Drehen wir das Rad der Geschichte zurück. Als 1997 der junge Tony Blair mit seiner „modernisierten“ Arbeiterpartei einen triumphalen Wahlsieg davontrug, schlug die Welle der Begeisterung auch auf den Kontinent über. New Labours Ideen sollten dauerhafte Auswirkungen sowohl auf die sozialdemokratische als auch auf die gesamte Politik Europas haben.
Unter dem Motto „der dritte Weg“ wurde New Labours Politik auf den Kontinent exportiert. Man kann dies auch anders sehen: Die klassische linke Politik der Umverteilung des Reichtums wurde unter Zuhilfenahme neoliberaler Rezepte ausgehöhlt. Die, welche von Anfang an auf der Strecke blieben, gaben allzu oft die Schuld für die Deregulierung der Arbeits- und Finanzmärkte, die Privatisierung aller möglichen öffentlichen Einrichtungen und die Umstellung von der Industrie- auf eine reine Servicegesellschaft Brüssel und der EU. Dabei vergisst man, dass die Politik das Ruder freiwillig aus der Hand gab und es nur an ihr liegt, es wieder an sich zu reißen.
Die Labour-Jahre waren die Jahre von „Cool Britannia“. London wurde wieder (?) zur hippen, globalen Metropole. Der Dienstleistungssektor fuhr saftige Gewinne ein. Die Trader verdien(t)en Millionen-Boni und sogar die mittleren Schichten Englands und Europas sollten etwas davon profitieren. Im Vergleich zu den Verdiensten im Finanzsektor blieb es allerdings bei Peanuts.
Wer in den großen europäischen Volkswirtschaften ein größeres Stück vom Kuchen wollte, wurde auf die Kompetitivität hingewiesen. Und während in Deutschland jahrelang eine Diskussion um die Standortfrage stattfand – die sich im Nachhinein als falsch herausstellen sollte –, griff die aus der Finanzwelt stammende Rendite-Gier auf Europas Industrie über. Resultat: Rentable Betriebe wurden ausgelagert, Arbeitsplätze vernichtet. Und das vor der Krise.
Um es vorwegzunehmen: Nicht alle wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen waren falsch – siehe Frankreichs nationale Industriepolitik oder Deutschlands mittelständische Betriebe, um nur diese Beispiele zu nennen. Nur, welchen Wert haben diese noch, wenn bereits die Staaten – selbstverschuldet – zu den Spielbällen der Spekulanten und Geldsäcke aus der Finanzwelt werden.
Doch zurück ins Vereinigte Königreich. Den Briten dämmert bereits, was am Tag nach den Wahlen auf sie zukommt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die soziale Ungleichheit in Großbritannien ist heute größer als 1979, dem Jahr, als Margaret Thatcher, die Mutter aller Neoliberalen, das Regierungsgeschäft übernahm (nachzulesen auf der politisch neutralen Seite www.poverty.org.uk). Vom Schuldenstand der öffentlichen Hand nach der Rettung der Banken kaum zu reden.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Deshalb laufen die britischen Wähler nicht unbedingt in die Arme der Tories – auch wenn sie Gordon Browns New Labour noch so satthaben. Gut möglich, dass die wahlentscheidende Mittelklasse nicht denselben Fehler begehen wird wie ihr Pendant in Deutschland. Aus Angst vor Einkommensverlusten und wegen der Mär, sie würden den wirklich Besserverdienenden näher stehen als den unteren Schichten, wandten sich viele von der SPD ab und der FDP zu. Die Desillusion ist heute umso größer.
Die Briten haben morgen die Chance, mit der Wahl der Liberalen Demokraten (die in keinster Weise mit den liberalen Parteien des Kontinents gleichzusetzen sind) nicht nur eine Stimme abzugeben, welche durch die Zukunftsangst getrieben ist, sondern auch das alles lähmende Zwei-Parteien-System der Insel zu sprengen.
Jedoch damit wird es nicht getan sein, um aus dem Schlamassel herauszufinden. Was bleibt, ist die Feststellung, dass der Kampf um die Vorherrschaft der Allgemeinheit – also der Menschen – über das Geld zumindest auf der Insel übermorgen beginnt.
Sascha Bremer
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De Maart

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