PorträtAufstieg und Fall des Etienne Schneider

Porträt / Aufstieg und Fall des Etienne Schneider
Am Montag will Vizepremierminister Etienne Schneider (48) die Öffentlichkeit über seine Zukunftspläne informieren Editpress/Alain Rischard

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Als Wirtschaftsminister und Vizepremier hat Etienne Schneider (LSAP) die Entwicklung Luxemburgs in den vergangenen Jahren entscheidend mitgeprägt. Nun will er sich aus der Politik zurückziehen. Seine Wachstumspolitik und seine Visionen entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist. Innerhalb seiner Partei fehlt es ihm zusehends an Unterstützung. Im Porträt  zeichnen wir den Aufstieg und Fall eines Machtpolitikers, der ganz nach oben wollte und am Ende doch immer nur auf dem zweiten Platz landete.

1971 in Düdelingen geboren, wuchs Etienne Schneider als mittleres von drei Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen im Bergbaudorf Tetingen auf. Nach der frühen Trennung seiner Eltern zog die Mutter ihre drei Söhne alleine groß. In seinem Heimatdorf war der junge Etienne Messdiener. Er engagierte sich in der katholischen „Lëtzebuerger Kanner Aktioun“ (LKA) und im Jugendklub „Jeunes en marche“ (JEM), der regelmäßig Theateraufführungen organisierte.

Nach seiner Schulzeit im „Lycée Nic Biever“ in Düdelingen und im „Lycée technique d’Esch-sur-Alzette“ studierte Etienne Schneider am „Institut catholique des hautes études commerciales“ (ICHEC) in Brüssel. Später zog er nach London, wo er an der University of Greenwich 1995 einen Hochschulabschluss in Handels- und Finanzwissenschaften erwarb. In den europäischen Metropolen lernte Schneider nicht nur viel über Wirtschaft und Handel, sondern genoss auch das Nachtleben ausgiebig.

Projektleiter bei der NATO

Nachdem er sein Studium beendet hatte, kehrte er nach Luxemburg zurück und wurde 1995 erstmals in den Kayler Gemeinderat gewählt. Der LSAP war er 1991 beigetreten. Immer wieder zog es ihn aber nach Brüssel, erst als wissenschaftlicher Assistent im Europäischen Parlament, später als Projektleiter bei der NATO. Zwischenzeitlich war er unter der Regierung Juncker-Poos I als Ökonom bei der LSAP-Fraktion in der Abgeordnetenkammer beschäftigt. Wirtschaftsminister war damals Robert Goebbels (LSAP).

Nach den Legislativwahlen 2004 holte der neue Wirtschaftsminister Jeannot Krecké den damals 33-Jährigen als Regierungsrat in sein Ministerium. Dort war er vor allem für die Bereiche Energie, elektronischen Handel und Datensicherheit zuständig. Als Verwaltungsratspräsident vertrat er den Staat als Hauptaktionär bei den Energiegesellschaften SEO und Cegedel.

Schöffe in Kayl

Bei den Gemeindewahlen 2005 belegte Schneider nur knapp hinter seinem Parteikollegen John Lorent den zweiten Platz und wurde Schöffe. Die beiden setzten es sich zur Aufgabe, die seit der Stahlkrise in den Dornröschenschlaf versetzte Gemeinde Kayl-Tetingen zu neuem Leben zu erwecken

Dank Schneiders Kontakten im Wirtschaftsministerium holten sie das Datenzenter der Post nach Kayl. Um die zwei Ortschaften der Gemeinde besser miteinander zu verbinden, gestalteten sie den großen Park „Ouerbett“ um. Für den Betrieb des Pavillons im Park konnte Schneider die Starköchin Léa Linster gewinnen. Von der eher bodenständigen Bevölkerung der Gemeinde wurde das „Pavillon Madeleine“ nie richtig angenommen. Im Januar dieses Jahres zog sich Léa Linster zurück und die Pacht wurde neu ausgeschrieben.

