Vor den Parlamentariern der Europäischen Volksvertretung beanspruchte er mit ungewohntem Enthusiasmus und Entschlossenheit die Führungsrolle für sich und sein Kollegium in der Europäischen Union. Die Brüsseler Behörde und sonst niemand sei befähigt, als europäische Wirtschaftsregierung zu fungieren. Der Kommissionspräsident will diesen Machtanspruch demnächst mit neuen Vorschlägen zur Ausgestaltung der wirtschaftspolitischen Steuerung der EU untermauern.
" class="infobox_img" />Guy Kemp gkemp@tageblatt
Abgesehen davon, dass nun die seit fast zwei Jahren wie ein Mantra wiederholte Erkenntnis, dass die Eurozone nicht ohne eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter funktionieren könne, demnächst institutionell und legislativ Form erhalten könnte, können die Worte Barrosos auch als Kampfansage an den Europäischen Rat, insbesondere aber an den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, verstanden werden. Denn es war deren Idee, die europäische Wirtschaftsregierung in ein Gremium bestehend aus den Staats- und Regierungschefs der Eurozone zu verorten. Doch ist eben gerade dort das Problem entstanden, das dieselben nun seit fast zwei Jahren noch immer nicht zu lösen vermochten.
Der Rat, ein unsicherer Kantonist
Angesichts dessen hätten wohl auch seine eigenen Parteigänger im Europäischen Parlament nicht mehr länger stillgehalten, wenn José Manuel Barroso nicht zu diesem überfälligen Sprung nach vorne angesetzt hätte. Denn die Volksvertreter trauen den Staats- und Regierungschefs nicht mehr zu, im Sinne der Gemeinschaft, der Union, verantwortlich zu handeln und kurzfristige nationale Interessen hintenanzustellen. Das fand jüngst seinen Ausdruck bei den Verhandlungen um die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, als vor allem die konservative und die liberale Fraktion im EP darauf bestanden, dass der Rat möglichst wenig Einfluss auf die Verhängung von Sanktionen gegen jene Euro-Staaten erhalten sollte, die die vom Stabilitätspakt vorgeschriebenen Haushaltsdefizit- und Schuldengrenzen nicht einhalten würden.
Dass nun unter dem Eindruck des herrschenden Schlamassels und dem Druck der Krise bei der Reform möglicherweise zu einseitig gehandelt und übers Ziel hinaus geschossen wurde, wie insbesondere die Fraktionen der Sozialisten und Grünen befürchten, könnte sich später als Kollateralschaden eines Mangels an Vertrauen gegenüber den Euro-Staaten entpuppen. Nämlich dann, wenn festgestellt wird, dass die zu rigide Ausrichtung des Stabilitätspaktes eine Einschränkung der politischen Handlungsmöglichkeiten der Staaten der Währungsunion mit sich bringt.
Wie wenig mittlerweile jedoch Verlass auf die EU-Mitgliedstaaten bei der Verteidigung der gemeinsamen europäischen Interessen ist, hat nicht zuletzt die Debatte um den Ausbau des Euro-Rettungsschirms EFSF gezeigt. Selbst in einem der EU-Kernländer, Deutschland, konnte offensichtlich erst nach eindringlichen Verweisen auf die Bedeutung des europäischen Integrationswerks und dessen Nutzen für das Land ein Schulterschluss für die Ausweitung des Rettungsfonds erreicht werden. Und in Ländern wie Finnland oder den Niederlanden machen sich die regierenden Parteien von extremistischen Gruppierungen abhängig. Unter solchen Umständen lässt sich keine Politik für einen Kontinent betreiben. Der Rat mutiert damit zu einem unsicheren Kantonisten, wobei in der Krise doch gerade das Gegenteil vonnöten wäre.
De Maart
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