Donnerstag6. November 2025

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Gilles Muller: Wie hat sich das Leben des ehemaligen Tennisprofis verändert?

Gilles Muller: Wie hat sich das Leben des ehemaligen Tennisprofis verändert?

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Mittlerweile ist es genau drei Monate her, dass Gilles Muller die letzte Partie seiner Karriere bestritten hat. Die Zeiten, in denen alles auf den Sport ausgerichtet war, sind für ihn definitiv vorbei. Jetzt gelten für den 35-Jährigen ganz andere Prioritäten.

15.26 Uhr Ortszeit in New York. Nach einem langen und erbitterten Kampf gegen Lorenzo Sonego musste Gilles Muller in der ersten Runde der US Open eine Fünfsatz-Niederlage hinnehmen. Es war seitdem das letzte Mal, dass Luxemburgs bester Tennisspieler aller Zeiten einen Schläger in der Hand hielt. Für den 35-Jährigen ging damit auch eine Leidenszeit zu Ende. 2018 war für den Linkshänder wegen seiner Ellbogenverletzung nämlich eine regelrechte Qual. „Ich habe mehr Zeit beim Physiotherapeuten verbracht als auf dem Platz. Das hat in dieser Saison einfach keinen Spaß mehr gemacht“, gibt „Mulles“ zu verstehen.

Mit dem Karriereende hat sich auch die ganze Lebensweise von Muller schlagartig verändert. Die Zeiten, in denen fast jede einzelne Sekunde durchgeplant sein musste, sind nun definitiv vorbei. „Mein Tagesablauf ist definitiv viel entspannter geworden. Ich kann mal etwas Spontanes unternehmen und vor allem mehr von meinen Wochenenden profitieren. Früher hatte ich quasi nie die Möglichkeit, einmal richtig auszuschlafen, weil morgens schon die erste Trainingseinheit auf mich wartete. Ich habe stets nach einem sehr strikten Plan gelebt: Die Schlaf- und Trainingszeiten sowie der Essensplan waren vorgegeben.“

Bei Turnieren war das Programm noch geregelter. Am Tag eines Matchs war alles auf die anstehende Partie ausgerichtet. Lange Tage warteten so stets auf den ehemaligen Juniorenweltmeister von 2001. „Auch wenn das Spiel erst am Mittag stattfand, so habe ich mich auch schon morgens früh eingespielt. Aufwärmen, Trainingseinheiten und physiotherapeutische Behandlungen forderten ebenfalls Zeit. Alles in allem kam ich mit der ganzen Vorbereitung und präventiven Maßnahmen auf mehr als vier Stunden. Dazu musste ich noch mindestens eine halbe Stunde für die Pressearbeit einrechnen. Das ganze Drumherum hat eigentlich immer mehr Zeit in Anspruch genommen als die eigentliche Partie selbst. Außer natürlich bei meinen paar Fünfsatz-Krimis“, stellt der Luxemburger fest.

„Familie hat Priorität“

Freizeit war für Muller in seiner aktiven Zeit als Sportler ein Fremdwort. Der ehemalige Tennisprofi bereiste zwar die größten Metropolen der Welt wie z.B. New York oder Schanghai, doch von den Städten selbst bekam er nur wenig zu sehen. In Miami besuchte er an einem freien Tag einmal ein Basketballspiel, in New York eine Baseballpartie. Das war’s dann schon. Richtiges Sightseeing kam für ihn nie infrage. Zu sehr plagte den Perfektionisten dann das schlechte Gewissen. „Es war in den letzten Jahren für mich sehr schwierig, immer die richtige Balance zwischen Arbeit und Freizeitgestaltung zu finden. Mit zunehmender Erfahrung macht man sich über so viele Dinge Gedanken. Spitzensportler sind auch nur Menschen und keine Roboter. Deshalb müssen sie sich auch Ruhepausen gönnen können. Wie in meinem Fall hätte ich das Tennis somit einmal komplett für einen Tag vergessen müssen. Aber ich spürte stets diesen Druck, diese Unruhe und diese Anspannung in mir“, beschreibt er seine damalige Gefühlslage.

