an allen Fronten“ sprach der Netz-Experte Andrej Soldatow, der in der Twitter-Störung einen Test für weiterreichende Kontrollgelüste sieht.

Laut eigener Darstellung ist die Roskomnadsor zum „Schutz russischer Bürger“ aktiv geworden. Nur die Übertragung von Foto- und Video-Content werde verlangsamt, erklärte der Vizechef der Behörde, Wadim Subbotin – und zwar so lang, bis der US-Konzern im Streit mit Moskau einlenken werde. In der Realität war es freilich anders.

Putin zählt auf „moralische Gesetze der Gesellschaft“

Moskau hatte zuvor von Twitter die Löschung von umstrittenen Materialien gefordert. Twitter war dem nur teilweise nachgekommen. Moskau stößt sich demnach an mehr als 3.000 Informationen: dem Vernehmen nach Suizidaufrufe, Kinderpornografie, Extremismus.

Russlands Standpunkt ist, dass Twitter mit der Veröffentlichung gegen die nationale Gesetzgebung verstoße. Ein Gesetz, das soziale Netzwerke zur Löschung von verbotener Information zwingt, ist seit Kurzem in Kraft. Da das in San Francisco beheimatete Unternehmen nicht auf die Warnungen reagiert habe, habe man einschreiten müssen, heißt es offiziell. Auch mit einer vollständigen Blockade des Mikroblogdienstes wird gedroht.

Der russische Staat verstärkt seit einiger Zeit seine Kontrolle des Internet. Setzte man früher reaktiv auf die nachträgliche Blockade von Webseiten, versucht man heute, sich mit eigener Infrastruktur vom WWW abzukoppeln („Souveränes Internet“). Umfangreiches „Filtern“ soll unliebsame Inhalte von vornherein abfangen.

Erst vor ein paar Tagen hatte Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen mit jungen Freiwilligen mehr moralisch erbaulichen Internet-Content für russische Jugendliche gefordert. Netzinhalte müssten nicht nur formal den Gesetzen entsprechen, sondern auch den „moralischen Gesetzen der Gesellschaft, in der wir leben. Sonst wird die Gesellschaft von innen zerstört.“ Das war offenbar auf jüngste Demonstrationsaufrufe gemünzt.

Alles nur ein Testlauf für Größeres?

Es ist nicht das erste Mal, dass russische Behörden gegen soziale Netzwerke vorgehen: Facebook und Co. werden regelmäßig mit Strafen belangt. Das Geschäftskontakte-Netzwerk LinkedIn ist in Russland gesperrt. Auch der russische Messaging-Dienst Telegram wurde 2018 blockiert, weil er sich gegen die Herausgabe seines Verschlüsselungs-Codes gewehrt hatte. 2020 gab Roskomnadsor die Blockade offiziell auf. Funktioniert hatte sie in der Realität nie besonders; über eine VPN-Verbindung war der Dienst immer erreichbar.

Die Meinungsvielfalt ist in sozialen Netzwerken größer als in traditionellen Medien, die der Staat engmaschig kontrolliert. Zwar verfügen russische Institutionen und viele Politiker über Profile auf Twitter, Facebook und Instagram. Auch inoffiziell steuert man mit Trollen und Bots Debatten oder lanciert gezielte Desinformationskampagnen. Allerdings ist der russische Staat von einer Herrschaft über die Netzwerke weit entfernt.

Künftig aber will der Kreml die Kontrolle über das Netz verstärken. Im Gesetz über das autonome Runet werden russische Provider zur Installierung einer Kontrolltechnologie verpflichtet, um unliebsame Inhalte zu filtern. Ebendiese Technologie könnte bei der Twitter-Störung eine wichtige Rolle gespielt haben.