Vor 75 Jahren, am 20. November 1945, begann in Nürnberg der Prozess gegen die als Hauptkriegsverbrecher angeklagte Führung von Partei, Staat und Wehrmacht. Kaum bekannt ist, dass von 22 Angeklagten über die Hälfte – unter ihnen Reichsmarschall Hermann Göring, Großadmiral Karl Dönitz und Wilhelm Keitel, der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht – ab Mai 1945 von den Amerikanern im Großherzogtum Luxemburg interniert und verhört wurden.
Das geheime Gefängnis im Kurort Bad Mondorf erhielt den Codenamen „Ashcan“, Ascheneimer auf Deutsch. Warum die Wahl auf Bad Mondorf fiel, ist nicht klar. Luxemburg war zweimal unter hohen Verlusten von amerikanischen Streitkräften befreit worden. Die Alliierten konnten somit auf eine ihr wohlgesinnte Bevölkerung und Regierung vertrauen. Zudem lag Bad Mondorf in Reichweite des vorgeschobenen Hauptquartiers General Eisenhowers im nordfranzösischen Reims, das die Verhöre der Gefangenen koordinieren sollte.
Das perfekte Versteck
Am 30. April übernahmen die Amerikaner die Schlüssel des Palace Hotel in Bad Mondorf und begannen es in Camp Ashcan umzubauen. Dabei mussten sie mit Befreiungsversuchen fanatischer Nazis genauso rechnen wie mit Racheakten durch Kommandos der Résistance oder der lokalen Bevölkerung. Das Zentrum von Ashcan bildete das ältere, unter der deutschen Besatzung heruntergekommene Hotel.
Mit der Hilfe deutscher Kriegsgefangener und lokaler Handwerker wurde es in ein Gefängnis mit hohem Sicherheitszaun und Wachttürmen umgewandelt. Die Fenster wurden vergittert und mit Plexiglas versehen. Das Hotelmobiliar in den Zimmern wurde ersetzt durch eine einfache militärische Grundausstattung mit Feldbett, Stuhl und zwei Bettlaken. Dennoch wirkte das Hotel von außen weiterhin wie eine Luxusherberge. Jedenfalls war die Sorge der vom US-Hauptquartier entsandten Inspektoren, dass der Vorwurf erhoben werden könnte, hochrangige deutsche Kriegsgefangene genössen den Luxus eines Kurhotels, nicht unbegründet, wie sich herausstellen sollte.
Mitte Mai 1945 wurde das Lager in Betrieb genommen und die Gefangenen aus dem belgischen Spa nach Bad Mondorf übergeführt. Bis August waren stets etwa 50 Gefangene interniert. Am 20. Mai wurde Göring, der sich am 9. Mai mit Frau, Tochter und einigen Mitarbeitern der 36. US-Infanterie-Division in Österreich ergeben hatte, nach Bad Mondorf überführt. Hatte schon seine Gefangennahme zur Verärgerung Eisenhowers großes Aufsehen erregt, so avancierte er auch in Bad Mondorf sofort zum „Stargefangenen“.
Drogenabhängig und stark übergewichtig, brachte Göring in seinen sieben Koffern nicht nur große Mengen des Morphiumpräparats Paradozin mit, sondern auch eine Vielzahl von Wertgegenständen und Uniformen, die sofort konfisziert wurden. Unter Aufsicht zunächst eines deutschen und später eines amerikanischen Militärarztes wurde Göring eine Entziehungskur verschrieben. Dank der Gefängniskost, die den von der Genfer Konvention für Kriegsgefangene vorgeschriebenen 1.600 Kalorien am Tag entsprach, verlor er bald an Gewicht. Bei seiner Überführung nach Nürnberg im August 1945 war er in der besten körperlichen Verfassung seit Jahren.
Der Gefängnisalltag
Die Gefangenen nahmen ihre Mahlzeiten gemeinsam im Speisesaal des ehemaligen Hotels ein und konnten ihre freie Zeit im Lesesaal oder mit Spielen verbringen. Viele saßen an sonnigen Tagen auf der Terrasse oder im Garten. Die Unterbringung war deutlich besser als in den normalen Kriegsgefangenenlagern, woran insbesondere die Sowjets Anstoß nahmen.
