„Wie ein Mückenstich“ sei es gewesen, sagt Dmitrij Makogontschuk. „Tut nicht weh, ist nicht schlimm.“ „Sputnik V“, das russische Vakzin gegen Covid-19, wurde ihm vor ein paar Minuten in den linken Oberarm gespritzt. Der 20-Jährige – kurzes braunes Haar, hellgrauer Anzug – sitzt nach der Immunisierung in einem braunen Polstersessel im Gang der Moskauer Poliklinik 121 und tippt in seinem Smartphone herum. Eine halbe Stunde müsse er noch abwarten, haben die Ärzte gesagt. Reine Vorsichtsmaßnahme. Wenn er sich dann gut fühle, könne er nach Hause gehen.
„Bisher haben alle die Klinik ohne Probleme verlassen“, sagt Oberarzt Andrej Tjaschelnikow. Tjaschelnikow steht an diesem speziell für Journalisten organisierten Termin Rede und Antwort. Der junge Arzt wirkt so vernünftig wie medienerfahren. Er habe sich impfen lassen, natürlich, schon im September. Nein, an Covid-19 sei er bisher nicht erkrankt. „Ich bin überzeugt von der Effektivität und Sicherheit des Vakzins“, sagt er.
Vor einem Monat hat Russland mit der Impfkampagne gegen Covid-19 begonnen. Die Anmeldung ist unbürokratisch. Nach der Onlineregistrierung erhält man einen Termin in einem der 70 städtischen Impfzentren. Wie etwa hier, in der Poliklinik 121 zwischen verwaschenen Plattenbauten am Südrand der Stadt. Nach einem Gesundheitscheck geht es ins Zimmer 306, wo in einem Kühlschrank der Impfstoff lagert. Die Prozedur dauert nur ein paar Sekunden und ist für in Russland Versicherte kostenlos.
Putin hat sich noch nicht impfen lassen
Impfte man zunächst Berufsgruppen mit hohem Infektionsrisiko – medizinisches Personal, Angestellte im Bildungsbereich, Gesundheits- und Sozialwesen –, wurde der Kreis der Bezugsberechtigten schrittweise ausgedehnt. Menschen über 60 Jahre, zunächst noch ausgeschlossen, können sich jetzt impfen lassen. Seit Wochenbeginn sind etwa Bankangestellte und alle Beamten zugelassen.
Für Dmitrij Makogontschuk ist Impfen selbstverständlich. „Ich tue das zu meinem Schutz und zum Schutz meiner Umgebung.“ Doch an diesem Vormittag kommen nur vereinzelt Patienten in die dritte Etage. An mangelnder Orientierung kann es nicht liegen: Hinweisschilder sind vorbildlich alle paar Meter postiert. Fragt man in der Poliklinik nach, so werden jeden Tag gerade mal ein paar Dutzend Patienten immunisiert.
„Sputnik V“ hat zwei Probleme. Erstens ist die Skepsis der Bürger gegenüber dem inländischen Impfstoff groß. Selbst Präsident Wladimir Putin hat sich das Vakzin bisher nicht verabreichen lassen, obwohl er den Start der Massenimpfung beauftragt hat. Zuverlässige Informationen über die Detailergebnisse der klinischen Tests fehlen bis heute. Auch transparente Kommunikation ist Mangelware. In Kreml-nahen Medien überwiegen einseitige Jubelberichte über das sogenannte „vaterländische Vakzin“. Doch die Menschen haben wenig Vertrauen in das staatliche Gesundheitswesen. Laut einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Instituts wollen sich 58 Prozent der Befragten nicht mit „Sputnik“ immunisieren lassen. Nur 38 Prozent sind dazu bereit.
Zudem fehlt es an Kapazitäten für die Massen-Herstellung. Zwar ist oft von millionenfachen Dosen die Rede, die man an interessierte Staaten wie Argentinien, Belarus, Indien oder Ungarn liefern will. An Argentinien lieferte Moskau gerade mal 300.000 Dosen des ersten Teils der Impfung. Und Ungarn, das demonstrativ nach russischen und chinesischen Alternativen suchte, will jetzt doch westlichen Impfstoff im Rahmen des EU-Kontingents beziehen. „Russland hat nicht genügend Produktionskapazitäten“, verlautete das Amt des ungarischen Ministerpräsidenten vor ein paar Tagen. Tatsächlich müsste Russland zunächst seinen Eigenbedarf sichern.
Auch wir müssen uns impfen, damit die Gesundheit künftiger Generationen gesichert ist
Auch was die Impfzahlen betrifft, gibt es Zweifel an der offiziellen Darstellung. Jüngsten offiziellen Angaben zufolge wurden in der Russischen Föderation bisher 800.000 Menschen geimpft – und selbst diese Angaben scheinen fragwürdig, zumal zu Weihnachten noch eine Impfzahl von 300.000 kolportiert wurde. 1,5 Millionen Dosen sollen landesweit ausgeliefert worden sein. Nach einem Monat Impfkampagne jedenfalls kein Ruhmesblatt.
Russlands Weg zur kollektiven Immunität ist also kein schneller Sprint, sondern ein langer Marsch. Auch Oberarzt Tjaschelnikow kann nicht sagen, wann das Ziel erreicht sein wird. Bei seiner Arbeit trägt er weiterhin Schutzkleidung, achtet auf soziale Distanz. Dennoch gebe ihm die Impfung eine gewisse Sicherheit, sagt er. Er könne sich nun das Tragen einfacher Masken erlauben, wenn er mit Covid-Patienten zu tun habe. Dank Massenimpfungen habe man im 20. Jahrhundert schlimme Krankheiten besiegt. „Auch wir müssen uns impfen, damit die Gesundheit künftiger Generationen gesichert ist.“
Im Korridor packt Dmitrij Makogontschuk seine Sachen. In der Hand hält er ein Zertifikat, das den Erhalt der ersten Immunisierung bestätigt. In drei Wochen hat er den nächsten Termin: Teil zwei der Sputnik-Impfung. Erst dann wird er wirklich geschützt sein.
De Maart
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