Samstag8. November 2025

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„Eine Stadt ist zuerst für die Einwohner da“

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LUXEMBURG - Am 17. Oktober wird Ben Fayot ein letztes Mal für die LSAP im Gemeinderat der Hauptstadt sitzen. 30 Jahre lang hat er dort versucht, die Stadt mitzugestalten. 30 Jahre, die er aber immer von der Oppositionsbank aus erlebte.

Das soll allerdings nicht heißen, dass „ich alles, was in den letzten 30 Jahren in der Hauptstadt passiert ist, radikal ablehne oder schlecht finde“, so Fayot. Vieles hat er initiiert oder mitgetragen. Und er hat die Entwicklung der Hauptstadt aus der ersten Reihe mitverfolgt. Auf so manches hätten die Entscheidungsträger gut reagiert, bei anderen Sachen wurde man von der Entwicklung überrascht. Und diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Hauptstadt steht unter einem „enormen Wachstumsdruck“, und so blickt Fayot im Gespräch – teilweise besorgt – eher nach vorne als zurück. Ein wehmütiger Rückblick scheint nicht zu ihm zu passen, außer bei der Tatsache, dass er in seinen 30 Jahren als Gemeinderat mit der LSAP nie in der Exekutive der Hauptstadt war.

Steckbrief

Ben Fayot (geboren am 25. Juni 1937) ist seit dem 1. Januar 1982 im Luxemburger Gemeinderat. Seit 1963 ist er Mitglied der LSAP. U.a. war er von 1984 bis 1989 und seit 1999 Abgeordneter, von 1989 bis 1999 war er Mitglied des Europaparlaments. Fayot studierte an der „Sorbonne“ in Paris und später an den „Instituts d’études politiques“. Bis 1984 war er Sprachenprofessor am Iserp und am „Athenée de Luxembourg“.

Tageblatt: 30 Jahre waren Sie mit der LSAP in der Hauptstadt immer in der Opposition, der letzte LSAP-Bürgermeister war Paul Wilwertz (1963-1969). Woran liegt das?

Ben Fayot: „Nach dem Zweiten Weltkrieg waren wir lange die stärkste Fraktion im Gemeinderat. Auch da waren wir mal in der Opposition. Aber von 1963 bis 1969 hatten wir den Bürgermeister in einem Schöffenrat zusammen mit der CSV. So sollte es nach den Wahlen 1969 weitergehen, aber dann kam es in der LSAP selbst zum Zoff. 1970 haben unsere Escher Kameraden der CSV den Stuhl vor die Tür gesetzt und sich mit den Kommunisten zusammengetan. Die Retourkutsche bekamen wir in der Hauptstadt, die CSV tat sich mit der DP zusammen und Colette Flesch wurde Bürgermeisterin. Aber das Abnehmen unserer Sitzzahl hat eine ganze Reihe von Ursachen. Die erste sind wir selber. Wir müssen uns fragen, ob wir gut genug waren und ob wir nicht selber schuld an unserem Rückgang sind. Aber es gibt auch eine soziologische Erklärung. Die Stadt hat sich immer stärker bourgeoisiert und gentrifiziert. Davon hat natürlich die DP profitiert, auch die CSV hatte davon eine Zeitlang einen Nutzen. Jetzt profitieren die Grünen davon.“

Die Stadt hat sich demnach die letzten 30 Jahre fundamental verändert. Wie genau?

„Das hat in den 60er Jahren angefangen. Da hat die Stadt sich wirtschaftlich enorm entwickelt durch den Banken- und Finanzplatz. Und dadurch entstand ein fürchterlicher Druck auf dem Immobilienmarkt. Die Stadt Luxemburg hatte damals fast keine Bürogebäude. Angefangen hat es auf dem Boulevard Royal, der für den Bankenplatz komplett rasiert wurde. Das war der Anfang.Und es ging so weiter durch die Entwicklung der Dienstleistungen. Der Druck auf den Immobilienmarkt wurde immer größer, die Preise sind gestiegen und die Mittelschicht, junge Leute und Familien mit Kindern, wurde aus der Stadt gedrängt.“

Wurde das denn damals erkannt oder ging das in der Banken-Euphorie unter? Schließlich kamen ja auch Wohlstand und Arbeitsplätze?

„Es ist immer schwer, heute zu sagen, was man damals falsch gemacht hat. In den 60er Jahren hat keiner voraussehen können, was aus dieser Stadt werden würde. Mit dem Boulevard Royal hat man eigentlich gedacht, dass es gut wäre. Auf Kirchberg wurde dann für die europäischen Institutionen gebaut, aber es konnte sich keiner vorstellen, dass es das neue Viertel für die Finanzwelt werden würde. Die ‚kleine Stadt‘, Bahnhof und Oberstadt, war aber einfach zu klein undhat das nicht geschafft. Die Verteuerung der Wohnungen wurde immer schlimmer. Und jetzt ist sie auf einem erschreckenden Niveau. Das geht so weit, dass jetzt in den Wahlprogrammen die DP als Erstes von Wohnungen für junge Leute zu annehmbaren Preisen spricht. Das ist das Allererste im Programm.Dabei ist sie seit 42 Jahren an der Macht.“

Aber es heißt doch immer, die Gemeinden hätten keine Handhabe. Hat man die Stadt nicht zu sehr den Promotoren überlassen?