Neues Glück in Luxemburg-Stadt

Nach den Parlamentswahlen 2009 trat die Regierung Juncker-Asselborn ihre zweite Amtszeit an. Jeannot Krecké, der neben John Lorent als politischer Ziehvater Schneiders gilt, blieb Wirtschaftsminister und beförderte seinen Schützling zum Ersten Regierungsrat. Als Verwaltungsratsvorsitzender der Cegedel hatte Schneider die Verhandlungen geleitet, die 2009 zur Gründung des Energiekonzerns Enovos führten. Schneider stieg zum Vorsitzenden von Enovos International SA und der Enovos Deutschland AG auf. 2010 wurde er zusätzlich Präsident des Verwaltungsrates der Netzgesellschaft Creos. Ab 2011 übernahm er im Wirtschaftsministerium die Generaldirektion für Wirtschaftsentwicklung, Industrie und Unternehmen. Er hatte Macht und verdiente gutes Geld.

Seine politische Karriere war derweil ins Stocken geraten. Bei den Parlamentswahlen 2004 hatte Schneider nur den viertletzten Platz auf der LSAP-Liste im Süden belegt. 2009 kandidierte John Lorent für die Kayl-Tetinger Sektion, Schneider musste verzichten. Im August 2010 reichte Etienne Schneider seinen Rücktritt im Kayler Gemeinderat ein und zog in die Hauptstadt. Im Süden war es ihm zu eng geworden. In der Stadt Luxemburg fand der inzwischen 40-Jährige neues politisches, aber auch privates Glück.

Kreckés Nachfolge und Goebbels’ Wette

Als LSAP-Wirtschaftsminister Krecké am 10. November 2011 seinen Rücktritt bekannt gab, war schnell klar, wer sein Nachfolger werden würde. Etienne Schneider wurde als nächster Spitzenkandidat der Sozialisten im Zentrumsbezirk aufgebaut. In einem am 6. Dezember 2011 im Tageblatt veröffentlichten Beitrag schrieb Goebbels: „Etienne Schneider mag noch für viele Mitbürger ein unbeschriebenes Blatt sein. Auch hat er so viel abgespeckt, dass man zwei Mal hinschauen muss, um ihn einmal zu sehen. Doch beides wird sich rasch ändern. Ich gehe jede Wette ein, dass Etienne Schneider bei den nächsten Wahlen vom Wähler erfolgreich bestätigt wird.“ Goebbels sollte seine Wette gewinnen.

Am 1. Februar 2012 übernahm Etienne Schneider Kreckés Amt. Ohne gewählt zu werden, hatte er den Sprung von der Lokalpolitik in die Regierung geschafft. Er hatte sein Körpergewicht merklich reduziert und sich ein neues, dynamischeres Image verpasst. Minister verdienen zwar weniger Geld als hohe Beamte, doch dafür haben sie noch mehr Macht.

Schneider setzte es sich zur Aufgabe, die Luxemburger Wirtschaft zu diversifizieren und neue Unternehmen anzuziehen. Er jettete mit Wirtschaftsdelegationen quer durch die Welt und rettete nebenbei die Cargolux. In Russland warb er für den Standort Luxemburg, in Kanada für das Freihandelsabkommen CETA. Der Ausbau der Technologiebranche war eines seiner wichtigsten Anliegen. In Düdelingen schuf er ein Logistikzentrum und am Flughafen Findel eine Freihandelszone. Als der Leiter des Freeport negativ in die Schlagzeilen geriet, übernahm Robert Goebbels 2016 die Präsidentschaft.

Vizepremier 2013

Aus den vorgezogenen Parlamentswahlen 2013 ging Etienne Schneider als großer Gewinner hervor. Auf der LSAP-Liste im Zentrum erhielt er als Spitzenkandidat fast doppelt so viele Stimmen wie der Zweitgewählte Marc Angel. Bei den Einzelstimmen lagen nur Xavier Bettel (DP) und Luc Frieden (CSV) vor dem Neu-„Stater“ aus dem Süden. Mit Bettel und dem Grünen Felix Braz handelte Etienne Schneider die Dreierkoalition aus und besiegelte den historischen Wechsel. Die CSV musste erstmals seit 1979 wieder in die Opposition.

