Donnerstag13. November 2025

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Angst vor zweiter Giftschlammwelle in Ungarn

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Aus Angst vor einer neuen Giftschlammlawine ist der ungarische Ort Kolontar am Wochenende vollständig geräumt worden. Auslöser der Evakuierung waren Risse, die sich in den Wänden des Auffangbeckens der Aluminiumfabrik gebildet hatten. Ministerpräsident Viktor Orban sagte am Samstag, ein weiterer Dammbruch sei sehr wahrscheinlich.

Zwar erklärten Ingenieure am Sonntag, über Nacht hätten sich keine neuen Risse gebildet. Der Katastrophenschutz wollte die Warnungen jedoch nicht zurücknehmen. „Ich würde die Lage als hoffnungsvoll bezeichnen, aber nichts hat sich wirklich verändert“, sagte der Sprecher des Katastrophenschutzes, Tibor Dobson, am Sonntag.

Ältere Risse werden demnach zurzeit repariert, außerdem werden zusätzliche Schutzwände um das Auffangbecken errichtet, um weiteren Schlamm zurückzuhalten. „Der Damm zum Schutz von Kolontar soll heute Abend fertig sein, aber es wird wohl noch mehrere Tage dauern, bis die Bewohner in ihre Häuser zurückkommen können“, sagte Dobson.
Siehe auch:
Ungarisches Dorf aus Angst vor neuer Giftschlammlawine evakuiert

Bei einem Dammbruch könnten nach Schätzung von Experten weitere 500.000 Kubikmeter ätzenden Rotschlamms austreten. Vorsorglich mussten daher die verbliebenen Einwohner von Kolontar den Ort räumen. Wer über kein eigenes Auto verfüge, sei mit Bussen abgeholt worden und habe 20 Kilogramm Gepäck mitnehmen dürfen, sagte Dobson. Die Menschen wurden in die Stadt Ajka gebracht.

Auch im Nachbarort Devecser wurden die rund 5.300 Einwohner bereits von den Behörden aufgefordert, eine Tasche zu packen und sich für eine mögliche Evakuierung bereitzuhalten. Aus dem lecken Deponiebecken waren am Montag 700.000 Kubikmeter Rotschlamm, wie er als Abfallprodukt der Aluminiumherstellung anfällt, ausgetreten und hatten binnen einer Stunde drei Dörfer überschwemmt. Mindestens sieben Menschen kamen ums Leben, hunderte wurden verletzt.

Die ausgelaufene Brühe bestand zum großen Teil aus Wasser; zäherer Schlamm floss langsamer und konnte durch eilig errichtete Sperren zurückgehalten werden. Jetzt würden nördlich des Beckens in Richtung der Dörfer Dämme errichtet, um im Fall eines weiteren Durchbruchs den Schlamm aufzuhalten, berichtete Orban vor Journalisten in einer Feuerwache in Ajka nahe der Fabrik. 

„Dafür wird sich jemand zu verantworten haben“

Ein Riss in der Betonwand des Beckens habe sich in der Nacht zum Samstag um sieben Zentimeter verbreitert, ein Einsturz sei sehr wahrscheinlich. „Wir haben keine genauen Informationen über die Beschaffenheit des Materials, denn so eine Katastrophe ist auf der Welt noch nicht passiert“, sagte Orban. Man könne nur Vermutungen anstellen, wie schnell und wie weit der Schlamm fließen könnte.

Die ätzende Masse hatte am Donnerstag die Donau erreicht und floss in Richtung der Anrainerstaaten Kroatien, Serbien und Rumänien. Am Freitag wurden alle paar Stunden Wasserproben aus der Donau entnommen. Während aber die Flüsse und Bäche in unmittelbarer Nähe des Unglücksorts ph-Werte von 13,5 aufwiesen, scheint das Gift dem zweitgrößten europäischen Fluss bislang wenig anzuhaben.

Der pH-Wert an der Stelle, wo das kontaminierte Wasser in die Donau fließt, lag nach Auskunft der Katastrophenschutzbehörde bei neun. Das sei gering genug, um einen biologischen Schaden zu vermeiden, sagte Innenminister Sandor Pinter.

Unternehmen weist Vorwürfe zurück

Die Umweltschützer von Greenpeace erklärten hingegen, der Rotschlamm enthalte „überraschend hohe“ Konzentrationen an Arsen und Quecksilber. Der Aluminiumfirma MAL zufolge, der das Werk gehört, befinden sich noch 90 Prozent des Rotschlamms im Sammelbecken.

Das Unternehmen hat Vorwürfe zurückgewiesen, dass es stärkere Vorsichtsmaßnahmen hätte treffen müssen. Die Ermittlungsbehörden beschlagnahmten inzwischen Unterlagen und gehen dem Verdacht der Fahrlässigkeit nach.

Erste Zeugen wurden befragt. Orban sagte, das Unglück hätte vermieden werden können. Es müsse „menschliches Versagen und Fehler“ gegeben haben. Er kündigte ernste rechtliche Konsequenzen an und betonte: „Dafür wird sich jemand zu verantworten haben.“

(dapd)