Claude Clemens
Mit dieser Redewendung hatte Palgen auf seinen Karriere-Tiefpunkt angespielt: Eine Halswirbel-Verletzung im Jahr 2005, die leicht auch viel schlimmer hätte enden können.
Tat sie aber glücklicherweise nicht, 2006 rappelte sich der Hochleistungssportler wieder auf und rief 2007, genau in dem Moment, als es wirklich sein musste, die bis dahin beste Leistung seiner Karriere ab.
2008 erfüllte er sich seinen olympischen Traum in Peking, brachte auch dort eine Top-Leistung. Dies alles nach einem stetigen, körperlichen und mentalen Reifeprozess.
Der nach Peking weiterging. Erster Schritt: Weitermachen oder nicht? „Die Eindrücke von den Spielen sind einfach enorm. Darum wollte ich meine Chance ergreifen, noch mal vier Jahre dranzuhängen“, sagte Palgen im September 2008.
Ein Schritt, der reiflich überlegt und sorgfältig geplant werden musste in einer – recht verletzungsträchtigen – Sportart, in der man in der Regel nicht reich wird und ohne eine 40-Stunden-Trainingswoche schnell weg vom Fenster ist.
Um sich finanziell abzusichern, tritt Sascha Palgen in die Elitesportler-Sektion der Armee ein. Die viermonatige Grundausbildung ab Januar läutet ein eher verkorkstes Jahr 2009 ein.
Auch das übersteht Palgen, und startet ab 2010 wieder durch. Neben fünf bis sechs Trainingsstunden am Tag widmet sich der Turner seinem Fernstudium in „International Business“. Angedacht war au
ch einmal ein Studium bzw. eine Ausbildung bei Mercedes in Stuttgart, „aber das hätte einen achtstündigen Arbeitstag bedingt“, so Palgen, „das wollte ich nicht. London 2012 ist das Ziel, und wenn ich etwas mache, dann richtig. Keine halben Sachen.“
Aus Sascha Palgen sprechen ein unbändiger Wille und ein riesiges Selbstvertrauen – gewachsen nach vielen größeren und kleineren Rückschlägen.
So zum Beispiel bei den Saison-Höhepunkten 2010: Bei der EM erreicht er u.a. wegen sehr strenger Wertungen kein Gerätefinale, verfehlt das angepeilte Ziel. Dann die WM im Oktober: An vier Geräten turnt er teilweise so gut wie noch nie, „verbockte“ aber seine stärksten Geräte Boden und Pauschenpferd.
„Ausgerechnet …“: Mit gefühlten zehn Ausrufe- und Fragezeichen kommentierte Palgen dies am Wochenende bei den Luxemburger Meisterschaften. Enttäuscht sicherlich („Ich war so gut vorbereitet wie noch nie bei einer WM“); aber das ist bereits abgehakt, das Positive wurde daraus gezogen und es wird nach vorne geblickt: „In diesem Jahr dürfen mir noch Fehler passieren … Aber insgesamt bin ich 2010 stabiler geworden an all
en Geräten, und habe noch weitere neue Elemente in petto.
Deswegen, und angesichts der Fehler, habe ich also noch viel Luft nach oben. Außerdem hat man bei der WM zum wiederholten Male gemerkt, dass im neuen ‚Code de pointage‘ extrem viel Wert auf eine saubere Ausführung der Übungen gelegt wird.“
Bleibt die Erkenntnis: „Also lieber ein Element gar nicht turnen als nicht sauber, sonst bist du weg.“ Für sich und seine sportliche Entwicklung hat Sascha Palgen also auch aus diesem „accident de parcours“ – „aber das kommt vor im Sport, dann muss man eben wieder aufstehen“ – seine Lehren gezogen.
Einer von14 bis 18 sein
Die wird er auch beherzigen müssen, denn entgegen erster möglicher Änderungsvorschläge nach Olympia 2008 haben nur Teams – über die Nationen-Wertung bei der WM im September 2011 in Tokio un
d beim Qualifikations-Event im Januar 2012 in London – zwei Qualifikations-Chancen für Olympia 2012.
Für Einzelturner bleibt nur das Event in London: „Also wieder nur eine Chance, an einem einzigen Tag, wenn du an dem Tag schlecht drauf bist …“, fügt sich Palgen in sein Schicksal. 2007 hatte er als zehnter von letztendlich zwölf Einzelturnern die Qualifikation geschafft. Dieses Mal dürften es wohl 14 bis 18 Einzelturner werden.
Nicht nur deshalb ist Sascha Palgen optimistisch. Die größte Schwierigkeit dürfte im Wettkampf-Kalender liegen: EM 2011 Anfang April in Berlin, dann Weltcup-Saison, WM 2011 im September in Tokio, dann Bundesliga-Saison, dann das Qualifikations-Event im Januar 2012 in London, im Frühjahr 2012 wieder eine EM, und schließlich Olympia 2012 im August wiederum in London als Apotheose.
Bei so einem dichten Kalender wird die Planung extrem wichtig sein, „da muss man sehr gut überlegen, wo man Intensität rausnimmt und wo richtige Pausen möglich sind“.
Aber auch diese Hürde sollte ein in allen Hinsichten gereifter Sascha Palgen überwinden können. Und sich den olympischen Traum ein zweites Mal erfüllen.
SASCHA PALGEN SEIT 2001
o 2001: Junioren-WM, Mehrkampf: 84. bei 268 Startern insgesamt
o 2002: Junioren-EM: Zieht als 20. (133) mit 49,562 Punkten ins Mehrkampf-Finale ein; wird dort 15. mit 50,436 Punkten
o 2003: WM, Mehrkampf: 102. (325)
o 2004: EM: Zieht als 22. (150) mit 51,348 Punkten ins Mehrkampf-Finale ein; wird dort 17. mit 52,573 Punkten
o 2005: 31. März: Trainingssturz bei einer Boden-Übung; Bruch eines Gelenkfortsatzes am 7. Wirbel der Halswirbelsäule; 5 Monate totale Ruhe
o 2006: 24. März: Wettkampf-Comeback nach mehr als einem Jahr Verletzungspause; WM, Mehrkampf: 103. (279)
o 2007: EM, Mehrkampf: 33. (153) – 20. (94) am Boden; WM, Mehrkampf: 50. (253) mit Karriere-Bestleistung bei großen Meisterschaften (86,625 Punkte) – Olympia-Qualifikation
o 2008: EM, Mehrkampf (kein Finale, nur Geräte-Finals): 11. (159); Olympia, Mehrkampf: 37. (98/44 bestritten den kompletten Sechskampf) mit zweitbester Karriere-Leistung (86,075) – 22. (77) am Boden
o 2009: Militärdienst; Schulter-Verletzung vor/während JPEE; bei WM nur drei Geräte-Starts
o 2010: EM, Mehrkampf (kein Finale, nur Geräte-Finals): 8. (120) – 22. (73) am Pauschenpferd; WM, Mehrkampf: 104. (299)
o Sascha Palgen: Geboren am 15. August 1984; Sportsoldat; lebt in Tetingen und Stuttgart, trainiert dort am deutschen Bundesleistungszentrum; Vereine: Etoile Rümelingen und TT Stuttgart; 47x Luxemburger Meister (Mehrkampf und Geräte), davon 7x im Mehrkampf (erstmals 1999)
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