Die Sache ist für Gianni Infantino noch längst nicht ausgestanden. Die vorhersehbare Entscheidung der Ethikkommission zu seinen Gunsten war nur ein Teilerfolg für den umstrittenen Präsidenten des Fußball-Weltverbandes FIFA. Im Hintergrund bringen sich Freunde wie Feinde des 50-Jährigen weiter in Stellung. Dabei geht es um Deutungshoheit, juristische Spitzfindigkeiten und persönliche Interessen. Offiziell äußern möchte sich kaum jemand aus den beiden Lagern – ganz im Gegenteil zum Ex-Chef.
„Mich überrascht nichts mehr. Die Kontrollorgane der FIFA sind unter Gianni Infantino nicht mehr unabhängig“, kritisierte der frühere FIFA-Präsident Joseph S. Blatter, der vor fünf Jahren von den damaligen Ethikern zu Fall gebracht worden war, die Einstellung des Verfahrens gegen seinen Nachfolger. Die Kommission hatte am Mittwoch bestätigt, dass eine Voruntersuchung gegen Infantino wegen verschiedener Vorwürfe zwar eingeleitet wurde. Das Verfahren gegen den 50 Jahre alten Schweizer sei aber aufgrund „mangelnder glaubhafter Beweise“ schon eingestellt worden.
Für Sportrechtler Michael Lehner kam die Entscheidung nicht überraschend. „Ich sehe weiter die Mechanismen, dass Dinge nicht ordentlich aufgeklärt werden – weil niemand Interesse daran hat“, sagte der Heidelberger Jurist dem SID: „Bei der FIFA sind Dinge möglich, die woanders nicht möglich sind. Wer will es ändern?“ Was das angeht, richten sich die Blicke nun wieder auf die Schweizer Justiz. Anfang August hatte die Bundesanwaltschaft der Eidgenossen ein Strafverfahren gegen Infantino eröffnet. In der Schweiz ist der FIFA-Boss in eine Justizaffäre um den scheidenden Bundesanwalt Michael Lauber verwickelt. Lauber hat seinen Rücktritt für Ende Januar 2021 eingereicht, Infantino und die FIFA diesen aber ausgeschlossen.
Teure Rückreise
Die Ethikkommission unter der Leitung von Chefermittlerin Maria Claudia Rojas hat allerdings nicht nur den „Lauber-Fall“ untersucht. Es ging unter anderem auch um eine Flugaffäre. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) hatte im Mai darüber berichtet, dass Infantino als Begründung für eine teure Rückreise per Privatflugzeug aus Surinam ein Treffen mit UEFA-Präsident Aleksander Ceferin angeben habe. Dieses Treffen soll aber nicht geplant gewesen sein und auch nicht stattgefunden haben. Für Blatter ist klar, dass Infantino die Unwahrheit gesagt hat. Auch deshalb kritisiert der ehemalige FIFA-Chef die Ethikkommission: „Eine andere Frage bleibt im Raum: Was passiert mit Infantinos Lüge zum Surinam-Rückflug? Er schob damals ein Treffen mit UEFA-Präsident Ceferin in der Schweiz vor – obwohl dieser davon nichts wusste und in Armenien weilte.“
Die Fragezeichen hinter der Amtsführung Infantinos und der tatsächlichen Unabhängigkeit der Ethikkommission sind es auch, die es rund um die FIFA-Spitze weiter rumoren lässt. Die Gegner und Befürworter Infantinos liefern sich einen Schlagabtausch mittels gestreuter Gerüchte und Informationen. So sprechen die Kritiker des FIFA-Chefs hinter vorgehaltener Hand von Verletzungen des Ethikcodes, absichtlich ausbleibenden Untersuchungen und bemängeln das Gegenteil der von Infantino bei seinem Amtsantritt vor viereinhalb Jahren versprochenen „totalen Transparenz“. Die Unterstützer des früheren UEFA-Generalsekretärs reden dagegen von haltlosen Verdächtigungen der Schweizer Justiz und werfen den Kritikern das Verfolgen von Eigeninteressen vor.
Welche Seite am Ende die Oberhand behält, ist noch offen. Dabei werden die Ergebnisse der Schweizer Ermittlungen eine entscheidende Rolle spielen. Beim virtuellen FIFA-Kongress am 18. September dürfte Infantino aber noch als Boss auf den Bildschirmen der 211 Mitgliedsverbänden auftauchen. (SID)
De Maart
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