Freitag7. November 2025

Demaart De Maart

Der fantastische 62-km-Ritt des Andy Schleck

Der fantastische 62-km-Ritt des Andy Schleck

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Die historische Etappe der Tour de France auf den Galibier hatte einen würdigen Sieger. Im Stile eines Charly Gaul „ritt“ Andy Schleck 62 km durch die Berge und verpasste das „Maillot Jaune“ nur um 15 Sekunden.

Frank Schleck klassierte sich als Zweiter. Am Freitag will sich Andy in Gelb kleiden.

Die Jagd fand statt. Genau 62,3 km waren auf der Königsetappe der Tour de France zwischen Pinerolo und Galibier-Serre-Chevalier noch zu fahren, als Andy Schleck zum Halali blies. Der 26-Jährige (geb. am 10.6.1985), der angekündigt hatte, nicht bis zum Schlussanstieg warten zu wollen und schon vorher anzugreifen, hielt Wort. Er löste sich mit einer Leichtigkeit sondergleichen aus dem Peloton und machte sich auf die Verfolgung einer Gruppe von Fahrern, die schon früh ausgerissen waren und zu denen auch die beiden Leopard-Trek-Fahrer Joost Posthuma und Maxime Monfort gehörten.

Es war schon ein perfekter Jagdplan, den die Leoparden da ausgeheckt hatten. Sie schickten relativ frühzeitig zwei Fahrer (Joost Posthuma und Maxime Monfort) in die „échappée matinale“. Jens Voigt und Stuart O’Grady kümmerten sich im Peloton um das Wohlergehen von Andy Schleck, bis dieser einmal kurz pfiff und damit das Signal für die „Operation Galibier“ gab. Im Feld wurde Andys Angriff so weit vor dem Ziel nicht ernst genug genommen, denn niemand reagierte. Doch eben solch eine Attacke, wie Andy sie am Donnerstag ritt, ist das Salz und der Pfeffer in der Tour-Suppe. Die Vergangenheit hat bewiesen, dass die ganz großen Champions wie Charly Gaul, Eddy Merckx oder Bernard Hinault sich derartige Sondereskapaden leisten können. Dass auch einem Andy Schleck solches zuzutrauen war, mussten zumindest all diejenigen wissen, die den jungen Mann von klein auf kennen.

Zur richtigen Zeit

Das Tageblatt wurde nicht müde, immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass endlich etwas an der Fahrweise im Leopard-Team geändert werden müsste. Noch am 13. Juli schrieben wir an dieser Stelle wortwörtlich: „Die Schlecks müssen irgendwann angreifen, um genügend Vorsprung vor dem ‚contre-la-montre‘ herauszufahren. Dabei darf der Fehler der vergangenen Jahre nicht gemacht werden, alles auf den letzten Anstieg ins Ziel zu setzen. Wer bei einer Tour wirklich Abstände schaffen will, muss seinen Angriff viel früher planen.“

„Mein Temperament“

Mit seiner Attacke wirbelte Andy das Feld durcheinander, er stiftete Unruhe, fast sogar Panik und ließ die andern an ihren Fähigkeiten zweifeln. Schleck vergrößerte seinen Vorsprung trotz des äußerst starken Gegenwindes ständig und schraubte ihn zeitweise auf 4’10“, was gleichbedeutend mit der Übernahme des „Maillot Jaune“ war. Das war nicht Andy Torticolis (wie ihn die Fahrer wegen seines ständigen Zurückblickens nennen), der da durch die wunderschöne Landschaft rund um den Izoard, den Lautaret und den Galibier radelte, das war viel eher Charly Schleck, der das Herz der vielen Luxemburger Supporter, die mit ihren „roten Löwen“ an der Strecke standen, höher schlagen ließ.

Am Ende verfehlte Andy Schleck das „Maillot Jaune“ um 15 Sekunden, doch ist nicht aller Tage Abend. Außer Andy und dem überraschenden Thomas Voeckler kommen nur noch Frank Schleck und Cadel Evans für den Schlusssieg in Frage. Alberto Contador wurde im Schlussanstieg abgehängt und liegt in der Gesamtwertung 4’44“ hinter dem erstaunlichen Thomas Voeckler.

Dieser könnte die Tour eventuell durch seine „Fahrt in den Hinterhof“ verlieren, die ihn tags zuvor rund 20 Sekunden kostete. Mal abwarten.

Härtester Widersacher

Wichtig ist auf den ersten Blick jedenfalls, dass Andy Schleck 57 Sekunden Vorsprung auf Cadel Evans hat, wahrscheinlich den härtesten Widersacher im Kampf um den Gesamtsieg. Allein dem Australier war es zu verdanken, dass die Tour-Entscheidung gestern vertagt wurde. In der Steigung des Galibier schleppte er das reduzierte Feld näher an Andy heran. Dieser lag mit seiner „Ça passe ou ça casse“-Devise richtig. „So ist eben mein Temperament“, meinte Andy. „Ich hatte keine Angst und setzte alles auf eine Karte. Die andern mussten sich ja auch wehtun, wenn sie mich einfangen wollten.“

Am Freitag wird auf den Hängen des Télégraphe, des Galibier und der Alpe d’Huez die letzte Bergetappe ausgetragen. Der erste Gipfel wird schon nach 26 km überquert, danach geht’s den Galibier von der entgegengesetzten Seite wie am Donnerstag hoch (km 48,5). Es folgt die lange Abfahrt ins Tal nach Bourg d’Oisans, ehe die 13,8 km lange Steigung zur Alpe d’Huez hinauf den Etappensieger kürt.

Fünf Jahre ist es her, dass mit Frank Schleck der erste und bisher einzige Luxemburger sich oben auf der Alpe ins goldene Buch eintrug. Das damalige Rennen aber kann nicht mit dem von heute verglichen werden. 2006 war Frank Schleck mit zwei weiteren CSC-Mannschaftsgefährten in einer größeren Fluchtgruppe, die von den Leadern im Gesamtklassement einen „Freifahrtschein“ bekommen hatte, weil kein Konkurrent dabei war, der ihnen gefährlich werden konnte. Auf den letzten km blieben nur Damiano Cunego und Frank Schleck übrig. Der Luxemburger ließ den Italiener stehen und fuhr allein als vielumjubelter Sieger ins Ziel.