Samstag1. November 2025

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Schwierige RechercheDas Rätsel um die Zahlen, die Luxemburg zum Risikogebiet machen

Schwierige Recherche / Das Rätsel um die Zahlen, die Luxemburg zum Risikogebiet machen
Lothar Wieler, Leiter des RKI, berät die deutsche Regierung zur Corona-Lage – aber worauf beruhen seine Einschätzungen eigentlich? AFP

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Für Deutschland ist Luxemburg Corona-Risikogebiet. Das Großherzogtum präsentiert Zahlen, die beweisen sollen, was Ursache für den Anstieg ist. Wir versuchen herauszufinden, warum Deutschland dies anders sieht. Eine schwierige Spurensuche mit Einordnung durch den Autor.*

* Thomas Roth ist Chefredakteur des Trierischen Volksfreund

Seit 13. Juli gilt für Luxemburg eine Reisewarnung: Das Land ist aus deutscher Sicht Risikogebiet. Aber wer entscheidet eigentlich darüber und auf welcher Grundlage? Wir haben nachgefragt. Es folgt der Einblick in ein Hin und Her zwischen Pressestellen und eine (zugegeben subjektive) Bewertung der Auskünfte.

Wer entscheidet?

Formal ist es einfach: die deutsche Bundesregierung. Nach gemeinsamer Analyse entscheiden das Auswärtige Amt, das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat. Grundlage sind in der Regel die Infektionszahlen, die das Robert-Koch-Institut (RKI) liefert. Daher hieß es zunächst, die Einstufung als Risikogebiet erfolgte durch das RKI. Fragen schickte ich daher zunächst an das RKI. Unter anderem die Frage, wie hoch die sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz bei der Einstufung Luxemburgs war und ob dabei berücksichtigt worden ist, dass einerseits auch Grenzgänger getestet worden sind und anderseits bei den Massentests bis zu 10.000 Menschen pro Tag Proben entnommen werden.

Das RKI gibt Zahlen nur weiter (Anfrage 1)

Das RKI antwortet, dass die Liste der Risikogebiete auf der eigenen Internetseite aktualisiert werde, sie das RKI aber nicht erstelle. Es folgt ein Verweis auf die eigene Internetseite und auf das Auswärtige Amt – zudem kämen die Inzidenzen vom ECDC, einer Agentur der Europäischen Union (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten – englisch: European Centre for Disease Prevention and Control)

Das Auswärtige Amt gibt zurück (Anfrage 2)

Unter Verweis auf das RKI wende ich mich an das Auswärtige Amt. Ich bekomme von dort einen Hinweis auf die Pressekonferenz, in der die Reisewarnung ausgesprochen wurde. Allerdings wird dabei keine der Fragen beantwortet – der Hintergrund der Zahlen wird nicht einmal angesprochen. Zudem solle ich mich bei Fragen zur Erhebung der Zahlen an das RKI bzw. das ECDC wenden.

Zurück zum RKI (Anfragen 3 und 4)

Ich präzisiere die Fragen, verweise auf das Auswärtige Amt und wende mich wieder ans RKI. Unter anderem mit Fragen wie „Welche Rolle spielt das RKI bei der Einstufung der Risikogebiete im Ausland?“, „Welche Sieben-Tages-Inzidenzen haben Sie an das Auswärtige Amt (und/oder die weiteren Entscheider) zur Einstufung und danach weitergegeben?“ und „Haben Sie darauf hingewiesen, dass in den Siebes-Tages-Inzidenzen auch Grenzgänger enthalten sind?“ Die Antwort ist erneut ernüchternd und wenig informativ. Es wird wiederum darauf verwiesen, woher die Daten stammen und dass nicht das RKI entscheide, sondern die Ministerien. Ganz nebenbei: Die Karte mit den Inzidenzen in Europa, die noch einige Tage zuvor beim RKI zu finden war, ist mittlerweile (auch nach eigenen Angaben) durch die Risikogebietsliste abgelöst worden. Zahlen gibt es hier also keine mehr zu sehen – auch zuvor war hier aber nur eine Spanne zu sehen und keine exakte Inzidenz. Auf erneute Nachfrage betont das RKI, es erstelle die Sieben-Tages-Inzidenz auf Basis der Zahlen des ECDC. Dies sei „rein rechnerisch“. Und wieder der Verweis auf andere: „Die Gegebenheiten vor Ort müssen wie gesagt von anderer Stelle bewertet werden.“