„Selbstverständlich. Das ist Politik. Eine liberale Partei greift nicht als öffentliche Verwaltung in den Immobilienmarkt ein. Was sie macht, ist eine Ordnungspolitik via Baugenehmigungen. Diese müssen dem Bebauungsplan entsprechen, aber die Partei greift nicht positiv ein, indem sie selber Bauland kauft oder Projekte lanciert. Das überlässt sie öffentlich-rechtlichen Institutionen wie dem ‚Fonds de logement‘ oder der SNHBM. Selber greift sie nicht auf dem Markt ein.“

Könnte sie das denn?

„Selbstverständlich. Wenn der politische Wille da wäre, könnte sie. Es ist natürlich heute viel schwerer als noch vor 20, 30 Jahren. Auch die CSV, die von 1969 bis 2005 mit den Blauen im Schöffenrat war, hat ein großes Stück Verantwortung, was die Situation auf dem Wohnungsmarkt der Stadt Luxemburg betrifft. Der politische Wille war nicht da, um auf dem Markt einzugreifen. Der Nebeneffekt ist, dass sie dadurch, dass sie ihre Verantwortung nicht übernommen haben, nicht verhindern konnten, dass Büros in Wohnhäusern entstehen“

Das Verhältnis zwischen Leuten, die in der Stadt arbeiten und dort wohnen, scheint vor allem im Stadtkern nicht mehr zu stimmen. Ist die Stadt in ihren Augen wirklich tot nach Feierabend?

„Da kommen wir auf eine urbanistische Diskussion. Wir haben ja in dieser Wahlkampagne versucht, auf die Stadtviertel zu setzen. Für die Bewohner ist es interessant, dass diese Viertel leben. Handel, Treffpunkte, Sportplätze, Spielplätze, Schulen, das alles bringt ein Zusammengehörigkeitsgefühl. In dieser Hinsicht ist auch die Oberstadt ein Viertel. Ich will nicht sagen, dass es eine Art Disneyland ist, aber es wurde ein bisschen so aufgebaut. Das ist schade. Der Stadtkern hat am meisten an menschlicher Substanz verloren. Die Oberstadt wird gar nicht mehr als Wohnviertel angesehen. Es ist eine Kulisse für Konzerte, Rennen und was weiß ich, für alle möglichen Veranstaltungen.“

Luxemburg entwickelt sich ja weiter, es kommen Großprojekte wie Ban de Gasperich, Porte de Hollerich usw. Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung, denn es scheint, als würden eben diese Projekte mit der größten Energie vorangetrieben?

„Das ist eine politische Richtung, die eingeschlagen wird, um mit Privatpromotoren einen „playing ground“ zu geben und mit diesen privaten Promotoren in der Stadt Sachen zu schaffen, die Prestige geben. Etwa „Royal Hamilius“, ein Prestige-Objekt, um die Stadt attraktiv zu machen, ebenso ist es bei den anderen Projekten. Da stellen sich immer die gleichen Probleme. Diese Projekte bringen Geschäftsflächen, Büroflächen und Wohnungen. Das Verhältnis ist meistens zwei Drittel für Büros und Handel und höchstens ein Drittel Wohnungen. Das heißt, der Handel wird ausgebaut, meiner Ansicht nach zum Nachteil des Handels in der Stadt selber. Bei den Büros ist es das Gleiche. Riesenprojekte, die mehr Verkehr und mehr Aktivität erzeugen. In meinen Augen sind das alles Projekte, die den Charakter der Stadt in den nächsten 20 bis 30 Jahren komplett verändern werden. Natürlich ist das eine wirtschaftliche Entwicklung, und man kann nicht alles abschneiden. Aber eine Stadt ist zuerst für die Einwohner da. Wenn die nicht da sind, dann braucht man auch keine Geschäfte mehr.“

Wie könnte denn eine LSAP in der Hauptstadt wieder Fuß fassen?

„Ein Beispiel: Wenn wir das Problem der Wohnungen anreißen, wenden wir uns ja eben an jene Leute, die gar nicht mehr hier wohnen, sondern weggezogen sind, weil sie keine Wohnung gefunden haben. Das ist eine schwierige Situation. Es ist aber auch eine Frage von Generationen. Manche unserer Spitzenleute waren oder sind in der Regierung, zudem fehlt eine Generation zwischen den älteren und den jungen Politikern. Wir haben jetzt eine Liste, die wirklich repräsentativ ist. Das müssen wir weiterführen. Und dann muss man schauen, dass diese „Neuen“, die sich für den Gemeinderat herausschälen, auch systematisch Gemeindepolitik betreiben. Wir brauchen mehr politisches Personal, das auch zwischen den Wahlen politisch aktiv ist. Das ist meine tiefe Überzeugung, auch wenn ich weiß, dass heute in der Politik vieles Spektakel und oberflächlich ist.“