Schneiders Hoffnung, Premierminister zu werden, machte die DP aber zunichte. Wie schon 2005 in Kayl musste er sich wieder mit dem Stellvertreterposten zufrieden geben. Als Vizepremier und Wirtschaftsminister prägte Etienne Schneider die vergangenen sechs Jahre entscheidend mit. Mit Finanzminister Pierre Gramegna (DP) musste er den „Zukunftspak“ beschließen, um Luxemburg aus der „Krise“ zu führen.

Jeremy Rifkin und Space Mining

Bei dem Ökonomen Jeremy Rifkin kaufte er einen Plan ein, um Luxemburg in die digitale Zukunft zu leiten, und mit seiner Staatssekretärin Francine Closener suchte er weiter in der ganzen Welt nach neuen Wachstumsmöglichkeiten für die Luxemburger Wirtschaft. Mit mehr oder weniger einfallsreichen Slogans schufen die beiden eine neue „Corporate Identity“ für den Wirtschaftsstandort und förderten das „Nation Branding“. Und ganz nebenbei musste Schneider noch Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Armee beseitigen und Reformen bei der Polizei beschließen.

Auf seiner Suche nach wirtschaftlicher Diversifizierung stieß Schneider auf die Weltraumfahrt. Mitte 2016 gab er bekannt, dass sich Luxemburg im Bereich des Space Mining engagieren wolle. Für einen Jungen aus dem „Minett“ schien dieser Schritt nicht abwegig. Der Bergbau hatte die Luxemburger Wirtschaft mehr als ein Jahrhundert lang geprägt. Etienne Schneider wollte diesen Traum weiterträumen. Das Fachmagazin Space News verlieh ihm Ende 2017 den Titel „Leader of the Year“. Doch die sozialistische Parteibasis konnte Schneiders Begeisterung für den Bergbau im Weltraum nur bedingt teilen. Vor allem im linken Lager der LSAP regte sich Widerstand.

Vizepremier 2018

Bei den Parlamentswahlen 2018 verlor die LSAP drei Sitze. Auch im Zentrum mussten die Sozialisten ein Mandat abgeben. Schneiders persönliches Resultat kam nicht an das von 2013 heran. Seine schlanke Figur hatte er bereits vor seiner Hochzeit mit seinem 20 Jahre jüngeren Partner Jérôme Domange im November 2016 verloren. Sein Vorschlag, in Luxemburg eine politische Bewegung nach dem Vorbild von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron „En marche!“ zu gründen, sorgte in der eigenen Partei für Unmut und Spott. Nur dank der Zugewinne der Grünen konnte die Dreierkoalition fortgeführt werden. Fortan musste Etienne Schneider sich das Amt des Vizepremiers mit Felix Braz teilen, der nach seiner Krankheit von François Bausch ersetzt wurde.

Seit 2013 hat sich die Weltlage stark verändert. Wissenschaftler warnen eindringlich vor den Folgen des Klimawandels. Jugendliche demonstrieren auch in Luxemburg für mehr Klimagerechtigkeit. Das von Schneider bevorzugte, alleine auf quantitatives Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsmodell wird inzwischen selbst von der CSV und Teilen der LSAP hinterfragt.

Alles andere als grün

Etienne Schneider war nie ein Grüner. Zwar hat er sich Umwelttechnologien nicht verschlossen, doch wirklich gefördert hat er sie auch nicht. Viele Unternehmen, die er angeworben hat, waren alles andere als grün. Seine Vorstellung vom „Space Mining“ und von der Kolonialisierung des Weltraums passt nur noch bedingt in den Zeitgeist. Das Google-Datenzentrum, das Bettel und Schneider nach Luxemburg holen wollen, stößt zunehmend auf Kritik. Die geplante Steinwollefabrik in der Gemeinde Sanem und die Joghurtmanufaktur in Düdelingen wurden von sozialistischen Bürgermeistern abgelehnt.

