Mittwoch22. Oktober 2025

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Das Treffen der „Brieffeinde“

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Guy Rewenig und Samuel Hamen begegnen sich zum ersten Mal

Unter dem Titel „Lëtzebuergescht Getierkels, een Duett“ lasen der junge Autor Samuel Hamen sowie das schriftstellerische Urgestein Guy Rewenig am Dienstagabend im Merscher „Centre national de littérature“ (CNL) aus ihren neuesten Werken. Das Publikum durfte aber mehr als nur den Zeilen aus den unterschiedlichen Erzählungen lauschen.

Wer häufiger mal Kulturveranstaltungen in Luxemburg besucht, weiß, dass hier nicht nur ein kleines feines Werkzeug, sondern ab und an auch mal ein breiter Roller ausgepackt wird, um der gegenseitigen Bauchpinselei zu frönen. Im CNL stand jedoch keine stillschweigende Einigkeit auf dem Programm. Die Autoren stellten sich gegenseitig kritische Fragen, bevor und nachdem sie aus ihren jeweiligen Werken lasen, und fühlten sich gegenseitig auf den Zahn.

Sie sind beide nicht als handzahme schreibende Wesen bekannt. Weder Guy Rewenig, der inner- wie außerhalb seiner Texte die Gesellschaftskritik nicht scheut, noch Samuel Hamen, der vielen aufgrund seiner schonungslosen ironischen Härte als Literaturkritiker ein Begriff ist, nehmen ein Blatt vor den Mund. Dies taten sie auch während einer mehr als ein Jahr andauernden Korrespondenz per E-Mail nicht, bei der zumindest einer der Beteiligten nicht wusste, mit wem er eigentlich die Ehre hat (siehe Infobox).

In Mersch stießen sie nun zum ersten Mal direkt aufeinander und nahmen es relativ sportlich, sich mehr als nur die mediale Bühne zu teilen. Bei der Einleitung des CNL wurde lobend hervorgehoben, dass beide Schriftsteller kreativ mit der luxemburgischen Sprache umgehen, ohne sie als politische Waffe zweckzuentfremden. Außerdem bezeichnete man Rewenig als Lehrmeister Hamens, was von diesem nicht dementiert, allem voran aber auch nicht bestätigt wurde.

Ein nicht ungefährliches, aber interessantes Experiment des CNL, einen der Väter des luxemburgisch-sprachigen Romans (hier sei auf „Hannert dem Atlantik“ aus dem Jahr 1985 verwiesen), der laut Autorenlexikon auf rund 88 Veröffentlichungen zurückschauen kann, neben den jungen scharfzüngigen freien Autoren zu setzen, der mit seinem kurzen Prosawerk debütiert. Es bot sich ein spannendes Analysefeld, das jedoch nicht vor manch verquerem Vergleich gefeit war.

Rewenigs neuestes Werk, „Do wéinstens däi Sonnebrëll aus, wann s de mam Kapp duerch d’Mauer renns“, sowie „V wéi vreckt, w wéi Vitess“ aus der Feder Hamens drehen sich um sogenannte „futtis Leit“, denen das Leben auf die eine oder andere Art und Weise übel mitgespielt hat und die einen mehr oder öfter auch mal weniger konstruktiven Umgang mit ihrer Situation pflegen. Beleuchtet werden ebenfalls die gesellschaftlichen wie politischen Umstände, die zu den jeweiligen Situationen führten.

Thematisch gesehen ist eine gewisse Ähnlichkeit keineswegs zu verneinen, allerdings handelt es sich dabei eher um eine logische Konsequenz, wie Rewenig erklärt: „Wir können nicht auf einmal aufhören, darüber zu schreiben, obwohl die Anzahl von Menschen in derart misslichen Lagen stetig steigt.“ Zudem handele es sich bei dem Beschriebenen nicht um ein rein luxemburgisches Phänomen, die Problematik werde zusehends universeller.

Wie veganes Hackfleisch

Dass man seinen Kollegen bereits bei der Vorstellung mit literarischen Größen verglichen hatte, hält Rewenig für mehr als berechtigt: „Samuel Hamen bedient sich einer sehr reichhaltigen Sprache und befindet sich jetzt schon auf einer Linie mit mehreren bekannten hiesigen Schriftstellern.“ Trotzdem stellt sich in diesem Fall die Frage, wie sinnig es ist, ein Erstlingswerk direkt in einen derartigen Vergleichskontext zu stellen. Nach der Lesung auf das vermeintliche Kompliment bei der Präsentation angesprochen, entgegnete Samuel Hamen: „Vielleicht braucht das Publikum diese Vergleiche als Orientierungspunkt, aber man selbst fühlt sich ein wenig so, als habe man links und rechts von sich Betonklötze hingesetzt bekommen, zwischen denen man dann versuchen muss, sich zu bewegen. Man nimmt diese Worte dankend zur Kenntnis und doch haben sie keine direkte produktive Wirkung.“

Diskussionsstoff

Für den freien Autor und Germanistik-Promovend ist dies erst der Anfang. Hamen möchte sich selbst noch keinen formvollendeten Stil andichten: „Einerseits befürchte ich, dass ich ab und an zu sehr versuche, die bereits verinnerlichte Literaturtheorie praktisch in meinem Schreiben umzusetzen. Das birgt Risiken. Die Kunst besteht darin, den Leser zum Schmunzeln zu bringen und vielleicht genau in dieser Sekunde einen Metagedanken ‚hineinzuschmuggeln‘, ohne dass dieser es auf Anhieb merkt.“ Dies sei ein Balanceakt, bei dem er noch nicht so genau wisse, ob er ihn beherrsche. Guy Rewenig schreibt nach eigenen Aussagen „mehr aus dem Bauch heraus“. Der theoretische Diskurs interessiere ihn zwar, wirke sich jedoch weniger auf sein Schreiben aus, so der Schriftsteller gegenüber dem Tageblatt.

