Aus Avoriaz berichten „T“-Redakteur Kim Hermes (khe) und „T“-Radsport-Experte Petz Lahure (P.L.)
Am Samstag hatte Andy Schleck in Les Rousses noch etwas enttäuscht dreingeblickt. Er schien ein bisschen erschrocken von der Etappe im Jura-Gebirge. „Wir haben uns diese Etappe vorher nicht angeschaut, dabei war es sehr schwer“, so Schleck, der am Samstag auch ein erstes Mal ein kleines bisschen bluffen musste: „Ich habe mich nicht sehr gut gefühlt, aber ich wollte es meinen Gegnern nicht zeigen“, so der Mondorfer.
Contador, war er sich sicher, würde auf der Etappe nach Avoriaz angreifen und das Ziel sei es, ihm so gut es geht zu folgen. Hier irrte Schleck. Denn in Avoriaz war er es, der am Ende angriff. Und Tour-Favorit Contador konnte nicht bei ihm bleiben.
Andy Schleck, zehn Sekunden auf Contador und die anderen Favoriten gutgemacht und die Etappe gewonnen.
Andy Schleck: „Ich hatte Contador die ganze Zeit im Auge. Ich habe getrunken, wenn er getrunken hat, und aufgepasst. Ich hatte eigentlich mit einer Attacke gerechnet, aber meiner Meinung nach hat er einfach nicht die Beine gehabt. Zum Schluss konnte er nicht mehr mit mir mitgehen. Das motiviert mich unheimlichFrank Schleck: Gemischte Gefühle
Mit gemischten Gefühlen verfolgte der am vergangenen Dienstag schwer gestürzte Frank Schleck die gestrige Triumphfahrt seines Bruders am heimischen Fernsehen. „Einerseits empfinde ich eine große Freude für Andy und bin wahnsinnig stolz auf ihn. Ich hab sogar ein wenig weinen müssen. Andererseits ist aber auch Trauer in mir, nicht dabei gewesen zu sein. Denn ich weiß, ich wäre vorne mit
dabei gewesen“, so Frank Schleck. Aber es überwogen der Stolz und die Gewissheit, dass es in diesem Jahr mit dem Toursieg klappen könnte. „Jetzt geht es darum, nicht zu früh ins Gelbe Trikot zu fahren. Es würde nur unnötige Kräfte kosten, es zu verteidigen. Ich würde Andy in den Bergen so gerne helfen und ihm auch taktisch zur Seite stehen.“ , denn es war die erste Etappe in den Bergen, auch wenn das Schwerste noch kommt. Jetzt genieße ich erst einmal den Etappensieg.“
Lance Armstrong hattest du ja auch auf dem Zettel. Überrascht, wie viel er verloren hat?
A.S.: „Ich wusste nicht richtig, wohin mit ihm vor dieser Tour. Meiner Meinung nach war er sehr gut. Er hatte einen schweren Sturz heute, das muss man auch mal sagen. Er war genau vor mir, in einem Kreisverkehr lief sein Vorderrad platt und er fiel hin. Fast wäre ich mit ihm gestürzt. Er kam zurück, aber dass er abgehängt wurde, hatte wohl nichts mit dem Sturz zu tun. Es tut mir ehrlich gesagt auch ein bisschen leid für ihn, denn es ist seine letzte Tour und jetzt ist es vorbei mit dem Traum von Gelb. Aber Respekt. In dem Alter noch hier so anzutreten. Ich denke, er wird noch eine Etappe gewinnen.“
Bjarne Riis hat schon sieben km vor dem Ziel gesagt, dass du angreifen sollst. Tut es dir im Nachhinein nicht leid, es nicht früher versucht zu haben und noch mehr Zeit gewonnen zu haben?
A.S.: „Nein, gar nicht. Ich bin froh, dass ich die Etappe gewonnen habe. Wir haben einen Plan, und den will ich befolgen. Ich will keine Experimente. Vielleicht hätte ich das Gelbe Trikot holen können, aber ich habe ein Ziel, und das ist das Gelbe Trikot in Paris. Um das zu erreichen, muss man Schritt für Schritt vorgehen. Die Etappen, wo ich das andere Trikot holen kann, kommen noch. Man darf nicht zu viel auf einmal wollen. Ich habe die Etappe gewonnen und darüber bin ich glücklich.
