Samstag15. November 2025

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Europa reformieren statt abbauen

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Vor dem Hintergrund der anstehenden Europawahlen lud die Wochenzeitung „Le Jeudi“ zu einem Rundtischgespräch mit den Spitzenkandidaten Mady Delvaux, Charles Goerens, Viviane Reding und Claude Turmes.

Angesichts einer Zeit, in der Euroskeptiker und Extremisten an Zulauf gewinnen und das europäische Modell infrage gestellt wird, überrascht es nicht, dass es gestern zwischen vier europhilen Politikern selten zu einem wirklichen Streitgespräch kam. Große Einigkeit herrschte über eine nötige Demokratisierung der EU und den Kampf gegen die Euroskeptiker.

Alle Diskussionsteilnehmer sahen die vom Vertrag von Lissabon vorgesehene Reform, laut der der Europäische Rat vor der Ernennung eines Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten den Wahlausgang der Europawahlen respektieren soll, als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Dies sei als Stärkung der Demokratisierung der Europäischen Union anzusehen. Allerdings wies die Spitzenkandidatin der LSAP, Mady Delvaux, darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon den Rat nicht dazu zwingt, den Wahlausgang zu respektieren.

„Die EU ist kein Sündenbock“

Daher spiele der Rat „eine essenzielle Rolle, da es in seiner Hand liegt, freiwillig die Stimme der Wähler zu respektieren“. Sollte dies nicht geschehen, würde es den Euroskeptikern in die Karten spielen, deshalb sei „äußerste Vorsicht geboten“.

Aufgrund dieses Mankos stimmten die vier Spitzenkandidaten überein, dass diese Reform nicht genüge. So forderte die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Viviane Reding, eine Änderung des Vertrags von Lissabon, welche es den Bürgern erlauben würde, den Präsidenten der Europäischen Kommission direkt zu wählen, um die Demokratisierung der Europäischen Union voranzutreiben.

Zugleich legten Claude Turmes, Europaabgeordneter und Spitzenkandidat der Grünen, und Viviane Reding Wert darauf, zu betonen, dass sich die Europawahlen nicht auf die Wahl des Kommissionspräsidenten beschränken. Dies sei nicht das „prinzipielle Thema“, vielmehr dominiere „die Bildung von Koalitionen innerhalb des Parlaments“.

Weil das Parlament als legislatives Organ der Europäischen Union einen erheblichen Einfluss auf die zukünftige Politik hat, sollte man Turmes zufolge bei der Stimmabgabe stattdessen auf die gewünschte Mehrheit im Parlament achten. Laut ihm treibt nämlich nur „eine Mitte-links getragene Mehrheit soziale und ökologische Reformen voran“, was von Reding naturgemäß abgestritten wurde. Auch den Aufwind der Euroskeptiker betreffend war man sich unter den Diskussionsteilnehmern einig. Auf diese Gefahr für die Europäische Union und die damit verbundene Wertegemeinschaft muss man laut dem Europaabgeordneten und Spitzenkandidaten der DP, Charles Goerens, mit einer „Vertiefung der europäischen Politik“ und einem „Besinnen auf die gemeinsamen Werte“ antworten.

Die Spitzenkandidatin der CSV, Viviane Reding, erhofft sich in diesem Kontext „ein Zusammenrücken der Parteien, die sich für den Erhalt der Europäischen Union einsetzen“. Mady Delvaux fügte noch hinzu, dass der Reflex mancher Politiker, „die EU als Sündenbock für die eigene nationale verfehlte Politik zu benutzen“, ein wesentlicher Bestandteil des wachsenden Euroskeptizismus sei. Ein Verhalten, das laut ihr in Zukunft nicht mehr tolerabel sei. Sowohl Reding als auch Turmes sprachen sich in diesem Zusammenhang für eine Aufklärungskampagne aus.

Viele Bürger wüssten nicht, wie das Europäische Parlament arbeitet und was seine Aufgaben sind, was den Aufschwung populistischer, antieuropäischer Thesen vereinfache.

Reding betonte, dass die Institutionen der Europäischen Union entgegen manchen Vorurteilen nicht komplexer seien als die der Bundesrepublik Deutschland: „ Die Europäische Kommission ist die Regierung und das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union entsprechen dem Bundestag und dem Bundesrat.“

Einzig Claude Turmes sorgte in diesem Themenblock für eine Kontroverse, in dem er die These aufstellte, dass die konservative EVP, die Fraktion der Europäischen Volkspartei, sich unter dem Einfluss der europafeindlichen Stimmung von der EU distanziere, um am rechten Rand Stimmen zu fischen.

Fünfjähriger „Erweiterungsstopp“

Zu einer größeren Meinungsverschiedenheit zwischen den Politikern kam es beim Thema der EU-Erweiterung. Während Mady Delvaux sich „ein Europa der zwei Geschwindigkeiten“ vorstellen kann und Charles Goerens sowie Viviane Reding für einen fünf Jahre andauernden „Erweiterungsstopp“ einstehen, fordert Claude Turmes die Aufnahme von Balkanstaaten.

Laut dem Grünen-Politiker habe „Europa die Pflicht, die Region rund um die EU zu stabilisieren“. Staaten mit einer „fragilen Zivilgesellschaft“ und einer „jungen Demokratie“ seien auf die EU angewiesen. Besonders Goerens und Reding zeigten sich hiermit nicht einverstanden.

Die EU müsse sich erst mal von der Erweiterung aus dem Jahre 2004 erholen. Laut Goerens muss die Europäische Union für andere Staaten „offen bleiben, ohne ein Geschenk zu sein“. Letztlich bleibt eine Diskussionsrunde in Erinnerung, bei der sich die Teilnehmer allesamt für ein starkes Europa einsetzen, ohne dabei die Forderung nach nötigen Reformen – welche sich kaum voneinander unterscheiden – zu vernachlässigen.