Österreich„Aktion scharf“: Nach dem Wiener Attentat werden Fehler der Vergangenheit kompensiert

Österreich / „Aktion scharf“: Nach dem Wiener Attentat werden Fehler der Vergangenheit kompensiert
Auch in Graz wurden im Rahmen der Operation Luxor Gebäude von der österreichischen Polizei durchsucht  Foto: AFP/APA/Erwin Scheriau

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Während Kanzler Sebastian Kurz gestern in Paris mit Emmanuel Macron den Schulterschluss gegen Terror und Islamismus demonstrierte, lässt er daheim der (zu) lange geduldeten Muslimbruderschaft die Zähne zeigen.

Gemeinsam wollen Kurz und Macron auf europäischer Ebene Druck machen, um den „Kampf gegen islamistischen Terror und den politischen Islam“ voranzutreiben. In einer Videoschalte mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rannten die beiden offene Türen ein.

Mit verbalen Schulterschlüssen wird es nicht getan sein. Grundlegende Probleme bei der Islamisten-Bekämpfung sind neben Ermittlungspannen wie im Vorfeld auch des Wiener Anschlages Ignoranz und falsch verstandene Toleranz. Nicht nur Österreich und Frankreich ist eine lange Tradition des Duldens islamischer Fundamentalismen aller Art gemeinsam.

Damit soll nun in Österreich Schluss sein. Als Erstes bekommt das gerade die Muslimbruderschaft zu spüren. Seit Montag läuft die „Operation Luxor“, in deren Verlauf fast 1.000 Polizisten in vier Bundesländern zahlreiche Razzien in Moscheen, islamischen Kulturvereinen und Privatunterkünften durchführten. Die inoffiziell durchgesickerte Liste der Betroffenen liest sich wie das Who’s who der Bruderschaft in Österreich.

Altbekannte Verdächtige

So besuchte ein Sonderkommando der Polizei in Wien die Stiftung eines ehemaligen Vorsitzenden der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ). Dieser gilt schon seit den 1970er Jahren als einer der Köpfe der österreichischen Muslimbruderschaft, die freilich kein Mitgliederverzeichnis führt und auch sonst auf absolute Diskretion setzt.

In einem Fall lässt sich eine Mitgliedschaft jedoch behaupten: Morad J. hat sich schon 2013 in einem Interview für das ägyptische Fernsehen als „eine der Führungskräfte der Muslimbrüder in Europa“ geoutet. Der Syrer ist zusammen mit seinem (leiblichen) Bruder Ayman M. seit mehr als 40 Jahren in Österreich als Gründer von diversen Vereinen sowie der Al-Hidaya-Moschee in Wien-Leopoldstadt aktiv. Dieses Gebetshaus hatte vor knapp zwei Jahren für Aufregung gesorgt, weil dort radikale Schriften aufgelegen sein sollen, in denen etwa die Todesstrafe für den Abfall vom Islam befürwortet wird. Sowohl in der Moschee als auch bei den Brüdern M. wurde eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

Polizeibesuch bekam ebenso ein Politologe, der sich im Auftrag einer türkischen Stiftung dem Kampf gegen die „Islamophobie“ verschrieben hat. Politisch pikant ist auch die Hausdurchsuchung bei einem in Wien lebenden Ägypter, der vor den Landtags- und Gemeinderatswahlen im Oktober intensiv für SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig geworben hatte. Die Facebook-Seite dieses Mannes enthielt neben SPÖ-Werbung und vielen Macron-Darstellungen als Hund und Schwein bis vor Kurzem auch ein brisantes Bekenntnis auf Arabisch: „Gott schütze die Bruderschaft, ihre Männer und Frauen, und möge deren Märtyrer annehmen“. Er verwendet den Begriff „Jama’a al-Ikhwan“ — „Muslimbruderschaft“. Der arabischstämmige SPÖ-Gemeinderat Omar Al-Rawi hat sich vor der Wahl ausdrücklich für die Unterstützung des Bruders bedankt.