Mit dieser Nervosität und den vielen Gedanken plagt sich die Ex-Nummer 21 der Welt jetzt nicht mehr herum. Das Kapitel Tennisprofi ist für ihn definitiv erledigt. Überhaupt bereut er keine Sekunde, in dieser Saison seinen Rücktritt erklärt zu haben. Seine derzeitige Lebensweise gefällt ihm nämlich sehr gut. „Es ist ja auch nicht so, dass ich jetzt den ganzen Tag locker auf der Couch verbringe und vor dem Fernseher hocke“, gesteht der zweifache ATP-Turniersieger. Als Profisportler war Muller über 30 Wochen im Jahr auf der Profitour unterwegs. Weit weg von Familie und Freunden. Genau diese Momente mit dem engsten Umfeld kamen in den letzten Jahren meistens zu kurz. Deshalb ist es nur verständlich, dass die höchste Priorität des Spora-Spielers derzeit ist, gemeinsame Stunden mit seinen zwei Söhnen und seiner Frau zu verbringen. „Meine Familie genießt derzeit absoluten Vorrang. Ich will jetzt hundertprozentig für sie da sein. Morgens bringe ich die Jungs z.B. zur Schule. Ansonsten spiele ich des Öfteren Taxi, damit die beiden ihren Trainingseinheiten im Fußball nachgehen können. Ich fühle mich jetzt wieder als ein richtiger Teil der Familie.“

Kommentator bei Tennis TV

Neben der Familie spielen Medienarbeit und – wie nicht anders zu erwarten – Sport ebenfalls eine große Rolle nach seinem Rücktritt. Im nächsten Jahr wird der Luxemburger mindestens für fünf Wochen als Kommentator bei Tennis TV (Anm. d. Red.: Streaming-Dienst, wo Spiele der ATP-Tour ausgestrahlt werden) arbeiten. Bei den ATP-Finals in London sammelte er während drei Tagen seine ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet. „Meine Stärke liegt eher in der Spielanalyse. Gegen einen Großteil dieser Spieler bin ich auch noch selbst angetreten.“ Doch Mullers Expertenmeinung ist nicht nur bei internationalen Medien gefragt. Hierzulande führt der gebürtige Schifflinger Interviews in einer Radiosendung auf RTL Lëtzebuerg.

Sein Verein Tennis Spora ist ebenfalls an einer engeren Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Profi interessiert. „Der Klub hat viele Projekte, in die er mich einbinden will, doch bis zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nichts konkret“, verrät der zweifache Familienvater. Ansonsten wurden schon Gespräche mit Personen geführt, die Muller einige Jobperspektiven angeboten haben. Er werde sich aber nicht auf jedes sich bietende Angebot stürzen, schließlich soll seine zukünftige Tätigkeit mit seinen Wertvorstellungen übereinstimmen.

Dass ein ehemaliger Tennisprofi aber nicht ganz ohne Sport auskommen kann, versteht sich fast von selbst. Dabei wurde das Tennisracket in den letzten Monaten oft gegen einen Golfschläger ausgetauscht. Golf und Fußball gehören derzeit zu Mullers sportlichen Betätigungen. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht wieder ins alte Schema verfalle. Ich muss schließlich auch für die Familie da sein.“ Muller spielt einmal pro Woche in Bartringen Fußball. „Das kommt auch meiner Figur zugute, denn ich hatte schon immer mit Gewichtsproblemen zu kämpfen“, scherzt er.

„Nur ein Traum“

Der 1,93 m große Hüne zeigte bei seinen bisherigen Einsätzen, dass er durchaus Qualitäten im Umgang mit dem runden Leder mitbringt. „Am Anfang wurde ich als Stürmer eingesetzt. Diese Position lag mir aber nicht wirklich. Doch es geht mir in den Begegnungen meistens darum, mich komplett zu verausgaben. Ich bin nicht derjenige, der bei der Eckfahne nur warten will, bis er den Ball zugespielt bekommt. Deshalb kam ich in den letzten Begegnungen im linken Mittelfeld zum Einsatz. Meine Statistik lässt sich durchaus sehen: ein Tor und sieben Vorlagen aus acht Partien. Was mir noch ein wenig fehlt, ist die nötige Aggressivität in den Duellen. Außerdem muss ich noch lernen, selbst mehr den Abschluss zu suchen. Ich tendiere eher dazu, meine Mitspieler in Szene setzen zu wollen“, gibt „Mulles“ zu verstehen. Den Golfsport hat der Linkshänder vor knapp sechs Jahren entdeckt. „Es nimmt aber sehr viel Zeit in Anspruch. Aus diesem Grund schlage ich höchstens zweimal die Woche ein paar Bälle.“

