Nun holte einer von ihnen, Björn Olsen, Professor für Infektionskrankheiten, in der aktuellen Ausgabe der legendären Sommererzählungen im „Sveriges Radio“ zu einem großen Rundumschlag gegen das Gesundheitsamt und die Medien aus: „Es sind allzu viele Menschen in der Vergangenheit gestorben.“
In dem Land mit rund zehn Millionen Einwohnern wurden 79.494 Infektionsfälle gemeldet, es starben bislang 5.702 Personen an Covid-19. Die Hälfte der Toten sind Bewohner der schwedischen Altersheime. Der Oberarzt an der Universitätsklinik Uppsala, Björn Olsen, kritisierte den Staatsepidemiologen Anders Tegnell für seine Verharmlosungen zu Beginn der Pandemie. Tegnell, Beamter des Gesundheitsamtes, hätte einen größeren Fokus darauf gelegt, die Bevölkerung zu beruhigen, als Maßnahmen einzuleiten.
Bereits in einem Interview am 25. Januar warnte der Mediziner, auch als „Anti-Tegnell“ bekannt, vor einer möglichen Epidemie in Schweden. Zu den „verbotenen Wörtern“ des Gesundheitsamtes hätten „Mundschutz“ sowie „Ansteckung ohne Symptome“ gehört – sodass sich Sars-CoV-2 rasch in Schweden verbreiten konnte und heute eine elfmal höhere Todesquote pro Million Einwohner wie beim Nachbarland Norwegen zu verzeichnen sei.
Diese Vorhaltungen sind bekannt. Der 61-jährige Infektionsspezialist argumentiert jedoch auch auf einer „religiösen Ebene“. Das Gesundheitsamt hätte den Charakter einer Sekte mit einem „Tunnelblick“ angenommen, gleichzeitig würden die Medien nicht wirklich kritisch berichten, sondern ordneten sich als „Konvertiten“ dem Gesundheitsministerium unter. Dies sei ein „tödlicher Cocktail“ für die Gesellschaft in Schweden gewesen. Viele Medien und bekannte Leitartikler hätten kritische Fragen ausgeschlossen.
Jan Helin, Programmdirektor des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SVT, wies die Kritik am gestrigen Dienstag zurück. Es habe auch kritische Stimmen im Sender gegeben. Dem Gesundheitsamt sei jedoch viel Raum überlassen worden, da es als offizieller Ratgeber der Regierung wirkte. Stefan Löfven, Ministerpräsident der rot-grünen Minderheitsregierung, hatte sich bislang stets an den Empfehlungen der Behörde orientiert. Tegnell, bekannt und populär für sein beruhigendes und unspektakuläres Auftreten, entgegnete auf die Kritik des Fachkollegen, dass man heute noch nicht sagen könne, was richtig oder falsch gemacht wurde und ob „gewisse Maßnahmen einen Unterschied gemacht hätten“.
Herdenimmunität erreicht
Das Gesundheitsamt hat weiterhin einen Rückhalt von 60 Prozent in der Bevölkerung, der Höhepunkt des Vertrauens erfuhr die Behörde mit über 70 Prozent im April. Damals wurden die 22 Forscher, die auch gegenüber ausländischen Medien die aus ihrer Sicht fehlenden Maßnahmen kritisierten, in den sozialen Medien und mittels E-Mails scharf angegriffen. Angesichts der weiterhin hohen Fallzahlen sei der „Hasschor“ nun verstummt, wie der Mediziner der Universitätsklinik Uppsala betont, ein Beleg dafür, dass er und die anderen Expertinnen und Experten von Anfang an Recht gehabt hätten. Als ein Ausweg, um die Pandemie besser zu bekämpfen, empfiehlt Olsen die Einführung des Nasen-Mund-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Auf der anderen Seite beanspruchte das Gesundheitsamt vor zehn Tagen einen Erfolg für den schwedischen Sonderweg: Johan Carlson, Generaldirektor der Behörde, behauptete, dass 40 Prozent der Stockholmer gegen das Coronavirus immun sein könnten. Somit wäre die Herdenimmunität erreicht, eine Phase, bei der ein größerer Teil der Bevölkerung schon angesteckt wurde und so die Verbreitung eines Virus vermindert wird. Dass viele Länder die Schweden erst gar nicht über die Grenze lassen, stößt in der Behörde auf großes Unverständnis.
De Maart
Mit wem streiten sie denn? Die Alten sind alle tot.
Der Sonderweg hat bloß die Wartelisten für Alters- und Pflegeheime abgeschafft, da die fast alle tot sind.