Zur ökologischen Transition hat Schneider mit seiner Wirtschaftspolitik nur wenig beigesteuert. Seine persönliche Vorliebe für alte Luxuskarossen passt ebenfalls nicht in das grüne Weltbild. Mit der Gesundheit hat Schneider 2018 ein schwieriges Ressort übernommen. Die Legalisierung von Cannabis gestaltet sich komplizierter als anfangs angenommen.

Für viele in der LSAP zu liberal

Seine Ministerien leitet er wie der Geschäftsführer eines Privatunternehmens. Von Transparenz hält er nicht viel. Der Macher, der er während seiner Zeit als Regierungsrat im Wirtschaftsministerium war und gerne wieder wäre, lässt sich nicht in seine Entscheidungen reinreden. Obwohl er stets den Index verteidigte, denkt Etienne Schneider vielen in der LSAP inzwischen zu liberal. Seinen Traum, Premierminister zu werden, wird er sich mit den ständig an Zustimmung verlierenden Sozialisten nicht mehr erfüllen können.

Ist Etienne Schneider mit seinen Visionen und seiner Wirtschaftspolitik gescheitert? Sein angekündigter Rücktritt aus der Regierung legt diese Vermutung jedenfalls nahe. Welche Konsequenzen er daraus zieht, wird er am Montag auf einer Pressekonferenz verkünden.

Biirger
24. Dezember 2019 - 16.12

Dat do ass eng gudd Saach fiir eist Land.

Realist
24. Dezember 2019 - 13.47

Dann kann der Machtkampf zwischen Fayot und Kersch um die Führung der Lsap ja jetzt endlich offen ausgetragen werden.

King
24. Dezember 2019 - 11.26

2023 geht et der LSAP wéi et der Titanic gang ass

jeff
23. Dezember 2019 - 12.15

U wien soll ech meng Pläng vum Letzebuerger Raumfrachter schecken?Hun se bal ferdeg.

ClaudeK
23. Dezember 2019 - 11.17

@Tageblatt De Layout vun der Säit ass grujeleg. Ech bréngen et mat engem normale PC (Firefox-Browser) nët färdeg den Tesxte vum Artikel unzeweisen. Den Texte gët ofgeschnidden an durch d'Kommentaren iwwerlagert.

en Idealist
22. Dezember 2019 - 13.07

Ich dachte Politik ist Teamwork, wie im Sport eine geschlossene Mannschaft, wo jeder auf jeden zählen kann. Habe mich geirrt. Ichmenschen eignen sich nicht zum Teamwork. Da sind die Partikularinteressen, wenn's drauf ankommt , dann doch grösser!

Grober J-P.
21. Dezember 2019 - 16.45

Opportunisten fallen nicht weit.

de Prolet
21. Dezember 2019 - 16.44

Es ist weder ein Aufstieg noch ein Fall. Schneider kam als Seiteneinsteiger sofort in die Regierung und er hat diese aus eigenen Stücken wieder verlassen. Er war nie ein Politiker im eigentlichen Sinn, er war und ist ein Technokrat. Böse Zungen behaupten, ob zu Recht oder zu Unrecht, er sei ein Opportunist resp. Karrierist. Dass bei ihm die Karriere im Vordergrund steht, hat er durch den Wechsel in die Wirtschaft bewiesen. Er hat auch keine besonderen Verdienste um sein Land, denn er hat nur seine Pflicht getan und ist für seine Arbeit gut entlohnt worden.

en ale Sozi
21. Dezember 2019 - 10.51

Ët gët e Letzebuerger Sprechwuert, dat seet: " Wann ët dem Iesel zu gutt geet, geet en op d'Eis danzen ". Ausserdem war den Etienne Schneider an där falscher Partei .

Anne
20. Dezember 2019 - 22.44

Waat heescht hei Fall? Hut Dir se nach all? Den E.S. wärt sech dach wuel nach emorientéieren kënnen?

Küster Mich
20. Dezember 2019 - 21.29

"Seine Vorstellung vom „Space Mining“ und von der Kolonialisierung des Weltraums passt nur noch bedingt in den Zeitgeist." Dreckige Industrien in die unendlichen Weiten des Weltalls zu versetzen ist das Grünste für den Planeten was man tun kann. Keine Nimbys, nichts.