Das Auswärtige Amt antwortet erstmals offiziell (Anfragen 5 und 6)

Für mich heißt dies: Das RKI gibt die Daten nur weiter, eine Einordnung erfolgt nicht. Da mir wichtig ist, wie die Zahlen bewertet werden und wie die Entscheidung erfolgte, wende ich mich wieder ans Auswärtige Amt. Unter anderem stelle ich die Frage, wie oft die Ausweisung als Risikogebiet überprüft werde und ob dies täglich erfolge. Zudem aus meiner Sicht deutlich und leicht zu verstehen sind folgende Fragen: „Ist dem Auswärtigen Amt bekannt, ob in den Inzidenz-Zahlen Grenzgänger (also Nicht-Luxemburger) enthalten sind? Falls ja: Welche Rolle spielte das bei der Beurteilung?“. Und: „Ist dem Auswärtigen Amt bekannt, dass in Luxemburg neben den üblichen Tests auch Tests im Rahmen des Large-Scale-Testing stattfinden und bis zu 11.000 Tests täglich durchgeführt werden (und damit täglich bis zu 1,7 Prozent bezogen auf die Bevölkerung getestet werden)? Welche Rolle spielte das bei der Beurteilung?“

Immerhin: Das Auswärtige Amt antwortet erstmals so, dass ich es zitieren darf. Unter anderem mit der Aussage: „Unsere Reise- und Sicherheitshinweise einschließlich der Reisewarnung werden laufend überprüft und anlassbezogen immer dann angepasst, wenn die Lageentwicklung dies erfordert. Auch innerhalb Europas gilt aufgrund des Beschlusses des Bundeskabinetts vom 3. Juni unverändert, dass die Reisewarnung bestehen bleibt oder wieder ausgesprochen wird, wenn ein Land die Neuinfiziertenzahl im Verhältnis zur Bevölkerung von 50 Fällen pro 100.000 Einwohner kumulativ in den letzten 7 Tagen überschreitet; entscheidend sind dabei tatsächliche Trends in der Pandemieentwicklung, nicht Momentaufnahmen.“

Auf die Fragen wird leider wieder nicht eingegangen, stattdessen verweist die Pressestelle bei Zahlen – es entbehrt nicht einer gewissen Ironie – wieder auf das RKI. Jenes RKI, das mir geschrieben hatte, es gebe nur die Zahlen weiter – eine Einschätzung, die ich dem Auswärtigen Amt ebenso mitgeteilt hatte.

Die ersten Zahlen (Anfragen 7 und 8) 

Beim RKI hatte ich parallel zumindest darum gebeten, mir die Inzidenzen mitzuteilen, die ans Auswärtige Amt geliefert worden sind. Und nun kommen erstmals Auskünfte. Zitat des RKI: „Luxemburgs 7-Tage-Inzidenz liegt seit dem 10. Juli über 50/100.000 Einwohner. Vom 10. bis 14. Juli war die 7-Tages-Inzidenz von 52,78 bis 67,44 gestiegen. Am 15. Juli ist sie wieder gefallen (57,5), am 16. Juli lag sie wieder bei 66,14 und ist seitdem stetig angestiegen auf aktuell 92,36 (Zeitraum 13. Juli bis 19. Juli). Datenquelle ist das ECDC. Die 7-Tages-Inzidenzen werden täglich dem AA mitgeteilt.“ Die Nachfrage, ob in diesen Zahlen Grenzgänger enthalten sind, kann das RKI leider nicht beantworten. Es wird darauf verwiesen, dass die Zahlen vom ECDC kommen, das sie wiederum von den Ländern selbst zugeliefert bekommt. Da Luxemburg bis zur vergangenen Woche die Zahlen nicht getrennt ausgewiesen hat, ist klar: Die Grenzgänger sind enthalten. Was allerdings ebenfalls deutlich wird: Weder dem RKI noch dem Auswärtigen Amt war dies bei der Entscheidung bekannt. Insofern kann es – so meine Schlussfolgerung – auch keine Rolle gespielt haben.

