Die freien Theater der Stadt Luxemburg haben im Laufe der Woche ihre Spielpläne für die kommende Saison enthüllt. Das Programm hält einige Faszinosa für den neugierigen Zuschauer bereit. Einheimische und ausländische Autoren, Klassiker und zeitgenössische Stücke, neues Blut und alte Hasen – über fehlenden Abwechslungsreichtum kann sich niemand beklagen.
Von Jeff Schinker, Anne Schaaf, Tom Hass
1. Théâtre National du Luxembourg
Leitfaden: „Und dann?“/„Et après?“
Themen: Nationalismus, Krieg, Kapitalismus und die Vergangenheit
Genres: Von klassischem (Dostojewskis „Die Spieler“ und Ibsens „Peer Gynt“) und zeitgenössischem Theater („Grounded“, „Le dieu du carnage“) über Musikperformances (mit u.a. Louisa Marxen und Jean Muller) bis hin zu szenischen Lesungen (die Wiederaufnahme von Paul Greischs „Fënsterdall“ als Hommage an Thierry van Werveke, der damals aus gesundheitlichen Gründen nur die Premiere spielen konnte und „Hiroshima mon amour“ mit Fanny Ardant, die bereits letztes Jahr im TNL war), Workshops mit russischen und luxemburgischen Schauspielschülern („Solschenizyn. Dissident, Patriot.“), einem Rockmusikdrama über Wilhelm II. und einem frei nach Goldings „Lord of the Flies“ adaptiertem Stück mit jugendlichen Schauspielern deckt die kommende Saison ein buntes Spektrum ab.
Besondere Merkmale und Neuerungen:
Generische und sprachliche Diversität: Dieses Jahr gibt es neben der portugiesischen Truppe, die „Lady Windermere’s Fan“ von Oscar Wilde spielt, sogar mit „Vogliamo tutto!“ ein italienisches Spektakel.
Neben der luxemburgischen Residenz, die dieses Jahr an den Schriftsteller Rafael David Kohn geht, konnte das TNL mit Stefan Ivanow erstmals einen Hausautor verpflichten, der nicht aus der Region stammt. Der bulgarische Autor arbeitet im Herbst in Luxemburg und stellt sein hier geschriebenes Stück dann in der darauffolgenden Spielzeit vor.
Da Intendant Frank Hoffmann nun nicht mehr die Ruhrfestspiele in Recklinghausen leitet, kann er sich wieder verstärkt auf sein luxemburgisches Theaterhaus konzentrieren.
Potenzielle Highlights (Auswahl):
Weißer Raum (Regie: Anne Simon): Eine Journalistin wird am Bahnhof angegriffen. Ein Sicherheitsbeamter rettet sie. Die Journalistin wirft ihrem Retter allerdings vor, er hätte dies nur getan, weil ihr Angreifer ein Ausländer war. Lars Werners Text befasst sich mit einem leider brennend aktuellen Thema: dem längst wieder salonfähigen Rechtspopulismus.
Die Spieler (Regie: Frank Hoffmann): Frank Hoffmanns Hommage an 13 der Schauspieler, mit denen er in Recklinghausen gearbeitet hat.
Peer Gynt (Regie: Roberto Ciulli und Maria Neumann): Ein Fest für Komparatisten. „Peer Gynt“ wird dieses Jahr sowohl opulent und auf Französisch als auch in einer „Digest Version“ auf Deutsch vom 83-jährigen Roberto Ciulli inszeniert.
Le Dieu du Carnage (Regie: Frank Hoffmann): Das bekannteste Theaterstück von Yasmina Reza wurde bereits von Polanski verfilmt. Wie der TNL-Intendant den Familienkrieg inszeniert, dürfte äußerst interessant sein.
