Robert Schneider
Ob die oben beschriebene parlamentarische Funktion des CSV-Abgeordneten überhaupt mit der Arbeit in der Anlaufstelle des Bistums vereinbar sei, wollten wir wissen. Majerus verweist hier auf die Bedingungen, die er stellte, um die Aufgabe zu übernehmen. Niemand rede ihm und dem Team, das sich aus professionell arbeitenden Psychologen, Wissenschaftlern und Experten aus verschiedenen Fachgebieten zusammensetzt, in die Arbeit hinein.
Es gelte das Prinzip, dass jede Aussage, die der Gruppe gegenüber gemacht werde, der Staatsanwaltschaft gemeldet wird; je nach Wunsch des Opfers geschehe dies anonym oder unter Angabe der Personalien des Opfers. Die Anlaufstelle filtere und bewerte nicht. Ohne die Zusage dieser Freiheit und Unabhängigkeit hätte er die Aufgabe nicht übernommen.
Ob es Sinn mache, dass die Kirche selbst eine Hotline einrichtete, fragten wir weiter. Sicher gebe es Opfer, die nach ihren schlimmen Erfahrungen überhaupt nichts mehr mit der Kirche am Hut haben wollen; es gebe aber auch solche, denen es explizit wichtig sei, dass die katholische Organisation ihnen Gehör schenke, so Majerus, der eine Gesprächspartnerin zitierte, die nach Jahrzehnten, während denen sie auf taube Ohren stieß, nun meinte: „Si lauschteren dës Kéier no.“ Hierin sieht er denn auch einen wichtigen Aspekt der Arbeit: Die Opfer ernst zu nehmen, ihnen und ihrer Geschichte Glauben zu schenken, den jeweiligen Fall zu dokumentieren.
Fast alle Missbrauchsopfer, die sich bislang bei der Anlaufstelle meldeten, sind weit über 60.
Straf- und zivilrechtlich haben diese Menschen ob der Verjährungsfristen nicht viel zu erwarten, eine Therapie hat nur mehr einen beschränkten Nutzen, die Täter sind in den meisten Fällen bereits verstorben. Die Dokumentation ihres Falles, auch via Staatsanwaltschaft, ist für diese Menschen von enormer Bedeutung.
31 sexuelle, 47 physische Übergriffe
Bislang haben sich bei der Hotline (Tel.: 621141115, E-Mail: [email protected]) 108 Personen gemeldet. 31 Mal meldeten Opfer sexuelle Übergriffe durch Pfarrer, Ordensfrauen und Ordensmänner resp. jugendliche Mitbewohner. Physischer Missbrauch, von der Ohrfeige bis zum stundenlangen Prügeln, wurde 47 Mal gemeldet und fünf Klagen betrafen finanzielle oder wirtschaftliche Übervorteilung. Sieben Anrufer meldeten sexuelle Gewalt außerhalb kirchlicher Strukturen und neun Menschen boten ihre Hilfe an. Bisher wurden 35 Fälle der Staatsanwaltschaft gemeldet. Parallel müssen die Täter sich vor einem Bistumsgericht nach kanonischem Recht verantworten.
Bislang wurde von dieser Instanz ein Pfarrer suspendiert; der Prozess ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Die Taten gehen laut Majerus hauptsächlich auf die 50er und 60er Jahre zurück, was erklärt, dass die klerikalen Täter fast alle verstorben sind.
Es gab auch Klagen aus belgischen Internaten (das Tageblatt hatte über Opfer aus Arlon und Virton berichtet, die Hotline erhielt Klagen aus Clairefontaine).
Am Rande des Gespräches kritisierte der ausgebildete Sexologe Mill Majerus die mangelnde Diskussionskultur in der katholischen Kirche und das lange Schweigen, mit dem jetzt Schluss sei. Der entstandene Schaden sei gewaltig …
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