Mittwoch5. November 2025

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Geister und andere Zeitgenossen

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Haruki Murakami wagt sich in seinem Roman "Die Ermordung des Commendatore" bis an die Grenze des Irrealen.

Haruki Murakami wagt sich in seinem Roman „Die Ermordung des Commendatore“ bis an die Grenze des Irrealen. Der erste Teil einer Trilogie fesselt die Leser und gibt ihnen viele Rätsel auf. Murakami bietet alles auf, was zum Schaudern veranlasst.

Von unserem Korrespondenten Roland Mischke

Ein Mann im Schmerz, betäubt, dennoch ziemlich gefühllos und eingemauert in sein Schicksal. Der Maler und Ich-Erzähler, 36, der in Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“ keinen Namen hat, landet nach einer Irrfahrt durch halb Japan in einem einsamen Berghäuschen in Odawara, südlich von Tokio. Dort ist er keineswegs allein. Etwa einmal pro Woche besucht ihn eine ältere Frau, die ihm rätselhaft erscheint und mit der er Sex hat wie noch mit keiner Frau.

Dann taucht ein älterer Herr im schneeweißen Anzug auf, der Geschäftsmann Wataru Menshiki, der ihm ein Angebot unterbreitet: Der Maler soll ein Porträt von ihm anfertigen, sein letztes, danach soll er das Porträtmalen aufgeben. Falls er einwilligt, würde er mit einem unglaublich hohen Preis bezahlt. Und schließlich ist da noch ein gestaltloses Phänomen, ein Besucher, der einen Glockenstab läuten lässt und behauptet, ein Geist zu sein: „Ich bin nur eine Idee.“

Übersetzung trägt zum Erfolg bei

Harukisten weltweit sind begeistert. Ihr Idol, seit Jahren Kandidat für den Literaturnobelpreis, bedient sie mit seinem neuen Roman auf die übliche verblüffende Weise. Er bietet alles auf, was zum Schaudern veranlasst, im Realen zeigt er das Irreale als das Geheimnisvolle. Menshiki lässt er erklären: „Hin und wieder kann man in unserem Leben die Grenze zwischen Realität und Illusion nicht richtig ziehen. Diese Grenze scheint unablässig in Bewegung zu sein und zu variieren. Man muss diese Bewegung genau im Auge behalten. Tut man dies nicht, weiß man auf einmal nicht mehr, auf welcher Seite man sich befindet.“

Das ist es, warum Murakami so viele Fans hat. Sein Buch, im vergangenen Jahr in seiner Heimat erschienen und längst ein Verkaufsschlager, wird derzeit in viele Sprachen übersetzt. Auf Deutsch ist es bereits erhältlich, noch vor den Übersetzungen in anderen Sprachen. Das ist Ursula Gräfe zu verdanken, die kongenial das Werk des japanischen Meisterschriftstellers erfasst und seine Botschaften zum Ausdruck bringen kann.
Leser bekommen rote Ohren

„Die Ermordung des Commendatore“ ist nur der erste Teil, im April folgt ein weiterer Band; drei sollen es werden. Commendatore ist ein Begriff aus Mozarts Oper Don Giovanni. Der tötet den Großkomtur, und dieser erscheint später als Steinerner Gast und holt seinen Mörder in die Hölle.

Der Maler geriet aus dem seelischen Lot, als seine Ehefrau Yuzu ihm mitteilte, dass sie sich scheiden lassen will. Es kam nicht zur Auseinandersetzung, sondern zur Flucht des Erzählers aus der ehelichen Wohnung. Nach einer wochenlangen Fahrt wird dem Maler das leer stehende Cottage des berühmten Malers Tomohiko Amada zur Verfügung gestellt. Der war begeistert von deutscher Klassikmusik und soll 1938 an einem Attentat auf einen hochrangigen Nazifunktionär in Wien beteiligt gewesen sein. Der Maler entdeckt ein Bild, das vermutlich auf das Attentat hinweist. Murakami bringt seine Leser derart ins Rätseln und Deuten, dass sie rote Ohren bekommen.

Fesselnd geschrieben

Das Bild auf dem Dachboden unter einer jahrzehntelangen Staubschicht ist ein gelungenes Kunstwerk. Es zeigt das Duell zwischen einem alten und einem jungen Mann, wie es im japanischen Mittelalter üblich war. Der Junge besiegt den Alten mit einem Stoß seines Schwertes ins Herz, eine erschrockene junge Frau und ein Diener stehen daneben. Der Maler ahnt sofort, dass er dieses Bild von seltener Grausamkeit nie mehr vergessen wird, auch wenn er es noch gar nicht versteht.

Murakamis Roman ist fesselnd geschrieben, die Sprache ist schlicht, aber voller Andeutungen. Das Unscheinbare bekommt Bedeutung, es ist unheimlich. Sehr spannend.
Haruki Murakami: „Die Ermordung des Commendatore.“ Band I. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe, DuMont, Köln, 479 S., 26 Euro.