Sonntag9. November 2025

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Endstation Frauengefängnis: „The Mars Room“ zeigt einen Handlungsort mit Ecken und Kanten

Endstation Frauengefängnis: „The Mars Room“ zeigt einen Handlungsort mit Ecken und Kanten

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Für ihren Roman „The Mars Room“ hat die Autorin Rachel Kushner einen Handlungsort ausgewählt, der seine Ecken und Kanten hat: Beginnend mit einer nächtlichen Busfahrt durch die amerikanische Einöde, werden weibliche Sträflinge in das Frauengefängnis Stanville gebracht, wo diese fortan Erniedrigung, Hass und Ausweglosigkeit erwartet.

Von Elisa Leclerc

Eingepfercht wie ein Nutztier im Schlachttransporter erinnert sich Romy Hall daran, von ihrer Mutter nach der deutschen Schauspielerin Romy Schneider benannt worden zu sein. Hall wird dabei jedoch nicht, wie ihre Namensvetterin, am Filmhimmel ihrer Zeit aufsteigen, sondern stattdessen als ehemalige Stripperin im fiktiven Frauengefängnis Stanville enden, wo sie, verurteilt zu zweimal lebenslänglich und sechs Jahren, einem Lebensalltag aus einer sich stets wiederholenden Schleife aus Trostlosigkeit, Kargheit und Tristesse ausgesetzt ist. Eine kontrastreichere Widerlegung der Redewendung Nomen est omen wäre kaum mehr möglich gewesen. Die Distanz zwischen Schneider und Hall scheint unüberwindbar, so vertikal entgegengesetzt sind die Lebensentwürfe von Beginn an: Das Leben von Rachel Kushners Protagonistin ist ab der Kindheit am untersten Rand der Gesellschaft angesetzt, fern von Ruhm oder Reichtum.

Obschon „The Mars Room“ in einem amerikanischen Frauengefängnis spielt, macht die Autorin Kushner mittels Rückblicken deutlich, dass Romy Halls Leben auch zuvor bereits stark eingeschränkt und somit von sozialen Rahmenbedingungen gezeichnet war: Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, sah sich Hall einer Lebensrealität gegenüber, die nur schwerlich Spielraum nach oben zuließ und einen Kreislauf am Elend aufrecht erhielt.

Hall wird erst zur alleinerziehenden Mutter und dann zur Stripperin, und somit, wie sie später selbst zugeben wird, gesellschaftlich gebrandmarkt als Frau ohne Moral und ohne Wert. Als die Protagonistin schließlich des Mordes angeklagt wird, sieht die amerikanische Justiz keinen Menschen vor sich, sondern bloß eine Frau, deren Identität allein über ihre Vergangenheit im Striplokal konstruiert und somit als verwerflich gedeutet wird.

Selbstreflexion im Frauenknast

Im Gefängnis reflektiert Hall über ihr Leben und Handeln, der Leser wird zum Vertrauten, dem mittels Rückblende die Tat und die Beweggründe der Protagonistin nähergebracht werden. Und Obwohl Halls Entscheidung dabei nie schöngefärbt oder verharmlost wird, wird sie zumindest nachvollziehbar: In Romy Hall manifestieren sich sowohl die Kluft einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der die soziale Herkunft das Leben bestimmt, als auch patriarchale Zwänge, mittels derer ein Sexualverhalten abseits der weiblichen Norm bestraft wird. Der Roman besticht dabei durch einen ständigen Kontrast zwischen schierer Ausweglosigkeit und der sich widersetzenden Hoffnung auf einen Lichtblick in der Dunkelheit: In Stanville wird allem voran die Verzweiflung einer Mutter deutlich, die um Besuchszeiten kämpft, damit sie ihren Sohn sehen kann, und dabei an der amerikanischen Justiz und der Missbilligung als Stripperin und Sträfling scheitert.

Mit „The Mars Room“ ist Rachel Kushner nicht nur Sozialkritik auf mehreren Ebenen gelungen, sondern auch eine beklemmende Darstellung vom Leben hinter Gittern, die durch eine hohe Anzahl an multidimensionalen, individuellen Charakteren umso greifbarer wird.

Mars Room is the New Orange ist the New Black?

Zeitweise erinnert „The Mars Room“ dabei an die US-Serie „Orange is the New Black“ und zeigt ebenso gekonnt Existenzen am Abgrund, denen jede Möglichkeit auf Rehabilitation genommen wird; Gefängniswärter, die ihre Macht ausspielen, und Subversive, die versuchen, Schlupflöcher im System zu finden. Anders als in der Netflix-Serie ist „The Mars Room“ jedoch drastischer, indem Resignation nicht mit Humor ausgeglichen wird. Dass es Kushner so einwandfrei gelungen ist, sich in den Gefängnisalltag hineinzuversetzen und dabei Charaktere und Beziehungen zu schaffen, die von Tiefe und Nähe zeugen, mag daran liegen, dass die Autorin sich auch auf einer persönlich-realen Ebene mit dem amerikanischen Justizsystem und dessen Auswirkungen auseinandergesetzt hat, inklusive Gefängnisbesuchen und Korrespondenz mit Sträflingen.

Einen erfolgreichen Spannungsbogen schafft Kushner dabei nicht nur durch ihre Protagonistin Romy Hall und deren bedrückenden Leidensweg, sondern auch durch konstante Perspektiv- und Zeitwechsel, teilweise gar ohne Bezug zur weiblichen Hauptfigur: So wird der Leser beispielsweise auch in die Geschichte Docs eintauchen, eines korrupten Polizisten, der des Mordes schuldig gesprochen ist.

Passend zum düsteren Handlungsort ist auch die Sprache der Autorin, die sich nicht vor Vulgarität oder Direktheit scheut, dabei aber trotzdem auch anspruchsvoll und stets kritisch bleibt.