Zweiter Hotspot Graz

Neben Wien steht die steirische Landeshauptstadt Graz im Fokus der „Operation Luxor“. Hier wurden das Islamische Kulturzentrum (IKZ) und die Wohnung von dessen Obmann Mahdi Mekic durchsucht. Adresse und Telefonnummer des IKZ finden sich in Dokumenten der katarischen Organisation Qatar Charity auf einer Liste von Zentren und Vereinen im Dunstkreis der Muslimbrüder in Europa. IKZ-Chef Mekic bestreitet allerdings jegliche Verbindungen zu Qatar Charity und kann sich nicht erklären, wie das IKZ auf die Liste kam.

Ebenso durchsucht wurde in Graz der Ableger des von Jamal M. in Wien gegründeten Vereins Liga Kultur, der als Institution der Muslimbruderschaft gilt und auf Facebook zumindest eine gewisse Nähe offenbart. Dort wird auf Yusuf al-Qaradawi verlinkt. Der in Katar lebende Vordenker der Muslimbruderschaft predigt die Todesstrafe für den Abfall vom Islam, fordert Peitschenhiebe für Homosexuelle und befürwortet Selbstmordattentate von Palästinensern. Den Holocaust hält er für eine Strafe Gottes und Hitler für den Mann, dem es gelungen sei, die Juden zurechtzuweisen. Was hierzulande unglaublich klingt, ist nicht anderes als die Wiedergabe der Ansichten des 1966 in Ägypten hingerichteten MB-Chefideologen Sayyid Qutb: Der schrieb 1950, Allah habe Hitler gesandt, um über die Juden zu herrschen. Und: „Allah möge (wieder) Leute schicken, um den Juden die schlimmste Art der Strafe zu verpassen“.

Da in sozialen Medien Bilder von einem Treffen eines führenden IGGÖ-Vertreters mit Qaradawi kursieren und die durchsuchten Moscheen zum IGÖ-Imperium zählen, könnte die offizielle Vertretung der Muslime in Österreich noch mehr Erklärungsbedarf bekommen. Gestern kam von IGGÖ-Chef Ümit Vural nur ein dürres Statement: Man sei noch nicht darüber informiert worden, ob und falls ja, welche ihrer Einrichtungen Ziel der Untersuchungen sind.

Warum erst jetzt?

Die Aktion dürfte jedenfalls nicht ganz substanzlos gewesen sein. Umfassendes Beweismaterial sei sichergestellt und Vermögenswerte „in Millionenhöhe“ seien eingefroren worden, zieht der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, eine erste Bilanz. Die Vorwürfe lauteten auf Verdacht der Terrorismusfinanzierung, Bildung einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung sowie der staatsfeindlichen Verbindung und auf Geldwäsche. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) nannte die Muslimbruderschaft „zutiefst gefährlich“.

Allerdings stellt sich dann umso mehr die Frage, warum die Sicherheitsbehörden erst jetzt energisch gegen teils seit Jahrzehnten an islamistischen Netzwerken bastelnde Fundamentalisten vorgehen. Ein Verdacht liegt nahe: Nach dem Wiener Anschlag und den gravierenden Pannen bei der Observation des bereits wegen IS-Aktivitäten verurteilt gewesenen Attentäters braucht Nehammer Entlastungsoffensiven. Dieser beteuert allerdings, dass die Razzien in vier Bundesländern nichts mit dem Wiener Anschlag zu tun hätten. Das ist insofern glaubhaft, als eine derartige Großoperation nicht binnen einer Woche zu organisieren ist. Tatsächlich wurde laut Sicherheitsdirektor Ruf seit Mitte vergangenen Jahres ermittelt.

Eine mögliche Erklärung, warum die Muslimbruderschaft nicht schon viel früher auf dem Radar der Politik erschienen ist, findet sich in deutschen Verfassungsschutzberichten, wie dem jüngsten aus Bayern: „Nach außen gibt sich die Muslimbruderschaft offen tolerant und dialogbereit und strebt eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen.“ Muslime haben dafür einen arabischen Fachbegriff: „Taqiyya“ – Verstellung, Täuschung …