Dienstag11. November 2025

Demaart De Maart

Belgien: Erst schwieg die Kirche, jetzt die Justiz

Belgien: Erst schwieg die Kirche, jetzt die Justiz

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Sie erinnern sich vielleicht noch an die äußerst spek takuläre Razzia der belgischen Justizpolizei, darunter 50 Beamte der Computer Crime Unit und des Disaster Victim Identification Teams, am vergangenen 24. Juni im erzbischöflichen Palais von Mechelen, bei Kardinal Danneels und der Adriaenssens-Kommission in Löwen, benannt nach dem Vorsitzenden der kirchlichen Kommission, die sexuellen Missbrauch durch...

Von unserem KorrespondentenJoseph Lehnen
 

Am 24. Juni um 10.30 Uhr waren Mitglieder der Justizpolizei mit einem Hausdurchsuchungs-Befehl des Brüsseler Untersuchungsrichters Wim De Troy aufgetaucht und hatten sofort alle Dokumente und Computer sowie die Handys der Geistlichen beschlagnahmt.

Neun Stunden waren damals die belgischen Bischöfe festgehalten und einzeln verhört worden. Im Rahmen dieser Haussuchungen waren sogar Bischofsgräber in der Krypta der Kathedrale von Mechelen geöffnet worden. Verborgene Akten wurden dort nicht gefunden. Aber beschlagnahmt wurden zur gleichen Zeit in Löwen alle 475 Dossiers der Adriaenssens-Kommission.

Noch nie zuvor hatte ein Untersuchungsrichter die höchsten Geistlichen Belgiens derart hart angepackt.
Zwei Monate später wird es aber nicht für Danneels und Adriaenssens, sondern für De Troy eng. Bisher ist es ihm nicht gelungen, anhand des beschlagnahmten Materials die visierten Geistlichen zu belasten.

Und noch immer wartet die Kirche auf die Gründe für sein rigoroses Vorgehen. Der Untersuchungsrichter schweigt beharrlich, beugt sich keinerlei Druck. Auch nicht dem der Staatsanwaltschaft und des Justizministers. Noch immer gibt es keine Antwort auf die Frage, ob Kardinal Danneels in die Pädophilie-Affären von Priestern verwickelt war oder nicht.

Beunruhigung in der Bevölkerung

Und das beunruhigt die Bevölkerung mehr und mehr, sieht sie sich doch in Dutroux-Zeiten zurückversetzt, als es Justiz, Polizei und Gendarmerie wegen interner Differenzen jahrelang nicht gelungen war, den Fall abzuschließen. Damals hatte man die „guerre des polices“ mit einer Reform von Gendarmerie und Polizei beendet. Heute könnte man von einem Krieg der Justizbeamten sprechen, der mit einer weiteren Reform zu beenden wäre.

Wegen der Aufregung in der Bevölkerung und des öffentlichen Interesses an dieser Aktion im Allgemeinen hatte die Generalstaatsanwaltschaft die Anklagekammer gebeten, über die Rechtmäßigkeit der Razzia in Mechelen zu entscheiden. Seit fast zwei Wochen liegt die Antwort vor, aber nichts dringt an die Öffentlichkeit, weil Untersuchungsrichter De Troy, ohne Angaben von Gründen, die Veröffentlichung des Urteils verbietet. Und das ist sein gutes Recht.

Aber dieses Schweigen wird der Justiz angekreidet: Was gibt es diesmal wohl zu verbergen? Die Staatsanwaltschaft legte zwar gegen die Weigerung De Troys Berufung ein, musste aber kurz danach zugeben: „Der Untersuchungsrichter hat uns nicht erlaubt, über das Urteil der Anklagekammer zu sprechen. Doch werden wir alle Hebel in Bewegung setzen, damit das Urteil veröffentlicht wird“.

Schützenhilfe bekam die Staatsanwaltschaft von Justizminister Stefaan De Clerck, der selbst auch in Berufung ging. Auch dieser zeigte kein Verständnis für die Haltung des Untersuchungsrichters.

Aber wichtig sei nicht einzig und allein die Veröffentlichung, sondern vor allem die Umsetzung des Richterspruchs, meinte er. Sein Sprecher erklärte gegenüber der Presse weiter: „Der Minister und der Generalstaatsanwalt wollen, dass das Urteil unmittelbar ausgeführt wird.“ Aber nichts tut sich. Oder doch?

Der Vorsitzende der Vereinigung der belgischen Untersuchungsrichter, Karel Van Cauwenberghe, will Bewegung in die Angelegenheit bringen, denn dieses anhaltende, hartnäckige Schweigen De Troys schadet nicht nur seinem Berufsstand, sondern der gesamten Justiz. Und so forderte er seine Kollegen auf, sich an die eigene Nase zu fassen, den Fehler auch bei sich selbst zu suchen. Oft werde behauptet, der Untersuchungsrichter sei vollkommen unabhängig. Aber das sei nicht wahr. Er werde sehr wohl kontrolliert. Er müsse durchaus Rechenschaft über sein Handeln ablegen.

Merkwürdige“Haltung De Troys

Für Van Cauwenberghe hat De Troy einen großen Fehler begangen. Er habe zugelassen, dass die Hausdurchsuchungen stark mediatisiert worden seien. Das habe in der Öffentlichkeit hohe Erwartungen erweckt. Das plötzliche Schweigen des Untersuchungsrichters stimme aber mit seiner vorherigen Haltung nicht überein.

In Zeitungsinterviews sprach der Vorsitzende von einer „merkwürdigen“ Haltung De Troys. Jedenfalls will er dieses seltsame Vorgehen innerhalb der Berufsvereinigung klären lassen.
Besonders schlimm aber findet Van Cauwenberghe, dass die Opfer sexuellen Missbrauchs nicht darüber informiert werden, was mit ihren beschlagnahmten Dossiers geschieht. Sie müssten schnell eine Antwort erhalten. Zurzeit triumphieren die Bischöfe Belgiens. Sie ließen ein Kommuniqué verbreiten, in dem sie von einer „illegalen Vorgehensweise des Justizapparates“ sprachen. Die Justiz hätte sich diese Prozedurschlacht sparen sollen. Das Schweigen über den Inhalt des Urteils der Anklagekammer treibe die Opfer der Priester jetzt wieder in die Arme der Kirche.