Esch 2022Generaldirektorin Nancy Braun: „Wenn wir den Kuchen aufteilen, können viel mehr Menschen mitmachen“

Esch 2022 / Generaldirektorin Nancy Braun: „Wenn wir den Kuchen aufteilen, können viel mehr Menschen mitmachen“
 Foto: Editpress/Feller Tania

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In den letzten Monaten ist es still um Esch 2022 geworden. Zu still, kritisieren einige. Am 31. Dezember endet der Projektaufruf für die Teilnahme am Kulturjahr. Das Tageblatt hat mit der Generaldirektorin Nancy Braun über den Entscheidungsprozess der Jury, über den ein oder anderen Kritikpunkt gesprochen und mit ihr den Blick ins neue Jahr gewagt.

Tageblatt: Der Projektaufruf läuft noch bis zum 31. Dezember. Was passiert mit den Projekten, die eingereicht werden?

Nancy Braun: Sobald der Projektträger sein Projekt hereingibt, ist dieses in unserem System gespeichert. Dann lesen unsere Mitarbeiter das Ganze ein erstes Mal durch, um sicherzustellen, dass das Dossier komplett ist. Sollten hier schon grundlegende Elemente fehlen, wird Kontakt mit dem Projektträger aufgenommen, damit nachgebessert werden kann. Dann wird eine gewisse Anzahl an Projekten auf eine Liste geschrieben, die dem „Comité de lecture“, also der Jury, vorgelegt wird.

Was passiert in diesem Komitee?

Dieser Vorstand trifft sich alle drei bis vier Wochen. Dann wird einen ganzen Tag lang über mehr als 60 Projekte diskutiert. Jedes Vorstandsmitglied hat einen anderen Schwerpunkt, aus dem sich seine Kriterien ergeben. Durch die verschiedenen Blickwinkel entstehen interessante Diskussionen. Da kommt es schon mal vor, dass sich Meinungen noch einmal ändern. Das „Comité de lecture“ gibt dem Verwaltungsrat seine Vorschläge weiter. Der nimmt diese dann an oder auch nicht. Es kann natürlich auch sein, dass er das anders sieht. Wurde die endgültige Entscheidung vom Verwaltungsrat getroffen, bekommt der Projektträger einen Brief. Darin steht, in welche Kategorie sein Projekt fällt.

Welche Kategorien sind das?

Es gibt vier Kategorien. Fällt das Projekt in die erste, ist es richtig gut und kann ins Programm mit aufgenommen werden – unter der Bedingung, dass wir uns mit dem Budget einig werden. Die zweite Kategorie bedeutet, dass das Projekt sehr vielversprechend ist, aber es muss noch an dem einen oder anderen Aspekt gearbeitet werden. Die Verbesserungsvorschläge lassen wir den Projektträgern dann zukommen. Die dritte Kategorie bedeutet eine Ablehnung. Wenn das Projekt zum Beispiel nicht zum Thema passt oder nicht auf dem Gebiet von Esch 2022 stattfindet. Aber auch hier sind wir offen, mit den Projektträgern zu reden und zu schauen, ob daraus nicht doch noch etwas Interessantes entstehen kann. Nach einer Absage soll auch niemand sich scheuen, etwas Neues einzureichen. Die vierte Kategorie betrifft Personen, die eine Idee haben, die sie jedoch nicht alleine umsetzen können. Wir versuchen dann dabei zu helfen, einen Projektträger zu finden.

Was passiert mit Projekten, die mehrmals in ähnlicher Form eingereicht werden?

Dann versuchen wir, Kontakt mit den verschiedenen Akteuren aufzunehmen und einen Dialog herzustellen. Damit sie sehen können, ob ein gemeinsames Projekt sinnvoll wäre. Das Gleiche versuchen wir, wenn zwei Projekte gut zusammenpassen könnten.

Wie viele Projekte sind schon durch das „Comité de lecture“?

In unserem System wurden bereits über 570 Nutzer erstellt. Diese Zahl variiert jedoch jeden Tag. Details will ich – auch aus Respekt vor den Projektträgern – keine angeben. Das tun wir nach dem 31. Dezember, wenn der Aufruf abgeschlossen ist. Dann wird es wahrscheinlich noch einmal so gehen wie im Juli, am Tag der ursprünglich geplanten Deadline. An dem Tag ist unser System fast geplatzt, weil kurz vor Mitternacht noch einmal so viele Projekte hereingekommen sind.

Aus welchem Grund genau fiel eigentlich die Entscheidung, den Projektaufruf um fünf Monate zu verlängern?

