Mittwoch22. Oktober 2025

Demaart De Maart

Nach den WahlenRumänien auf rechtsextremer Corona-Welle

Nach den Wahlen / Rumänien auf rechtsextremer Corona-Welle
Ludovic Orban, Premierminister von Rumänien, nach der bitteren Wahlniederlage Foto: AP/Andreea Alexandru

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Die Pandemie und die niedrigste Wahlbeteiligung seit der Wende haben Rumäniens regierenden Nationalliberalen ein Debakel beschert. Überraschend gelang dem rechtsextremen Parteineuling AUR der Parlamentseinzug – und konnten sich die oppositionellen Sozialisten als stärkste Kraft behaupten.

Der Mann ohne Maske verspürte allen Grund zur Freude. Immer wieder unterbrachen die Schlachtgesänge seiner Anhänger die Ausführungen des Politnovizen. „Als Sieg des rumänischen Volkes“ bezeichnete George Simion den erstmaligen Parlamentseinzug seiner erst im letzten Jahr gegründeten „Allianz für die Union der Rumänen“ (AUR): „Wir sind keine Extremisten, aber radikal gegenüber dem System, das die Hoffnung auf ein Leben in Rumänien in den letzten 30 Jahren zerstört hat. Wir repräsentieren eine neue Kraft – und wir werden unseren Weg fortsetzen.“

Bisher war der 34-jährige AUR-Chef der Öffentlichkeit vor allem als Anführer nationalistischer Ultras bei Spielen von Rumäniens Nationalkickern bekannt. Von der Vereinigung mit Moldawien, dem Verbot von Homo-Partnerschaften bis hin zur Aufhebung aller Corona-Restriktionen reichen die Forderungen, denen die AUR als Sammelbecken ultranationalistischer EU-Gegner, rechtsklerikaler Pandemie-Leugner und früherer Anhänger der großrumänischen Partei PRM künftig einem breiteren Publikum Gehör verschaffen kann: Mit 8,65 Prozent der Stimmen gelang der AUR bei der Parlamentswahl am Sonntag als viertstärkste Kraft problemlos der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde.

Niedrigste Wahlbeteiligung seit Ceaucescu-Sturz

Die Wahlverdrossenheit und die Corona-Epidemie haben dem Karpatenstaat ein politisches Erdbeben beschert. Nicht einmal jeder dritte Wahlberechtigte machte von seinem Wahlrecht Gebrauch: Mit knapp 32 Prozent sackte die Wahlbeteiligung auf den niedrigsten Wert seit dem blutigen Sturz des sozialistischen Autokraten Nicolae Ceaucescu 1989.

Von dem extrem niedrigen Wähleraufkommen profitierten neben der AUR die oppositionellen Sozialisten (PSD). Auch dank ihrer disziplinierten Stammwähler in den ländlichen Regionen konnte sich die PSD mit 29,3 Prozent der Stimmen überraschend als stärkste Kraft behaupten – ein erstaunlicher Erfolg nach einer sehr turbulenten Legislaturperiode, in der drei PSD-Regierungen vorzeitig scheiterten und Ex-Parteichef Liviu Dragnea wegen Korruption verhaftet wurde.

Vor allem die regierenden Nationalliberalen (PNL) von Premier Ludovic Orban hatten die politischen Folgen der Corona-Epidemie auszubaden, die die Schwächen des ausgelaugten Gesundheitssystems schonungslos offengelegt und bereits 12.300 Menschenleben gefordert hat. Zu Jahresbeginn lag die mit einem Minderheitskabinett regierende PNL in den Umfragen noch bei 45 Prozent. Nun musste sie sich als zweitstärkste Kraft mit 24,6 Prozent bescheiden.

Premier angeschlagen, starke Sozialisten

Trotzig erklärte Wahlverlierer Orban seine PNL zum „moralischen Sieger“. Zwar dürfte der PNL die auch von Staatschef Klaus Johannis befürwortete Bildung einer pro-europäischen Koalition mit dem Anti-Korruptions-Bündnis URS-Plus (15,44 Prozent) und möglicherweise der Ungarn-Partei UDMR (7,57 Prozent) vermutlich gelingen. Doch selbst wenn Noch-Premier Orban im Amt verbleiben sollte, wird sich der PNL-Chef angeschlagen an seine zweite Regierungsmission machen.

Die PNL, aber auch Johannis und die USR-Plus hätten die PSD erneut unterschätzt, konstatiert die Zeitung Adevarul: „Alle sind davon ausgegangen, dass die PSD im Sterben liegt, obwohl schon nach den Lokalwahlen im September klar war, dass sie gestärkt zurückkehren würde.“ Während sich die Opposition nach der Wahl im Aufwind wähnen kann, dürfte den künftigen Koalitionären nicht nur der Wahlkater, sondern auch das Erbe der Corona-Krise zu schaffen machen: Für 2020 wird in Bukarest mit einem Minuswachstum von 4,2 Prozent und dem Anstieg des Haushaltsdefizits auf 9,1 Prozent gerechnet.