Was war denn während der Etappe das Härteste?
A.S.: „Das Schwerste ist für mich immer der Beginn. Quickstep wollte die Sache nicht wirklich in die Hand nehmen, von daher ging es sehr schnell los. Das war sehr schwer. Zeitweise war das Feld in drei geteilt. Als die Gruppe dann weg war, habe mich vor allem darauf konzentriert, viel zu trinken und richtig zu essen. Und das Härteste war schließlich das Finale.“
Hattest du so einen Verlauf erwartet?
A.S.: „Ich habe mir eine entscheidende Etappe erwartet. Heute Morgen war ich sehr nervös, aber ich wollte es nicht zeigen. Heute war die erste Etappe, wo es nur auf die Beine ankommt. Heute haben wir die ersten Favoriten gesehen, die bereit sind, und andere, die ein bisschen in Schwierigkeiten kamen. Ich war zu hundert Prozent da, körperlich und mental. Und ich hatte mein Team um mich. Der heutige Sieg gibt mir noch ein kleines plus an Motivation. Das ist fantastisch. Ich bin wirklich froh. Und jetzt Gelb …“
Contador und Evans werden deine härtesten Gegner sein. Wie viel Vorsprung glaubst du, dass du vor dem Einzelzeitfahren brauchen wirst?
A.S.: „Das ist eine gute Frage. Ich kann sie nur nicht beantworten. Ich weiß nicht, ob ich eine Minute brauchen werde oder zehn, aber ich denke, eine wird reichen. Ich habe immer gesagt, dass ich in Gelb sein muss, wenn ich von der Startrampe des Einzelzeitfahrens rolle. Ich weiß, dass ich richtig schnell sein kann, wenn ich mit Druck in ein Einzelzeitfahren gehe, aber ich kann jetzt keine Zahlen nennen. Doch ich brauche das Gelbe Trikot, das ist klar. Wenn ich als Zweiter ins Einzelzeitfahren gehe, werde ich weder Alberto Contador noch Cadel Evans schlagen. Ich muss Gelb haben. Wie viele Sekunden ich brauche, kann ich nicht sagen. Aber nicht so viel, wie ihr denkt. Ich werde mit Sicherheit nicht wieder ein Einzelzeitfahren wie in Rotterdam hinlegen. Ich werde es besser machen.“
khe
DER KOMMENTAR
Andy für Lance
PETZ LAHURE
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Auf den Straßen nach Morzine ging gestern eine Ära zu Ende. Lance Armstrong, der ohnehin vom Tageblatt nicht zu den Favoriten dieser Tour gezählt wurde (siehe unsere Vorschau vom Samstag, 3. Juli), stürzte mehrere Male, doch waren es nicht allein diese Bekanntschaften mit dem Asphalt, die ihn fast zwölf Minuten zurückwarfen.
An Armstrong nagt vor allem der Zahn der Zeit. Er, der glaubte, die ewige Jugend gepachtet zu haben, ist mit fast 39 Jahren einfach zu alt, um auf Dauer, also über Wochen, Spitzenleistungen im Sport zu bringen.
Das hätte Lance wissen müssen, denn andere vor ihm machten die bittere Erfahrung, dass es einmal mit dem „Ganz oben“ vorbei ist und der Sturz ins Bodenlose droht, falls man nicht in seinen Körper hinein horchen will. Wie schön doch ein stiller Abgang auf dem Zenit der Karriere hätte sein können?
Am Tag von Armstrongs „bitterem Ende“ trat ein anderer ins Rampenlicht. Andy Schleck feierte in Morzine-Avoriaz seinen ersten Etappensieg bei der Tour und könnte in die Fußstapfen desjenigen treten, der einmal der Chef dieser Rundfahrt war.
Andy gegen Lance, diesen Tausch wird kaum jemand ausschlagen. Selbst wenn er mit der Tour und dem Radsport wenig am Hut hat.
De Maart
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