In einem am 30. Juni 1945 an Stalin übergebenen Bericht schreibt der Kommissar der Staatssicherheit Serow: „Es stellte sich heraus, dass die Gefangenen sich in (…), einem der besten Kurorte, aufhielten. Sie lebten in einem hervorragend ausgestatteten vierstöckigen Gebäude. Die Fenster waren nur mit schwachen Gittern versehen. In diesem Gebäude hat jeder Gefangene sein eigenes Zimmer mit einem guten Bett und anderen Annehmlichkeiten des Alltags. Die Isolation (…) ist nur bedingt gegeben, denn im Laufe des Tages haben sie mehrmals die Möglichkeit, einander zum Essen zu treffen, aber auch während einer Schachpartie oder anderer Spiele. Keine der verhörten Personen macht den Eindruck eines Gefangenen, der bereit ist, für seine Verbrechen Verantwortung zu tragen. Sie sehen alle gut aus und sind gebräunt wie Kurgäste. Alle sind in vollständiger Uniform gekleidet, mit Gradabzeichen und dem Hakenkreuz.“
Dennoch beklagten sich etliche der Gefangenen über die Unterbringung, die Verpflegung oder generell über ihren Status und schrieben Briefe an Eisenhower, an Premierminister Winston Churchill und Präsident Harry S. Truman. Vergeblich, denn amerikanische, britische und französische Medien hatten kritisiert, die Internierten würden ungebührend zuvorkommend behandelt. Das brachte Eisenhower heftige Kritik ein.
Die Gefängnisleitung legte großen Wert auf die Gesundheit der Gefangenen und ergriff Maßnahmen, damit diese sich ihrer Verantwortung vor Gericht nicht durch Selbstmord entziehen konnten. Um Suizide zu verhindern, gab es weder Schuhbänder noch Gürtel, zum Essen weder Messer noch Gabel, und selbst die Brille durfte nur im Leseraum unter Aufsicht getragen werden.
Die Insassen zerfielen in drei Gruppen: Die erste bestand aus hochrangigen Generälen wie Wilhelm Keitel, Albert Kesselring oder Alfred Jodl sowie den Admirälen Dönitz und Gerhard Wagner – wobei die ersten drei sich besonders nahestanden, während Dönitz des Öfteren als Sprecher der Gruppe auftrat und auch den ersten Platz am Esstisch für sich beanspruchte.
Die zweite Gruppe bestand aus Politikern und Beamten. Dieser Gruppe war gemein, dass ihre Mitglieder kein Verständnis dafür aufbrachten, überhaupt interniert zu sein. Sie gehörten zu den schwierigsten Insassen und zu den emsigsten Beschwerdebriefschreibern. Aus dieser Gruppe wurde lediglich der ehemalige Vizekanzler und Diplomat Franz von Papen, der sich in die luxemburgisch-saarländisch-lothringische Unternehmerfamilie Boch-Galhau eingeheiratet hatte, in Nürnberg angeklagt und freigesprochen.
Die dritte Gruppe bestand aus den hochrangigen Nazis, die zum Teil schon als „alte Kämpfer“ ab den 1920er Jahren zur Entourage Hitlers gehört hatten. Diese Gruppe kam auch deshalb zusammen, weil ihnen die Mitglieder der anderen beiden Gruppen aus dem Weg gingen. Einer, der aufgrund seiner vielfältigen Ämter in alle drei Gruppen gepasst hätte, aber in keiner willkommen war, war Göring. Das hielt ihn aber nicht davon ab, bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Sprecher der Insassen aufzutreten.
Die Verhöre
Die Alliierten glaubten, kein ausreichendes Verständnis der Funktionsweise des NS-Staats und der Naziherrschaft zu haben. Daher fiel es dem 6824 Detailed Interrogation Center (DIC) zu, von den Häftlingen in Bad Mondorf mehr über die Funktionsweise des Dritten Reiches zu erfahren. Fünf Offiziere des militärischen Geheimdienstes, darunter der gebürtige Luxemburger und spätere US-Botschafter im Großherzogtum John Dolibois, wurden dort stationiert und führten ihre Verhöre mithilfe von Fragebögen, die vom Alliierten-Hauptquartier übermittelt wurden.
Darüber hinaus entsandte das US-Kriegsministerium eine Kommission, welche die Gefangenen befragte. Es ging dabei um den Aufbau und die Aufgaben von Ministerien und Organisationen sowie die Finanzierung des NS-Staates und des Krieges. Andere Verhöre bezogen sich auf den Einsatz von Fremdarbeitern sowie den Raub von Kunst- und Kulturgütern. Ein dritter Fragenkomplex zielte auf die Konzentrationslager und die Ermordung der Juden. Ein viertes Interessengebiet der Amerikaner schließlich bezog sich auf das Nuklearprogramm. Dönitz bestätigte, dass auch das Reich 1943 ein solches Programm verfolgt habe, dieses aber mangels Ressourcen gescheitert sei. Er insistierte gegenüber seinem amerikanischen Fragesteller, dass alles getan werden müsse, damit die Russen keinen Zugang zu dieser destruktiven Bombe erhielten.