Gesamtanzahl der Spektakel: 22
Leitfaden: Die Suche nach dem Politischen im Privaten
Themen: Überwachung und Liebe im digitalen Zeitalter, verratene Generationen, innerer Frieden im Großen wie im Kleinen, Glück als Lebensziel, Kamo gegen Entmenschlichung, Freiheitsbegriffe, verschiedene Tode, das Steuersystem
Genres: Die neue Saison verzeichnet gleich mehrere Uraufführungen (darunter „Jockey“ von Guy Helminger und „Der himmelblaue Herr“ von Fanny Sorgo). Das Theater lässt jedes Jahr auf ein Neues seinen Hang zu Lesungen durchscheinen, jedoch beweist es im gleichen Zug auch ein gutes Händchen bei der Auswahl (dabei sind beispielsweise Joseph von Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ oder eine Auswahl aus dem Gesamtwerk Borcherts).
Musik hat definitiv ihren Platz im Programm, mit unter anderem einer musikalischen „Carte blanche“ des Komponisten und Pianisten Georges Urwald, Musiktheater (Zusammenarbeit zwischen Olivier Garofalo und Marco Bindelli) oder auch einem Abend mit den Cijellico’s Jangen.
Besondere Merkmale:
Wie gewohnt ist die luxemburgische Sprache neben mehreren weiteren Sprachen im Programm vertreten, teils sogar innerhalb eines Stücks. Besonders spannend dürfte dieses Mal eine Übersetzung ins Luxemburgische („Dräi Schwësteren“ nach Anton Tschechow) von Ian De Toffoli werden.
Potenzielle Highlights (Auswahl):
Nicht nur lehrreiches, sondern ebenfalls unterhaltsames Potenzial birgt der „kulturpolitische Nachhilfeunterricht für mögliche Koalitionäre nach den Wahlen am 14. Oktober 2018“. Hierbei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Kasemattentheater, TOL sowie dem Théâtre du Centaure. Der Titel der Veranstaltung lautet: Kultur ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit (auch in Luxemburg).
Die Uraufführung von Fanny Sorgos „Der himmelblaue Herr“, das bereits in der vergangenen Saison als „Werkstattinszenierung“ Erfolge feierte, kann ebenso interessant werden wie „De Cabinet vum Dokter Menasse“ (in dem der mehrsprachige Chor im Bühnentext alles andere als einstimmig ist, da er divergierende Vorstellungen innerhalb der Gesellschaft widerspiegelt).
Abschriften von Interviews mit todkranken Menschen geführt von der jungen luxemburgischen Journalistin Annick Goerens werden bei „Iwwer Dout (a Liewen)“ auf philosophische und literarische Texte der Weltliteratur stoßen.
Die ursprüngliche Idee für „Two Pigeons Perching on a Bench“ entstand beim TalentLAB 2016, nun vereint Claire Thill auf einer Bühne Tauben mit einer Laufbahn.
Gesamtanzahl der Spektakel: 16
Themen: Schule und Erziehung, sozialer Fahrstuhl, Angst, Einsamkeit und (Selbst)ermächtigung
Genres: Von klassischen Komödien (Molières „George Dandin“) über Populartheater (Ferdinand von Schirachs „Terreur“) hin zu zeitgenössischen Monologen (Mihaela Michailovs „Sales Gosses“) erforscht das Programm des Zentauren in dieser Spielzeit vor allem die Untiefen der Erziehung und das Verhältnis des einzelnen zur Macht. Auch Produktionen der letzten Spielzeit werden nicht vergessen, sondern auf Tournee geschickt.
Besonderes:
Die französischsprachige Erstaufführung von Schirachs „Terror.“
Kooperationen mit in- und ausländischen Theatern und Kulturzentren (NEST in Thionville, Kinneksbond, CCRD opderschmelz)
„Textes sans frontières“ mit dem Fokus auf Griechenland stellt das Schaffen zeitgenössischer, griechischer Autoren in französischer Übersetzung vor, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven der sogenannten „Griechenlandkrise“ nähern. Aus vier kuratierten Texten entsteht so eine Collage, die neue Perspektiven auf ein von den Medien totberichtetes Phänomen gewährt.