Zum einen haben wir gesehen, dass am 31. Juni sehr viele Nutzer erstellt worden waren, die aber noch nicht fertig mit ihren Projekten waren. Wir haben darin noch Potenzial erkannt und empfanden es als angemessen, ihnen die Chance zu geben, ihre Arbeit abzuschließen. Gleichzeitig haben wir die Gelegenheit genutzt, den angrenzenden französischsprachigen Teil der „Communauté de communes du Pays Haut Val d’Alzette“ dazu anzuregen, auch Projekte einzureichen.

Es gab aber auch Kritik an der Verlängerung …

Einige waren nicht sehr glücklich darüber, weil sie sich derart beeilt hatten, um ihr Projekt bis zum 31. Juli fertigzustellen. Ich habe denjenigen immer gesagt, sie sollen froh sein, weil sie es hinter sich haben und den Sommer genießen können. Durch die Verlängerung sind noch eine ganze Reihe anderer Leute auf die Idee gekommen, mitzumachen und es sind spannende Kooperationsprojekte entstanden. Für mich hatte die Verlängerung einen sehr positiven Effekt. Und für all diejenigen, die ihr Projekt schon abgegeben hatten, besteht immer noch die Möglichkeit, etwas zu ändern oder nachzubessern. Das haben auch manche getan.

Wie kam es zu der Entscheidung, die Projekte nur noch zur Hälfte zu finanzieren?

Wenn wir den Kuchen aufteilen, können viel mehr Menschen mitmachen. Sonst hätten wir vielleicht sieben millionenschwere Projekte finanziert und es wäre nichts mehr für kleinere Strukturen übrig geblieben. Ein weiterer Grund ist die Eigenverantwortung, die damit einhergeht, dass der Projektträger eine Hälfte selbst bezahlt. Er muss sich Gedanken darüber machen, woher er das Geld nimmt. Dadurch denkt er vielleicht darüber nach, mit anderen Strukturen zusammenzuarbeiten, die eventuell dazu bereit sind, das Projekt über 2022 hinaus zu unterstützen. Das macht das Projekt nachhaltig und das ist eins unserer Ziele.

Schließt die 50-prozentige Finanzierung nicht vielleicht diejenigen aus, die sich das nicht leisten können?

Wenn eine super Idee zu uns kommt, von der der Projektträger begeistert ist, aber nicht weiß, wie er es finanzieren soll, sind wir die letzten, die ihn wegschicken. Wenn wir den Mehrwert sehen, finden wir Wege, wie die Finanzierung und die Umsetzung des Projektes garantiert werden kann.

Die Projekte können noch bis zum 31. Dezember eingereicht werden. Wie lange dauert es danach, bis jeder eine Antwort hat?

Verschiedene Briefe sind bereits verschickt worden. Das ist ein kontinuierlicher Prozess. Die letzten Versammlungen des „Comité de lecture“ werden wohl Ende Januar sein. Das hängt davon ab, wie viele Projekte noch am 31. Dezember hereinkommen. Bis Mitte Februar werden die letzten Briefe verschickt sein.

Es besteht die Angst, dass die Zeit nicht mehr reicht, die großen Projekte bis 2022 umzusetzen. Wie sehen Sie das?

Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, das ist ganz klar. Wenn alle Briefe verschickt sind und wir uns mit den Projektträgern über ein Budget einig werden, wird es relativ schnell zu einer Konvention kommen. Ich bin sehr positiv gestimmt, dass jeder sein Projekt noch so umsetzen kann, wie er sich das vorgestellt hat. So oder so müssen wir darauf vorbereitet sein, dass im Laufe der Umsetzungsphase auch noch Änderungen an verschiedenen Initiativen vorgenommen werden. Das muss dann mit uns besprochen werden und wir sehen dann, wie wir das unterstützen können.

Wie viele Menschen arbeiten inzwischen für Esch 2022?

Als ich übernommen habe, war ich alleine. Inzwischen sind wir ein Team von zwölf Leuten. In unserem Organigramm sind zwischen 25 und 30 Mitarbeiter vorgesehen, wir werden also noch wachsen. Wir arbeiten aber auch sehr gut mit den Gemeinden zusammen. Inzwischen haben alle Kommunen einen „Service culturel“ und die Mitarbeiter dort gehören für mich auch zu unserem Team. Sie arbeiten in ihren Gemeinden an den Projekten und stellen sich den gleichen Herausforderungen wie wir.

In letzter Zeit wurde häufig wiederholt, es sei ein falsches Zeichen, dass das Büro von Esch 2022 in Differdingen und nicht in Esch ist. Was ist Ihre Meinung dazu?

