Tageblatt: Nach der IMK-Prognose vom September soll die deutsche Wirtschaft 2021 wieder um 4,9 Prozent wachsen. Müssen Sie diese Vorhersage wieder einkassieren?
Sebastian Dullien: Wir sind gerade noch am Rechnen für eine aktualisierte Prognose. Aber alles deutet nach wie vor auf eine deutliche wirtschaftliche Erholung im kommenden Jahr hin. Verbunden mit einem starken Konsumzuwachs. 2019 haben die Verbraucher in Frühjahrsquartal rund 50 Milliarden Euro zurückgelegt. 2020 waren es plötzlich 100 Milliarden Euro. Aus Mangel an Kaufgelegenheit, weil kaum gereist werden durfte und der Kulturbetrieb stillstand. Das wird sich ändern.
Aber keiner weiß, wie lange der neue Lockdown wirklich dauert.
Mit einer Verlängerung des Lockdowns um ein oder zwei Wochen über den 10. Januar hinaus wird sich das Gesamtbild nicht grundsätzlich ändern. Die betroffenen Wirtschaftszweige tragen auch vergleichsweise wenig zur Wertschöpfung in Deutschland bei. Das gesamte Gastgewerbe zum Beispiel macht weniger als zwei Prozent der Bruttowertschöpfung aus.
Aber nun kommen wieder große Teile des Einzelhandels hinzu …
Vieles von dem, was nicht in den Geschäften über den Ladentisch geht, wird aber online gekauft. Das ist ohne Frage tragisch für die stationären Händler, aber für das Wirtschaftswachstum weniger von Bedeutung.
Der Einzelhandel muss mitten im umsatzstärksten Monat des Jahres dichtmachen. Welche Folgen hat das für die Branche?
Für den Einzelhandel sind staatliche Entschädigungen vorgesehen. Man kann nur hoffen, dass das für sein Überleben ausreicht. Im dritten Quartal ließ sich beobachten, dass abgesehen vom stationären Verkauf bei Textilien sehr viele ausgefallene Verkäufe nachgeholt worden sind. Wenn Leute das Sofa oder den Fernseher nicht im April kaufen konnten, haben sie das im Juli getan.
Ohne Kurzarbeit sind die Jobs weg – und sie kommen auch nicht wieder
Anders als im Gastgewerbe sollen bei Läden nicht die Umsätze, sondern nur die Fixkosten staatlich kompensiert werden. Ist das nicht eine Ungleichbehandlung?
Das könnte man meinen. Zu bedenken ist allerdings, dass der Einzelhandel wie eben gesagt zumindest einen Teil der entgangenen Umsätze später nachholen kann. In einem Restaurant dagegen werden die Leute nicht mehr essen, wenn es wieder öffnen kann. Würde man den Einzelhandel so entschädigen wie die Restaurants, dann würde das zu einer starken Überkompensation für den Einzelhandel führen, denn der reine Warenpreis macht im Handel einen wesentlich höheren Anteil des Umsatzes aus als in der Gastronomie. Dessen ungeachtet wird es aber sicher immer wieder Ungerechtigkeiten im Detail geben.
Mit der staatlich finanzierten Kurzarbeit im Umfang von bislang 20 Milliarden Euro konnte Massenarbeitslosigkeit verhindert werden. Aber lässt sich das ewig fortsetzen?
Die Alternative, die Betroffenen in die Arbeitslosigkeit zu schicken, wäre sicher teurer gewesen. Denn die Jobs sind dann weg, und sie kommen auch nicht wieder. Weil dies durch Kurzarbeit verhindert wurde, konnte die Wirtschaft ihre Produktion im dritten Quartal auch wieder superschnell hochfahren. Die Betriebsstrukturen waren intakt. Insofern sind die Kosten für die Kurzarbeit sehr gut angelegtes Geld.
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