Die Verhöre waren eher Befragungen, sodass die Offiziere selbst bei Ungereimtheiten und offensichtlichen Lügen selten nachhakten. Es gab auch kaum Fragen, die auf die persönliche Schuld und Verstrickung der Insassen in die Verbrechen des NS-Regimes zielten. So wurden die Befragungsprotokolle aus Bad Mondorf von den Anklägern des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg (IMT) auch als unbrauchbar abgetan: Ashcan sei gescheitert infolge von „Unentschlossenheit, mangelnder Vorstellungskraft und Schulung“ der Befrager. Zudem hatten die Alliierten im Sommer in Höhlen und Minen große Mengen an Akten entdeckt, sodass das IMT beschloss, die Anklagen auf diesen von den Angeklagten unterzeichneten Dokumenten aufzubauen.
Bei Kriegsende hatten sich die Alliierten noch nicht darauf verständigt, was mit den als Hauptkriegsverbrecher angesehenen Deutschen geschehen sollte. Die Sieger waren kaum auf die juristische Aufarbeitung des Krieges und der Naziherrschaft vorbereitet. Es dauerte, bis sich Roosevelt und Churchill, die sich beide anfangs wie Stalin eine simple Hinrichtung vorstellen konnten, auf einen Prozess verständigten. Erst auf der Londoner Viermächtekonferenz vom 26. Juni bis 8. August wurde eine Einigung über die Anklagepunkte erzielt und mit der dort unterzeichneten Londoner Charta das IMT errichtet.
Da Nürnberg über einen intakten Gerichtssaal und ein Gefängnis verfügte und als Stadt des Reichsparteitages, an dem 1935 die antisemitischen Rassengesetze beschlossen worden waren, eine hohe Bedeutung für die Nazis hatte, war es für die Prozesse ausgewählt worden. Am 20. November 1945 begann der Prozess, der bis zum 1. Oktober 1946 dauern sollte. Zwölf der Angeklagten, unter ihnen Göring, wurden zum Tod durch den Strang verurteilt. Göring nahm sich in der Nacht vor der Hinrichtung mit einer Zyankalikapsel das Leben. Sieben Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen, drei wurden freigesprochen, bei zweien wurden die Verfahren eingestellt.
Schweigend nach Nürnberg
Am 10. August 1945 hatte Leutnant Dolibois die Gefangenen in einem Konvoi von sechs Ambulanzen von Bad Mondorf nach Nürnberg eskortiert. In seinem Lastwagen saßen neben anderen Dönitz und Kesselring. „Nachdem unser Konvoi die Mosel nach Deutschland überquert hatte“, schreibt Dolibois, „verstummte in Trier plötzlich das nervöse Geschwätz meiner Passagiere. Durch das Rückfenster des Wagens konnten sie sehen, was aus ihrem gloriosen Dritten Reich geworden war. Ein großer Teil der Stadt lag in Ruinen. Sie waren schockiert, sprachlos, einer schluchzte hemmungslos. Der Rest der Reise verlief in Schweigen.“
Das Camp Ashcan wurde am 12. August 1945 geschlossen. Das Palace Hotel nahm später den Hotelbetrieb wieder auf und wurde zudem als Kasino genutzt. 1988 wurde es abgerissen. Luxemburg verlor damit ein historisches Monument, beseitigte aber auch einen potenziellen Wallfahrtsort für Neonazis.
* Heinrich Kreft ist Inhaber des Lehrstuhls für Diplomatie und leitet das Zentrum für Diplomatie an der Andrassy-Universität in Budapest. Zuvor war er von 2016 bis 2020 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg.

De Maart
Viele dieser Kriegsverbrecher oder traurigen Helden, wagen es nicht in die Kamera zu schauen. Ihr Anführer Goebbels hingegen nimmt die Siegerpose ein.
Der nicht mehr ganz so dicke Goering ( 1.Reihe Mitte ) sitzt da, als hätte er den Krieg gewonnen. Arrogant und borniert bis in den Tod.
Die Anstifter einer schändlichen Politik wurden verurteilt , aber die wahren Täter , die Mörder ,die Folterknechte , die Unterstützer, ,die ausführende Hand blieb unbehelligt . Ehrenwerte Bürger des Wirtschaftswunders, Kalten Krieges und dem Aufbau Europas wurden sie. Heute schleppt des schlechte Gewissen der Generationen schnell noch entfernte Mitläufer des damaligen Systems ,alte Greise von Krankheit ,Demenz befallen vor den Kadi.Siegerjustiz die keine war .