Freitag24. Oktober 2025

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BosnienIm abgebrannten Lager Lipa verbrachten Hunderte den Jahreswechsel unter freiem Himmel

Bosnien / Im abgebrannten Lager Lipa verbrachten Hunderte den Jahreswechsel unter freiem Himmel
Nachdem sie am Mittwoch rund 24 Stunden in Autobussen ausgeharrt hatten, mussten die Migranten mit ihren Habseligkeiten zurück zum Lager Lipa, das allerdings nicht bewohnbar ist Foto: Kemal Softic/AP/dpa

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Die EU mahnt – und sieht zu: Wie an Weihnachten haben Hunderte von Flüchtlingen in Bosniens abgebrannten Skandallager Lipa auch den Jahreswechsel bei eiskalten Temperaturen unter freiem Himmel verbracht. Ihre Verlegung in beheizbare Notaufnahmelager ist weiter nicht in Sicht.

Übermüdet und mit Decken über den Schultern reihten sich die 900 verbliebenen Bewohner von Bosniens abgebrannten Aufnahmelager Lipa am Neujahrsmorgen vor der Essensausgabe des Roten Kreuzes auf. Wie Weihnachten hatten die unerwünschten Transitflüchtlinge auch den Jahreswechsel bei eiskalten Temperaturen unter freiem Himmel verbracht. Zwar haben die Regierungen in Österreich und Italien 1,5 Millionen Euro an Soforthilfe zugesagt. Doch obwohl Armee-Angehörige gestern mit dem Aufbau neuer Zelte in dem zerstörten Lager begannen, ist der Umzug in ein beheizbares Notaufnahmelager weiter genauso wenig in Sicht wie ein Ende von Bosniens Flüchtlingstrauerspiel.

Das Drama von Lipa ist eine vermeidbare Katastrophe mit Ansage: Vergeblich hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Monaten darauf hingeweisen, dass das provisorische, im April eröffnete Lager ohne Beheizung, Strom- und Wasseranschluss keineswegs winterfest sei. Die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene schoben sich zwar hernach fleißig gegenseitig die Verantwortung zu, aber die Aufrüstung des Lagers blieb aus.

Am Tag seiner geplanten Schließung ging das vermutlich von aufgebrachten Insassen in Brand gesetzte Skandallager kurz vor Weihnachten in Flammen auf. Seitdem biwakieren rund 900 Menschen bei eiskalten Temperaturen in provisorischen Verschlägen unter freiem Himmel – und sind in Bosniens dysfunktionalem Staatslabyrinth zum Spielball menschenunwürdiger und erfolgloser Verschiebemanöver geworden. Versuche, sie zeitweise in dem vor wenigen Monaten geräumten Lager „Bira“ im Stadtgebiet von Bihac oder in Kasernen in anderen Landesteilen unterzubringen, scheiterten am Widerstand lokaler Würdenträger: 24 Stunden lang harrten 500 Flüchtlinge zum Jahresende in abfahrbereiten Autobussen aus, bevor sie diese wieder zu verlassen hatten.

Die Kommunen im Teilstaat der Föderation sperren sich mit Verweis auf Widerstände in der Bevölkerung gegen die Eröffnung neuer Notaufnahmelager. Der Teilstaat der Republika Srpska, die immerhin 49 Prozent des bosnischen Territoriums ausmacht, verweigert sich seit Jahren generell der Einrichtung von Flüchtlingslagern. Begründung: es seien schließlich die bosniakischen Muslime, die die Migranten „ins Land geholt“ hätten. Die zahnlose Zentralregierung in Sarajevo vermag sich gegenüber den regionalen Parteifürsten nicht durchzusetzen. Die EU mahnt – und schaut schon seit Jahren eher tatenlos zu.

Strategie der Entmutigung

Bereits seit 2017 ist Bosniens Nordwestzipfel wegen seiner Nähe zur Schengengrenze zum Brennpunkt und Flaschenhals der Balkanroute mutiert. Zwar übertreffen sich nun auch EU-Würdenträger mit hehren Appellen, den in Lipa gestrandeten Menschen ein Obdach zu verschaffen. Doch genauso wie die Tolerierung des ebenso illegalen wie brutalen Push-backs der Transitmigranten durch Kroatiens Grenzpolizei scheint das sehr verhaltene EU-Engagement für deren menschenunwürdige Unterbringung in dem grenznahen Kanton seit Jahren unausgesprochener Teil von Brüssels Entmutigungsstrategie zu sein: Der Einrichtung von Aufnahmelagern in der Nähe ihrer Außengrenzen steht die EU wegen der befürchteten Sogwirkung generell skeptisch gegenüber.

Doch humanitäre Appelle können das Dilemma der zwischen Abschreckung und Mitgefühl schwankenden Migrationspolitik der uneinigen EU-Mitglieder auch nicht lösen. Ob Moria oder Lipa: Humanitäre Katastrophen an den keineswegs so fernen EU-Außenrändern scheinen bei der widersprüchlichen, vor allem an der Entlastung der eigenen Asylstatistiken orientierten Politik der Zielländer der unerwünschten Grenzgänger auch in Zukunft unausweichlich.