Italien bewegt sich aufs Limit zu. Zwar stagnieren seit einer Woche die Anstiege der Neuinfektionen mit dem Coronavirus, doch verharren die Zahlen auf hohem Niveau: Am Dienstag verzeichneten die Gesundheitsbehörden 32.191 Neuinfektionen und 731 an Covid-19 Verstorbene. Ein Rückgang der Infektionen ist landesweit nicht zu beobachten. Deshalb hatte die Regierung Giuseppe Contes Anfang des Monats weitere Restriktionen im öffentlichen Leben verhängt, verbunden mit einer Zonenaufteilung des Landes. Sechs Regionen sowie die autonome Provinz Bozen zählen derzeit zur „Zona rossa“, zu einem Gebiet, in dem die Bewegungsfreiheit bis auf dringend zu erledigende Angelegenheiten nahezu völlig eingeschränkt sind.
Vor allem aus dem Süden, wo Kampanien und Kalabrien zu den roten Zonen zählen, erhebt sich heftiger Protest. Der kalabresische Gouverneur Nino Spirli (Lega Salvini) erklärte lautstark, die „Menschen in Kalabrien werden verhungern, wenn die Maßnahmen aufrechterhalten bleiben“.
Viel Kritik kommt von rechts
Die heftigsten Proteste, so kann man verzeichnen, kommen vor allem aus dem rechten politischen Spektrum. Auch die Präsidenten der Lombardei und des Piemont, Attilio Fontana (Lega) und Alberto Cirio (Forza Italia, FI), erklärten, die Maßnahmen seien völlig überzogen, ihren Informationen zufolge müssten gemäß der aktuellen Daten zu „orangenen Zonen“ erklärt, also unter geringere Auflagen gestellt werden.
Angesichts dessen, dass vor allem der italienische Norden höchste Infektionszahlen aufweist und in der ersten Covid-Welle fast in den Kollaps getrieben wurde, sind die Proteste unverständlich. Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella rief dazu auf, die Kontroversen gegen die aktuelle Regierungspolitik nicht für parteiliche Polemik und Politik zu nutzen. Denn wie auch in anderen europäischen Staaten war in Italien zu beobachten, dass Coronaleugner und Gegner der Disziplinarmaßnahmen vor allem von rechten und rechtsextremen Kräften gesteuert und angefeuert wurden. Straßenschlachten mit der Polizei in Neapel, angeführt von Ultras und Camorristi, lieferten bedrohlich wirkende Fernsehbilder.
Gesundheitseinrichtungen in desolatem Zustand
„Halb Italien ohne Sauerstoff“ titelte die römische Tageszeitung La Repubblica am Mittwoch. Die Nachfrage sei enorm gestiegen, so Riccardo Maria Iorio, der neapolitanische Präsident von Federfarma, in den Apotheken seien kaum noch Sauerstoffflaschen vorrätig, Patienten müssten eine Odyssee durch das ganze Land auf sich nehmen, um notwendige Versorgung zu erhalten.
Das Problem eines desolaten Gesundheitswesens zeigt sich auch im Mezzogiorno. Kalabriens Präsident Spirli begründet seine Proteste gegen die römischen Maßnahmen damit, dass in seiner Region die geringsten Covid-Fälle zu verzeichnen sind. Den Zahlen nach ist dies richtig: Während sich landesweit täglich über 30.000 Menschen neu infizieren, sind es im Süden nur 680. Während der bisher verlaufenen Pandemie starben lediglich 187 Menschen an der Infektion. Darauf baut Spirli in seinem Verlangen, Kalabrien aus der roten in eine minder gefährdete orange Zone einzustufen.
Doch die Zahlen täuschen, nirgendwo liegt das Gesundheitswesen so im Argen wie in der südwestlichen Region. Die von der ’Ndrangheta durchseuchte Behörde wurde aufgelöst. Fünf Krankenhäuser wurden geschlossen und fast 4.000 Ärzte entlassen – dies alles unter dem Verdacht der Mafiaverbindung. Kalabrien gehört zu den am schlechtesten versorgten Regionen des Landes und wurde allein schon aus diesem Grund zur roten Zone erklärt.
Mattarella sieht Nation gespalten
Im Frühjahr habe sich die Nation als einig dargestellt, jetzt jedoch, in der zweiten Coronawelle, brächen viele Gegensätze auf, konstatiert das italienische Staatsoberhaupt. „Das Virus“, so Mattarella, „ist unser Feind, der uns spaltet: in Altersgruppen, die mehr oder weniger bedroht sind, in soziale Gruppen, die mehr oder weniger ökonomisch gefährdet sind, in Regionen, die jede für sich nach bestmöglicher Versorgung strebt.“
So werde man die Pandemie nicht besiegen können, erklärte der Staatspräsident in einer Fernsehansprache. Es gehe jetzt darum, gemeinsame nationale Anstrengungen und landesweite Maßnahmen zu ergreifen, um ein weiteres Ausbreiten der Infektion zu verhindern. Regionale Einzelgänge würden diesen Prozess nur behindern, kritisierte Mattarella die aufkommenden Proteste aus den verschiedenen Bereichen. Mit deutlichen Worten stellte sich der Präsident hinter die Politik der Conte-Administration.
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