Dienstag11. November 2025

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Sport als Rechtsinsel: Feigenblatt Ethik-Kommission

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FUSSBALL - Die doppelte Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 am Donnerstag in Zürich wirft die Frage auf, wie IOC und FIFA als größte Sport-Organisationen abseits vom Strafrecht Recht sprechen. Bei dieser Art von Selbstjustiz spielen Ethik-Kommissionen eine besondere Rolle.

Javier Perez de Cuellar aus Peru war UN-Generalsekretär. Thomas Buergenthal hat als Jude in Deutschland Auschwitz überlebt und ist in den USA zu einem bedeutenden Rechtswissenschaftler geworden. Guy Canivet ist Mitglied des Verfassungsrates in Frankreich. Samuel Schmid war Bundespräsident der Schweiz, und Günter Hirsch stand von 2000 bis 2008 dem Bundesgerichtshof (BGH) vor. So unterschiedlich die Namen und Nationalitäten, so übereinstimmend ist ihre Berufung: Sie gehören den Ethik-Kommissionen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des Fußball-Weltverbandes FIFA an.

Schweizer Korruptionsstrafrecht nimmt bisher IOC und FIFA aus, die Eidgenossenschaft behandelt sie noch wie Vereine. Und das, obwohl der olympische Dachverband im Vier-Jahres-Rhythmus mittlerweile rund sechs Milliarden Dollar umsetzt, die FIFA dank ihrer Weltmeisterschaft etwa vier Milliarden Dollar. Die Vergabe der kostbaren Meisterschaften ist rechtlich kein Geschäftsgebaren, sie fußt auf Vereinsrecht. Vergehen innerhalb IOC/FIFA
ETHIK-KOMISSION

o FIFA:
– Vorsitz: Claudio Sulser (Schweiz)
– Stellvertreter: Petrus Damaseb (Namibia)
– Mitglieder: Ariel Alvarado (Panama), Juan Pedro Damiani (Uruguay), Abdoulaye Mokhtar Diop (Senegal), Burton K. Haimes (USA), Günter Hirsch (Deutschland), Les Murray (Australien), Dominique Rocheteau (Frankreich), Roosje Suwae (Papua-Neuguinea), Dali Tahir (Indonesien), Robert Torres (Guam), Sondre Kåfjord (Norwegen), Jorge Ivan Palacio (Kolumbien)

o IOC:
– Vorsitz: Youssoupha Ndiaye (Senegal)
– Mitglieder: Thomas Buergenthal (USA), Guy Canivet (Frankreich), Francisco J. Elizalde (Philippinen) IOC-Mitglied, Javier Perez de Cuellar (Peru), Craig Reedie (Großbritannien) IOC-Mitglied, Samuel Schmid (Schweiz), Rebecca Scott (Kanada) IOC-Mitglied, Leo Wallner (Österreich) IOC-Mitglied – Mitgliedschaft ruhtder beiden größten Sport-Organisationen unterliegen einer Art Selbstjustiz. Ausgeübt wird sie über Ethik-Kommissionen.

Unmittelbar nach dem Korruptions-GAU 1999 um den Olympia-Bewerber Salt Lake City, der zehn seiner Mitglieder das Amt kostete, schuf sich das IOC seine Ethik-Kommission. Sie ist noch heute hochrangig besetzt, wie die Namen Perez de Cuellar, Buergenthal, Canivet und Schmid zeigen. Das IOC nennt die Kommission „unabhängig“, weil höchstens vier der Neuner-Gruppe IOC-Mitglieder sein können. Im Unterschied zur FIFA haben die olympischen Ethiker kein Entscheidungsrecht. Sie empfehlen lediglich, abgestimmt wird darüber im Exekutivkomitee.

Doch selbst eine prominent besetzte Ethik-Kommission schützt das IOC nicht vor dem Verdacht, es benutze seine Institution auch als Feigenblatt. Erst kürzlich setzte das Exekutivkomitee sein suspendiertes südkoreanisches Mitglied Lee Kun-hee wieder mit allen Rechten ein, nachdem der wegen Wirtschaftskriminalität verurteilte Multimilliardär vom Staatschef begnadigt worden war. Und zwar mit dem Auftrag, Lee solle helfen, die Winterspiele 2018 nach Pyeongchang zu bringen.

Im IOC spricht man von einem „doppelten Unrecht“, das die Exekutive zu verantworten habe. Ein Wirtschaftsverbrecher habe im IOC nichts zu suchen, zumal nicht mit einem solchen Auftrag. Die IOC-Spitze setzt sich mit ihrem Urteil dem Verdacht aus, sie wolle keinen ihrer wertvollen Top-Sponsoren verlieren. Lee ist der Patron des Weltunternehmens Samsung. Und das zahlt dem IOC ein Vier-Jahres-Honorar von 100 Millionen Dollar.

Dennoch schneidet das IOC im Vergleich mit der FIFA noch gut ab. Der von dem Schweizer Sepp Blatter regierte Weltverband setzte seine Ethik-Kommission als „unabhängiges Rechtsorgan“ erst 2006 ein und verlor den Briten Sir Sebastian Coe als Vorsitzenden bereits nach einem Jahr. Die 14-köpfige Kommission ist eine bunte Gruppierung von Richtern, ehemaligen Nationalspielern, Club-Präsidenten und Generalsekretären, in der der frühere BGH-Präsident Hirsch fast wie ein Exot wirkt.

Als Vorsitzender fungiert nun Blatters Landsmann Claudio Sulser, ein Anwalt aus Lugano und 49-facher Nationalspieler. Als vergangene Woche Sulsers Kommission zwei der FIFA-Exekutiven wegen des dringenden Verdachts des Stimmenverkaufs für die bevorstehenden WM-Vergaben nur mit kurzzeitigen Sperren belegte, machte sich weltweit Empörung breit. Hirsch ließ wissen, er habe mit dem Fall nichts zu tun, enthält sich aber vorläufig jeden Kommentars.

Tauschgeschäfte

Blatters FIFA weigert sich, den Korruptionsverdacht gegen drei weitere Exekutivmitglieder untersuchen zu lassen – das stellt seine Ethiker von vornherein ins Abseits. Im unübersehbaren Gegensatz zum IOC, das durch seine Kommission ein Verfahren eingeleitet hat, denn zumindest der verdächtigte Issa Hayatou ist auch Olympier.

Doch es gibt noch andere Unterschiede. Sie liegen im System. Beim IOC entscheiden seine gut 100 Mitglieder über die Olympia-Vergabe. Sie dürfen Bewerber seit 1999 nicht mehr besuchen. Bei der FIFA sind es maximal 24 Stimmen der Exekutive. Das bedeutet Macht für wenige, die sich für den Einzelnen als unerhörten Druck und „Wertsteigerung“ auswirkt. Zudem kommen sieben der Fußball-Oberen aus Bewerberländern; beim IOC hätten sie kein Stimmrecht.

Zwei WM-Vergaben auf einmal laden zu Tauschgeschäften aller Art förmlich ein, bei globaler Reisetätigkeit. Alle neun Bewerber hatten die Exekutiven als Gäste eingeladen, in Moskau inklusive Kreml-Besuch und in Washington im Weißen Haus.