Wenn diejenigen, die vor mir in der Verantwortung waren, sich um Büros gekümmert hätten, wären wir jetzt wahrscheinlich in Esch. Am Anfang wurden verschiedene Vorschläge gemacht, darunter der „Pavillon“ auf dem Brillplatz. Stellen Sie sich vor, es säßen zwölf Personen in diesem Pavillon. Wo würden wir denn da unsere Versammlungen abhalten? Dann gab es noch einen Vorschlag, Räumlichkeiten in der Alzettestraße zu beziehen, die jedoch noch nicht fertig waren. Wir haben etwas gesucht, wo wir sofort einziehen konnten. Der Creative Hub in Differdingen war eine kurzfristige und praktische Lösung, damit wir mit unserer Arbeit anfangen können. Als es darum ging, diese Entscheidung zu treffen, hatte ich ehrlich gesagt auch keine Zeit, mir Gedanken über das Büro zu machen. Es standen ganz andere, wichtige Entscheidungen an. Auch jetzt sind wir noch in einer Aufbauphase. Ob wir jetzt hier sind oder in Esch, spielt, zumindest im Moment noch, keine Rolle.

Ist ein Umzug geplant?

Ja. Wir werden auf Belval ziehen. Dort werden zwei Container-Türme für uns aufgebaut. Das Gesetzesprojekt muss noch gestimmt werden und ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Aber wenn wir in einem Jahr umziehen könnten, wäre das natürlich toll.

Eine weitere Kritik ist, dass es zu still um Esch 2022 geworden ist.

Wenn es still um ein solches Projekt ist, heißt das nicht, dass nichts passiert. Trotzdem ändert sich das im nächsten Jahr. Am 20. Februar 2020 organisieren wir eine Pressekonferenz, in der wir mit unserer Drei-Phasen-Kommunikation, wie wir sie nennen, starten. Wir arbeiten gerade an einer neuen Internetseite, die vorgestellt wird. In der Pressekonferenz wird es sowohl einen Rückblick auf das bisher Erarbeitete als auch einen Blick auf alles Zukünftige geben. Es wird ein erstes Gefühl davon vermittelt, was die Menschen bei der Eröffnungszeremonie erwartet, welche Sprache wir sprechen und wofür wir stehen. Wir wollen neugierig machen.

Wird neben der Pressekonferenz auch etwas für die Bürger direkt organisiert?

Die beiden Tage nach der Pressekonferenz organisieren wir eine Informationsveranstaltung für die Bürger, die uns vor Ort alle Fragen stellen und uns Ideen mitteilen können. Ab dem Datum werden wir auch sichtbarer nach außen sein. Die Sichtbarkeit und die Kommunikation steigern sich in drei Phasen, je näher wir dem Kulturjahr kommen. Wir werden auch in den Gemeinden präsent sein, um uns dort mit den Bewohnern auszutauschen und ihnen den Mehrwert des Kulturjahres näherzubringen. Der „Pavillon“ auf dem Brillplatz wird umgetauft in „Annexe 22“, wo verschiedene Termine organisiert werden. Solche „Annexen“ soll es auch noch an anderen Orten in der Region geben.

Verfolgen Sie den Prozess, der derzeit im Fall Janina Strötgen und Andreas Wagner läuft?

Das Gericht hat entschieden, dass die beiden von Anfang an einen unbefristeten Arbeitsvertrag hätten haben müssen. Ich weiß bloß, dass die Asbl gegen diese Entscheidung in Berufung gehen will. Darum kümmert sich der administrative Bereich von Esch 2022. Wir als Team lassen uns davon nicht beeinflussen. Unsere Aufgabe ist es, etwas Positives für die Region darzustellen und diese gemeinsam mit ihren Einwohnern nach vorne zu bringen.

Was ist für Sie die große Mission von Esch 2022?

Wir wollen einen Dialog darüber führen, was Kultur überhaupt ist. Ganz oft fühlen sich die Menschen nicht davon betroffen. Dabei gehören Sport, Architektur und Gastronomie genauso zur Luxemburger Kultur wie Tanz, Theater, Musik und die anderen, klassischeren Bereiche. Kultur beinhaltet eine große Bandbreite an Themen, mit denen wir jeden Tag in Berührung sind und überhaupt nicht als solche erkennen. Es ist alles, was uns umgibt. Wenn wir diese Botschaft vermitteln und Berührungsängste auflösen können, haben wir eine Mission erfüllt.

Zugänglichkeit ist ebenfalls ein Thema.

Inklusion ist ein Aspekt, der uns sehr wichtig ist. Dabei geht es nicht nur um Barrierefreiheit für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, sondern auch für diejenigen, die unter anderen Handicaps leiden. Auch wenn wir nicht alles perfekt und für jeden zugänglich hinbekommen – das Bewusstsein ist da und das wollen wir auch bei unseren Projektpartnern hervorrufen. Ziel ist es, sich Zeit zu nehmen, über die Barrierefreiheit nachzudenken und das zum Reflex zu machen. Dazu wollen wir durch Esch 2022 einen Anstoß geben.