Mittwoch26. November 2025

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Das Kochsalz-Thermometer steigt

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Von unserem Korrespondenten Axel Eichholz

Alter Aberglaube als Vorahnung einer neuen Revolution: In Russland wird das Salz knapp und teuer. Traditionell ist das ein Zeichen der Krise – vor Kriegen und Revolutionen war das Salz immer wieder teuer geworden.

Wenn der Hintern juckt, wird demnächst das Salz teurer, behauptet ein mindestens 100 Jahre alter russischer Aberglaube. Diese Weisheit stammt aus Zeiten der Revolutionen und Wirren, was eigentlich einleuchtet. Wenn Lebensmittel im Handel knapp wurden, war man auf Eigenversorgung angewiesen. Ohne Salz konnte man aber keinen Vorrat an Fisch, Schweinespeck, Gepökeltem, Kohl und Gurken anlegen. Deshalb wurden zu Beginn von Revolutionen und Kriegen immer Salz, Streichhölzer und Buchweizengraupen gehortet. Heidekorn gilt in Russland – für westlichen Geschmack unbegreiflich – als Grundnahrungsmittel.

Das Salzgerücht kam im Internet auf

Man könnte meinen, im Internetzeitalter komme niemand auf den Gedanken, den Juckreiz an einem Körperteil mit Salzlieferungen zu verbinden. Und doch hat sich das neueste Gerücht als erstes gerade im Runet, dem russischen Internet, verbreitet. Der Preis werde bald um satte 10 Prozent steigen, heißt es in sozialen Netzwerken. Entsprechende Meldungen entbehrten nicht einer gewissen Grundlage, sagt der Wirtschaftsanalyst Alexej Repin von der Gesellschaft Soli Russi. Russland decke seinen Bedarf an Steinsalz voll aus der eigenen Produktion ab. Das feinere Siedesalz werde aber zu 80 Prozent importiert.

Das russische Steinsalz könne im eigenen Land nur um die Inflationsrate teurer werden. Beim Import kämen noch Wechselkursschwankungen hinzu, so der Experte. Bei Siedesalz werde also mit 6 bis 7 Prozent Teuerung gerechnet. Von einer katastrophalen Preissteigerung sei jedoch keine Rede. Das beste Salz könne maximal einen Rubel pro Kilo teurer werden. Bei dem heutigen Wechselkurs von 69 Rubel pro einem Euro ist es verschwindend wenig.

Panikmacher verweisen auf Waggonmangel

Im Internet sprechen Panikmacher von fehlenden Eisenbahnwaggons für den Salztransport. Es handelt sich dabei aber nicht um Lebensmittelsalz, sondern um technisches Streusalz. Der Mangel an Waggons ist auch nicht in Russland, sondern in Kasachstan entstanden. Kasachstan liefert jedoch kein Steinsalz nach Russland, sondern kauft selbst welches. Es kann die Situation diesseits der Grenze also gar nicht beeinflussen.

Trotzdem lassen die Gerüchte ein ungutes Gefühl zurück. Verstärkt wird es dadurch, dass sich vor einer Woche die Große Oktoberrevolution zum 100. Male jährte. Im nächsten Frühjahr muss sich dann auch Kremlherr Wladimir Putin der Wiederwahl stellen.

Zum Autor:

Axel Eichholz (Alexej Dubatow) wurde 1944 in Moskau geboren. Die Panzerschlacht bei Prochorowka hinterließ bei ihm eine tiefe Spur, obwohl er sie nur im Mutterleib erlebte. Mutter sagte, er habe ihr das Leben gerettet, weil die Truppe, bei der sie Ärztin war, später aufgerieben wurde. Er studierte Germanistik, arbeitete bei der Handelsvertretung der DDR in Moskau und wechselte 1977 in das dortige Büro der Deutschen Presse-Agentur. Seit der Wende in Russland berichtet er als Korrespondent mehrerer deutscher Zeitungen und Zeitschriften aus der russischen Hauptstadt.