Auf seinem Blog ltrtr.wordpress.com widmet sich Hamen unter anderem den aktuellen Entwicklungen in der Gegenwartsliteratur. In einem Blogpost aus dem vergangenen Jahr ging er beispielsweise auf Storytelling ein und sprach sich gegen das, was er selbst als die „neue totale Erzählbarkeit“ bezeichnet, aus, die er mit einem gewissen „Facts tell, stories sell“-Prinzip in Verbindung bringt. Aber wie losgelöst davon kann er selbst bei seiner ersten Erzählung agieren?“ Natürlich arbeitet man nach einem bestimmten Muster, aber man kann diese Vorgehensweise sichtbar machen, ohne zu behaupten, den großen autonomen Wurf gemacht zu haben. Da man sich dem ohnehin nicht entziehen kann, weist man im besten Fall ein kritisches Bewusstsein für das eigene Metier auf.“

Der Beruf spielte denn auch eine Rolle in den Zwiegesprächen auf der Bühne. Hier ging es zum Beispiel um durchaus wichtige Medienkritik, das Zusammenspiel zwischen Fiktion und Realität sowie auch um Humor. Hamen fragte Rewenig beispielsweise, ob dessen steter Einsatz von Humor auf sein Alter zurückzuführen sei. Dieser erwiderte lachend: „Wenn Humor eine Alterserscheinung ist, dann war ich wohl schon sehr früh alt.“ Rewenig für seinen Teil empfand die gebotene Plattform als wertvollen neuen Moment, bei dem sich, ohne sich zu schonen, konstruktiv ausgetauscht werden konnte.
Ein etwas unglücklicher Griff war indes die Entscheidung, nach mehr als zwei Stunden noch eine Debatte über Kunstfreiheit und Zensur anfügen zu wollen.

Bei der Diskussion um die rezente Performance in der Manchester Art Gallery, in der ein Werk mit nackten Frauen abgehängt wurde, und um das geplante Überstreichen eines (potenziell patriarchalische Stereotypen reproduzierenden) Gedichts von Eugen Gomringer, das sich noch an einer Wand der Berliner Alice-Salomon-Schule befindet, wurde bedauerlicherweise mehr mit Halbinformationen hantiert als mit Fakten. Zudem standen einige Male Zensurvorwürfe im Raum, bevor die einzelnen Situationen wirklich kontextualisiert werden konnten.

Kurz fühlte man sich an eine Zeile von Hamens Alter Ego „Fern Schaus“ aus dem Jahr 2014 erinnert: „Die alten Reibungsflächen sind abgenutzt, ihr gestalterisches Streitpotenzial ist erschöpft. Längst werden andere Fragen gestellt – und kreativ-politisch beantwortet (…).“ Wünschenswert wäre, dass dieses wichtige Gespräch nachgeholt wird, bei einer eigens dafür anberaumten Veranstaltung.

Wie alles begann

Der Auslöser war ein Brief von Guy Rewenig an die Redaktion des Lëtzebuerger Land, der am 17. Oktober 2014 veröffentlicht wurde. Hier regte sich Rewenig über die angebliche „gaffe inénarrable“ des Verwaltungsrats der „Fondation Servais“ auf, die den Großherzog zu ihrem 25. Jubiläum geladen hatte. Dieser Akt käme einem Verrat an den Zielen der Literatur gleich, befand der Schriftsteller damals, schließlich sei eine „littérature adaptée au pouvoir (…) un non-sens“. Zwei Wochen später folgte die Replik eines gewissen Fern Schaus, der Rewenig als „Alt-Querulant(en)“ und seine anti-monarchistische „knattrige Hetze“ als „Schreiberei“ bezeichnete, die  „stumpf und wenig scharfsinnig“ daherkomme.

Dies gereichte Guy Rewenig nicht gerade zur Freude. Zudem verriet niemand ihm die wahre Identität hinter dem Pseudonym. Jedoch erhielt er Fred Schaus’ E-Mail-Adresse und so wurden beide quasi virtuelle „Brieffeinde“, die sich im Rahmen ihres Wortgefechts scheinbar lange die Treue hielten.

Wie Rewenig am Dienstagabend mitteilte, fiel ihm beim E-Mail-Verkehr zusehends die Benutzung des luxemburgischen Begriffs „latzeg“ auf. Als er dann im Lëtzebuerger Journal auf eine (seiner Auffassung nach) etwas inflationäre Verwendung eben dieses Wortes stieß, war das Mysterium gelöst, denn der Artikel stammte von Hamen.

Realist
1. März 2018 - 14.17

Captain Uninteressant vs Mr. Langweilig. In 20 Jahren, wenn selbst die Abenteuer von Daredevils Stock und Thors Flügelhelm schon ihre 3 Sequels gehabt haben werden, mag Marvel sich erbarmen und einen Film draus machen.