Donnerstag13. November 2025

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Der Riese mit dem weichen Herzen

Der Riese mit dem weichen Herzen
(Bela Szandelszky)

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In der Flüchtlingsfrage ist Ungarns Regierung für ihre harte Haltung bekannt. Baba Mujhse setzt tatkräftig Nächstenliebe dagegen.


Baba Mujhse ist 1,98 m groß, gebaut wie ein Football-Spieler und am ganzen Körper tätowiert. Manche würden bei seinem Anblick spontan das Weite suchen, doch für Hunderte verzweifelte Flüchtlinge ist der Ungar erste Anlaufstation auf der Suche nach Hilfe.

Mit einem Team von Freiwilligen empfängt der arabischsprachige 31-Jährige Migranten am Keleti-Bahnhof in Budapest – für viele Zwischenstation auf dem Weg nach Österreich, Deutschland und andere wohlhabende EU-Staaten.
„Beim ersten Mal hier sagte einer meiner Freunde, wir sollten kommen, weil eine Menge Araber kommt und wir versuchen sollten zu helfen“, sagt der Textildesigner. „Also kamen wir und ich blieb hängen. Es war eigentlich als einmalige Aktion gedacht, und jetzt sind es schon zwei oder drei Monate.“

Größe wirkt

Der Textildesigner ist Paradebeispiel für die Verständigung zwischen Ethnien und Religionen – seine Mutter ist ungarische Jüdin, sein Vater muslimischer Ägypter. Sie trafen sich an der Universität und halten seither an ihrem jeweiligen Glauben fest. Vor Jahren schon zogen sie nach Kairo, doch ihr Sohn blieb in der ungarischen Hauptstadt.

Sein multikultureller Hintergrund kommt ihm nun bei der Unterstützung anderer zugute. Auch seine Körpergröße ist meist von Vorteil, etwa bei der Abschreckung rechtsextremer Gruppen, die die Flüchtlinge einschüchtern wollen. „Es schafft ein Gefühl der Sicherheit“, erzählt Mujhse, nachdem er Schachteln voller Müsliriegel an Kinder verteilt und eine Plastikbadewanne für ein Baby gefüllt hat.

Klare Botschaft

Doch auch den Flüchtlingen flößt seine Erscheinung manchmal Angst ein. Die Helfer lernten schnell, mit Spannungen unter den Religionen und Ethnien umzugehen. „Syrer und Afghanen zum Beispiel sitzen komplett getrennt“, sagt er. „Die Syrer halten den Glauben der Afghanen für weniger stark als ihren eigenen.“

Ungarn will noch im August an seiner 175 Kilometer langen Grenze (Link) mit Serbien einen vier Meter hohen Zaun fertig stellen. Er sei nötig, um Ungarn und den Rest der Europäischen Union vor dem Flüchtlingsstrom zu schützen, betont Regierungschef Viktor Orban. Zudem ließ die Regierung im ganzen Land Botschaften plakatieren wie „Wenn Sie nach Ungarn kommen, müssen Sie unsere Gesetze befolgen“. Bald soll eine ähnliche Kampagne in Ländern wie Griechenland und Serbien starten, die die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Ungarn durchqueren.

Die Transitzone

Mujhse und sein Team empfangen die Asylsuchenden dagegen mit Essen, Kleidung, Spielzeug und medizinischer Versorgung. „Sie glauben, sie können ihren Kindern ein besseres Leben bieten und ich glaube, ich kann ihnen helfen“, erklärt er. „Wir ergänzen einander. Sie geben mir Geduld, Glaube und eine Menge Liebe, während ich ihnen Hoffnung geben kann.“

Am Bahnhof Keleti treffen alle paar Stunden Züge aus Südungarn und Serbien ein. Das Helfer-Team wartet auf die Informationen auf den Anzeigetafeln, um dann zu den letzten beiden Wagen zu spurten, die für die Flüchtlinge reserviert sind: Sie wollen sie erreichen, bevor sie auseinander laufen. Am Zug angekommen hilft Mujhse atemlos Kindern aus den Türen, führt die Flüchtlinge in die Transitzone und fragt nach besonderen Bedürfnissen.

Abgesperrte Bereiche

Mehr als 120.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr bereits nach Ungarn geströmt, fast drei mal so viel wie im ganzen Jahr 2014. Allein im vergangenen Monat trafen rund 1500 pro Tag ein, meist aus Syrien, Afghanistan und anderen Kriegsgebieten.
Nach der Erfassung und Asylantrag werden sie mit dem Zug durch Budapest in eines der Aufnahmezentren geschickt.

Inzwischen hat die Stadt an den drei größten Bahnhöfen Transitzonen eingerichtet – zuvor hatten monatelang Hunderte Flüchtlinge in den Bahnhöfen oder in nahe gelegenen Parks übernachtet. In abgesperrten Bereichen gibt es nun Bäder, Duschen, Mülleimer und vor allem Wasserhähne.

Am Bahnhof Keleti wurde die Zone in der Unterführung eingerichtet. Dort hielten sich neulich rund 300 Flüchtlinge auf, viele Familien mit kleinen Kindern, die in der Hitze auf Decken oder Schlafsäcken saßen oder Ball spielten. Die Dankbarkeit der Leute sei die ganze harte Arbeit wert, sagt Mujhse: „Wir haben viel Feedback erhalten von denen, die nun in den Lagern oder schon im Ausland sind, ihre Familien wieder vereint“, sagt er. „Wenn ich an den Bahnhof komme, grüßen und umarmen sie mich. Das macht alles wett – die Zeit, die Energie, alles.“

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