Obwohl Muller das derzeitige Leben richtig gefällt, fehlt ihm das Leben als Profisportler trotzdem ein wenig. „Natürlich vermisse ich es schon manchmal, nicht mehr Teil dieses ganzen Profitennis-Zirkus zu sein. Auf diesem Top-Niveau spielen zu können, ist einfach nur ein Traum. Man steht auf den größten Courts der Welt, die ich früher nur aus dem Fernsehen kannte. Tausende von Leuten jubeln dir zu, das Gefühl nach einem Matchgewinn ist einfach nicht in Worte zu fassen. Ich werde nie mehr diese Nervosität vor einer Begegnung spüren. Ich war Teil einer riesigen Show. Das wird mir jetzt stärker bewusst. Nur sehr wenige Berufe sind mit derartigen Emotionen verbunden.“ Doch der 35-Jährige ist sich durchaus im Klaren darüber, dass auch der jetzige Lebensabschnitt nur eine Übergangsphase ist. „In Zukunft werde ich einer normalen Arbeit nachgehen.“ Doch bis es so weit ist, genießt er die jetzige Zeit in vollen Zügen – etwas, was er in seinen vergangenen Jahren ja nicht immer unbedingt kannte.


Gilles Muller war in seiner aktiven Laufbahn wegen seiner Wortgewandtheit und Sprachkenntnisse bei den Medien beliebt. Seit Kurzem schlüpft er nun selbst in die Rolle des Interviewers. Das Tageblatt wollte von ihm wissen, welchen Umgang der 35-Jährige mit den Medien pflegte und wie er in verschiedenen Situationen reagierte.

Welche Fragen waren für Sie unangenehm?

Eine Frage, die ich nie gern gestellt bekommen habe, war, ob ich trotz meiner Niederlage ein gutes Spiel abgeliefert habe. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich habe eine Partie verloren, Schluss, aus und Ende. Es gibt da kein Dazwischen. Meistens hatte ich eine halbe Stunde danach mein verlorenes Duell noch nicht so richtig verkraftet. Deshalb war ich nicht gerade froh, über meine „nicht allzu schlechte“ Leistung reden zu müssen. Aber meistens wurde diese Frage benutzt, um ins Interview hineinzufinden. Das ist wohl eine Luxemburger Krankheit (lacht). Ebenfalls Fragen über den Gegner, wenn dieser sich in einer scheinbaren Krise befindet, kamen bei mir nicht so gut an.

Welche Frage bekamen Sie am häufigsten gestellt?

Meine Ellbogen war in den letzten Jahren das Gesprächsthema Nummer eins. Es ist klar, dass dies mit der Zeit ein wenig genervt hat. Aber ich war mir aber auch stets bewusst, dass es die Rolle des Journalisten ist, sich danach zu erkundigen. Ich habe aber versucht, die Medien so gut wie möglich über diese Verletzung zu informieren. Ich muss aber auch zugeben, dass ich diesbezüglich nicht immer mit der ganzen Wahrheit herausgerückt bin. Doch das ist normal, denn ich wollte nicht, dass dies zu sehr in der Öffentlichkeit – auch international – die Runde macht. Das hätte mir geschadet, denn so hätten meine Gegner auch Wind davon bekommen und sich vielleicht anders auf mich eingestellt. Hätte ich so pikante Details preisgegeben, wäre dies vielleicht auch interessant für Wettbüros gewesen.

Hatten Sie nach verlorenen Partien keine Lust auf die Medien?

Selbstverständlich war eine Pressekonferenz für mich einfacher, wenn ich als Sieger vom Platz gehen konnte. Wenn ich eine Partie verloren habe, wollte ich eigentlich so schnell wie möglich nach Hause. Man ist einfach nur frustriert. Aber ich habe die Pressearbeit stets als Teil meines Jobs gesehen. Für mich hat dies auch mit Respekt zu tun. Und wenn ich gut gespielt hatte, dann hatten die Zeitungen auch keine Probleme, ihre Seiten zu füllen. (lacht)

Was war für Sie die merkwürdigste Medienanfrage?

Nach meinem Erfolg gegen Andy Roddick in der Night Session bei den US Open 2005 kam so gegen 1.00 Uhr morgens eine Anfrage, ob ich nicht um 7.00 Uhr im Fernsehen in einer „Morning show“ auftreten könne. Darauf ging ich selbstverständlich nicht ein. Das wäre dann des Guten doch zu viel gewesen.

Wollen Sie als Journalist nicht die üblichen Fragen stellen?

Ich sehe mich nicht in der Rolle des klassischen Journalisten, der etwas positiv oder negativ bewertet. Ich versuche, einen anderen Blickwinkel in die Interviews zu bekommen. Ich betrachte das Ganze aus der Sicht des Sportlers. Da kommen mir andere Fragen in den Kopf. Ich will wissen, wie ticken manche Sportler in gewissen Situationen? Stimmt dies mit meinen erlebten Erfahrungen überein?