Wie entscheiden die Ministerien (Anfrage 9 und folgende)?

Dem Auswärtigen Amt schreibe ich, dass leider keine meiner Fragen bisher beantwortet wurde und hake nach. Etwa mit diesen Fragen: „Erfolgt eine tägliche Überprüfung? Wann ist die letzte Überprüfung erfolgt?“ Und mit dem Zusatz, dass im Auswärtigen Amt ja auch die Entscheidung getroffen werde: „Ist bekannt, ob in den Zahlen die Grenzgänger enthalten sind? Hat bei der Einstufung Luxemburgs auch das Large-Scale-Testing (die Massentests) eine Rolle gespielt?“

Das Auswärtige Amt antwortet, dass Reise- und Sicherheitshinweise einschließlich der Reisewarnung durch das Auswärtige Amt täglich überprüft und anlassbezogen immer dann angepasst würden, wenn die Lageentwicklung dies erfordere. Die Bundesregierung überprüfe auch die Einstufung als Risikogebiet fortlaufend – die Entscheidung würden Auswärtiges Amt, Innenministerium und Gesundheitsministerium gemeinsam beschließen. Es folgt zudem ein noch allgemeinerer Teil. Zitat: „Die Risikobewertung bemisst sich am Gesamtbild der quantitativen und qualitativen Kriterien im jeweiligen Land; dies umfasst das aktuelle Infektionsgeschehen, aber u.a. auch die generelle Ausstattung des Gesundheitssystems, die bestehenden Testmöglichkeiten vor Ort und die ergriffenen Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie. Hierzu stehen unsere Botschaften und Konsulate in engem Kontakt zu Gesundheitsbehörden, internationalen Institutionen und anderen Auslandsvertretungen vor Ort.“ Zudem wird wieder auf RKI und ECDC verwiesen – zwei Institute, die nachweislich nicht mitentscheiden, sondern nur Zahlen liefern.

Mittlerweile ist Anfrage 10 am Laufen – die Antwort steht noch aus. Ich betone, dass diese Punkte nur vom Auswärtigen Amt beantwortet werden könnten und dies das RKI so sehe. Folgende Fragen sind derzeit also noch offen:

Ist Ihnen bei der Entscheidung bekannt gewesen, dass in den Ihnen übermittelten Inzidenzen auch die Grenzgänger enthalten sind? Und welche Rolle hat dies gespielt?

Ist Ihnen bei der Entscheidung bekannt gewesen, dass Luxemburg Massentests (Large-Scale-Testing) in der Bevölkerung durchführt? Welche Rolle hat dies gespielt?

Haben Sie mit Vertretern Luxemburgs vor der Entscheidung gesprochen? Und hatten diese die Möglichkeit, weitere Zahlen in die Entscheidung einzubringen?

Die Meinung des Journalisten und die Frage, ob Luxemburg Risikogebiet bleibt

Soll ich meine relativ erfolglose Recherche und die Fragen offen legen? Diese Frage habe ich mir gestellt und nach Rücksprache mit Kollegen mit Ja beantwortet. Es geht mir nicht darum, Pressestellen bloßzustellen. Und vielleicht sagt ja auch der ein oder andere, ich hätte bessere Fragen stellen sollen. Was mir aber wichtig ist: Darauf hinzuweisen, dass die Pressestellen in manchen Fällen das Gegenteil von dem machen, was sie eigentlich sollen. Ihre Aufgabe ist es, die Medien und damit ebenso die Öffentlichkeit zu informieren. Und sie sollen gerade in einer herausfordernden Phase wie dieser Dienstleister sein und nichts verhindern. Der Eindruck kommt bei mir in diesem Fall aber sehr deutlich auf.

J.Scholer
24. Juli 2020 - 13.41

Herr Bettel ist dem Volke noch eine Antwort schuldig. Wollte er doch auf dem wehleidigen Gipfel in Brüssel letztes Wochenende das Thema „ Risikogebiet Luxemburg“ zur Diskussion , Aufklärung stellen. Augenblicklich steht Luxemburg mit Ägypten gleich , was das Risiko angeht. Nach dem Gipfel ist Herr Bettel verstummt.