Potenzielle Highlights:
„Sales Gosses“ (Regie: Fábio Godinho): Eine verträumte Schülerin, die sich nicht auf den Unterricht konzentriert, wird zur Strafe von ihrer Lehrerin im Demokratieunterricht vor versammelter Klasse gefesselt. Davon lassen sich die Schüler natürlich inspirieren. Die Autorin Mihaela Michailov wurde beim Schreiben dabei von realen Vorkommnissen inspiriert und stellt die ganze Grausamkeit und die Forderung nach Konformität des aktuellen Schulsystems ins Rampenlicht.
„Pièce en plastique“ (Regie: Marion Poppenborg): Eine tiefschwarze Komödie über das Sozialverhalten von Menschen gegenüber vermeintlichen Untergebenen – in diesem Fall eine Haushaltshilfe. Wie verhält man sich ihr gegenüber? Was schenkt man ihr zu Weihnachten? Soll man mit ihr befreundet sein?
„A Certain sense of Order“ (Catherine Kontz) lotet das Leben der amerikanischen Dichterin Anne Sexton aus. Auf Basis eines einzelnen Gedichtes „For John, Who Begs Me Not to Inquire Further“ erzählen zwei Sänger die Geschichte der Schriftstellerin, die ihre Therapiestunden auf Kassette aufnahm, um sie sich nochmal anhören zu können. Begleitet auf Orgel und Piano handelt es sich bei dieser Aufführung um eine Poesie-Performance.
Anzahl der Spektakel: 11
Leitfaden: „Un certain regard“
Themen: Deal, Verlangen, Angebot und Abhängigkeit
Genres: Die Neubearbeitung von Klassikern (Jacques Rampal, „Célimène et le cardinal“), Eigenproduktionen zum Geburtstag der 68er (Claude Frisoni, „Mais sois sans Tweet“, „Les héros sont fatigants“) und Theaterstücke von und für Schulen, neben Gastspielen (Antoine de Saint-Exupéry „Le petit Prince“) versprechen ein abwechslungsreiches und interessantes Programm.
Besondere Merkmale:
Die Zusammenarbeit mit Schulen und Schultheatern, unter anderem dem „Théâtre français“ des LMRL, die in ihrer Produktion „L’argent des autres“ von Marx bis Zola verschiedenste Ansichten über das liebe Geld auf die Bühne bringen.
Auch „La malle de Molière“, welches von Lehrern für ihre Klassen gebucht werden kann und eine Diskussionsrunde mit den Schülern beinhaltet, führt das jugendliche Publikum an Theater und Literatur heran.
Potenzielle Highlights (Auswahl):
„Les héros sont fatigants (Regie: Jacques Schiltz). Drei alte Revoluzzer der 68er spüren den definitiven Sieg des Neoliberalismus. Sie entscheiden sich, eine Terroristenbewegung zu gründen. Das Stück, das von Claude Frisoni geschrieben wurde, wird von Jacques Schiltz inszeniert. Letzterer hatte uns letzte Spielzeit einen wunderbaren „Tod“ (Woody Allen) im Kasemattentheater vorgestellt.
„Dans la solitude des champs de coton“ (Regie: Pol Cruchten): Zwei Männer von völlig konträrem Wesen begegnen sich in Finsternis und Stille und zwischen ihnen steht nichts als ihre Feindschaft – nicht das Gefühl, sondern ein Kriegsakt ohne Motiv. Einer ist der Dealer, der andere notgedrungen der Kunde.
„Un dîner d’Adieu“ (Regie: Véronique Fauconnet) verspricht den gleichen bösartigen Humor, den die Autoren bereits bei „Le prénom“ von der Leine ließen. Ein Ehepaar entschließt sich dazu, sich von „überflüssigen“ Freunden zu trennen – freundlich, aber endgültig. Dass dieses Vorhaben nicht so funktioniert wie erwartet, ist natürlich abzusehen, wenn die sozialen Konventionen, die Tabus einer Freundschaft und die traute Harmonie der Paarbeziehung auf den Kopf gestellt werden.
Gesamtzahl der Spektakel: 9
De Maart

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