Die sogenannten „Big 4“ dominieren das Männertennis schon mehr
als ein Jahrzehnt. Roger Federer, Rafael Nadal, Novak Djokovic und Andy Murray haben in den letzten 15 Jahren 53 von 60 möglichen Grand-Slam-Titeln unter sich ausgemacht. Gilles Muller seinerseits pflegte stets ein gutes und respektvolles Verhältnis zu diesen vier Top-Spielern.

„Bei Turnieren habe ich manchmal mit ihnen zusammen trainiert. Dort wurde auch mal über Privates gesprochen.“ So haben Federer und Muller in Indian Wells einmal herausgefunden, dass ihre Söhne nicht nur alle beide Lenny heißen, sondern sogar am gleichen Tag Geburtstag haben. Es gab auch schon mal ein gemeinsames Foto mit Mullers Kindern und dem Schweizer. Der Kontakt zu Andy Murray war zu der Zeit, als Jamie Delgado Muller trainierte (Anm. d. Red.: jetzt Trainer des Briten) deutlich intensiver.

Doch über Treffen abseits des Platzes reichte es meistens nicht hinaus. „Sowieso war es in meiner aktiven Zeit schwer, ein intensives Verhältnis zu jemandem aufzubauen, der an sich dein Rivale ist“, schildert „Mulles“. Diese Sichtweise wird sich auch in Zukunft nicht ändern.
„Nach meiner Karriere fragte ich nicht nach ihren Handynummern. Doch wenn sich unsere Wege einmal kreuzen sollten, werden wir sicherlich miteinander reden. Erst vor knapp zwei Wochen hat mich Djokovic bei den ATP Finals gefragt, wie es mir denn im Ruhestand so gehen würde“, erzählt der 35-Jährige.

Schwerer Stand

Sportlich hatte Muller nicht immer den leichtesten Stand gegen diese Giganten: 0:5 gegen Federer, 0:6 gegen Murray, 0:4 gegen Djokovic, aber immerhin 2:4 gegen Nadal, so lauten die jeweiligen Bilanzen. „Ich wusste: Um diese Top-Spieler zu schlagen, musste ich einen Sahne-Tag erwischen. Ich muss zugeben, dass ich lieber gegen Federer oder Nadal angetreten bin als gegen Djokovic oder Murray. Meine Spielweise lag Nadal auf den schnellen Belägen einfach nicht. Gegen Federer spielte ich auch gerne, dies, obwohl ich nie einen Satz gegen ihn gewinnen konnte und meistens chancenlos war. Doch Federer gab dir manchmal ein wenig Luft zum Atmen, indem er selbst einige Fehler machte. Das war bei Djokovic und Murray nicht der Fall. Sie sind derart verbissen und geben einfach keinen Punkt ab. Hier hatte ich vor der Partie stets die Angst, dass ich gegen sie völlig unter die Räder kommen könnte.“

Nur gegen einen der „Big 4“ konnte der FLT-Spieler positive Ergebnisse feiern. Dies war gleich zweimal in Wimbledon gegen den spanischen „Matador“ der Fall. Nachdem „Mulles“ 2005 den 17-fachen Grand-Slam-Champion zum ersten Mal auf dem „heiligen“ Rasen bezwingen konnte, blieb sein monumentaler Auftritt im Achtelfinale gegen „Rafa“ im letzten Jahr unvergesslich. Dass Nadal einmal einer der ganz Großen der Tennisszene werden würde, damit hätte der gebürtige Schifflinger nicht unbedingt gerechnet. „Ich traf das erste Mal auf ihn 2003 bei einem Challenger-Turnier. Dort habe ich in drei Sätzen gegen ihn verloren. Viele Experten hatten ihm damals schon eine große Karriere vorausgesagt. Ich persönlich hatte ihm das niemals zugetraut.

Ich sah ihn eher als ein kleines Muskelpaket an, das wie ein Wirbelwind von links nach rechts laufen konnte. In unserem zweiten Aufeinandertreffen in Barcelona verspürte ich das erste Mal auf dem Tennisplatz so etwas wie Angst – das aber nicht unbedingt wegen Nadal: Die einheimischen Zuschauer sorgten auf dem großen Center Court für eine beeindruckende Atmosphäre. Auch auf dem Weg zum Platz wurden wir nur so von Security-Leuten hin und her geschoben. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Im gleichen Jahr gelang mir in Wimbledon mit einem Erfolg gegen ihn dann die große Überraschung. Da habe ich erst recht gedacht, dass dieser Junge niemals bei den „Championships“ würde triumphieren können. Doch wie man heute weiß, wurde ich eines Besseren belehrt.“

Lesen Sie auch den Kommentar von Chris Schleimer zur Karriere als Profisportler.