31. Dezember 2025 - 8.55 Uhr
Akt.: 31. Dezember 2025 - 9.34 Uhr
Analyse von außenDrei Schocks, die 2025 die Welt erschütterten
Der erste war Russlands bevorstehender Sieg in der Ukraine über die vereinten europäischen Regierungen. Fast vier Jahre lang betrieben die Europäische Union und die NATO ein gefährliches Doppelspiel. Einerseits verpflichteten sie sich rhetorisch zu einem Sieg der Ukraine, den sie nicht finanzieren wollten. Andererseits nutzten sie diesen endlosen Krieg, um einen neuen politischen und wirtschaftlichen Konsens innerhalb der EU voranzutreiben: Der militärische Keynesianismus sollte ihr letzter verzweifelter Versuch sein, die Deindustrialisierung Europas aufzuhalten.
Auf einem Kontinent, auf dem lähmende politische Beschränkungen größere defizitfinanzierte grüne Investitionen oder sozialpolitische Maßnahmen verboten, lieferte der Krieg in der Ukraine eine überzeugende Begründung dafür, öffentliche Schulden in den Rüstungsindustriekomplex zu lenken. Die unausgesprochene Wahrheit war, dass ein endloser Krieg eine wichtige Funktion erfüllte: Er war der perfekte Motor für die keynesianische Ankurbelung der stagnierenden Wirtschaft Europas.
Der Widerspruch war fatal: Wenn der Krieg in der Ukraine mit einem Friedensabkommen endete, wäre es schwierig, diese wirtschaftliche Ankurbelung aufrechtzuerhalten. Doch ein Sieg, der die Ausgaben rechtfertigen würde, wurde als finanziell zu kostspielig und geostrategisch zu riskant angesehen. So entschied sich Europa für die schlechteste aller Strategien: Es schickte gerade genug Ausrüstung in die Ukraine, um das Blutvergießen zu verlängern, ohne seinen Kurs zu ändern.
EU-Pläne in Trümmern
Nun, da Russland sich durchsetzen wird (ein vorhersehbares Ergebnis, das US-Präsident Donald Trump lediglich beschleunigt hat), liegen die Pläne der EU in Trümmern. Europa hat keinen Plan B für den Frieden, weil seine gesamte strategische Ausrichtung von der Fortsetzung des Krieges abhängig geworden war. Welchen schmutzigen Friedensvertrag der Kreml und Trumps Männer der Ukraine letztlich aufzwingen werden, er wird mehr bewirken als nur eine Neufestlegung der Grenzen. Unabhängig davon, ob Russland eine Bedrohung für Europa bleibt oder nicht, steht Europa davor, den Vorwand für seinen aufkeimenden militärisch-industriellen Boom zu verlieren, was eine neue Sparpolitik ankündigt.
Der zweite Schock war, dass China den Handelskrieg gegen die USA gewonnen hat. Die von Trumps erster Regierung initiierte und von der Regierung von Joe Biden intensivierte Strategie der USA war ein Zangenmanöver: Zollbarrieren, um Chinas Zugang zu den Märkten zu erschweren, und Embargos für fortschrittliche Halbleiter und Fertigungswerkzeuge, um seinen technologischen Aufstieg zu bremsen. Diese Strategie scheiterte 2025, und erneut war Europa der Hauptleidtragende.
Subunternehmer der USA
China reagierte mit einer meisterhaften zweigeteilten Antwort. Erstens nutzte es seine Dominanz bei seltenen Erden und kritischen Mineralien als Waffe und löste damit eine Unterbrechung der Lieferketten aus, die weniger die amerikanische als vielmehr die europäische und ostasiatische grüne Fertigung lahmlegte. Zweitens, und für die Stellung der USA als globaler technologischer Vorreiter am schädlichsten, richtete China sein „System gesamtstaatlicher Mobilisierung“ auf ein einziges Ziel aus: technologische Autarkie. Das Ergebnis war eine atemberaubende Beschleunigung der heimischen Chip-Produktion, wobei SMIC und Huawei Durchbrüche erzielten, die das von den USA angeführte westliche Embargo nicht nur obsolet, sondern sogar kontraproduktiv machten.
Dies ist wahrscheinlich der Schock mit den nachhaltigsten Auswirkungen. Im Jahr 2025 erwiesen sich die USA als unfähig, Chinas Aufstieg zu bremsen, und trieben stattdessen ungewollt dessen Technologiesektor in Richtung vollständiger Unabhängigkeit. Für Europa, das China pflichtschuldigst mit den vom Weißen Haus diktierten Sanktionen belegt hatte, hatte das denkbar schlimmste Folgen: Es wurde zunehmend vom lukrativen chinesischen Markt für seine hochwertigen Güter ausgeschlossen, erhielt aber keine der großzügigen Subventionen und On-Shoring-Vorteile des inzwischen aufgehobenen US-Inflation Reduction Act. Mit ihrer Entscheidung, als strategischer Subunternehmer der USA zu agieren, beschleunigte die EU ihre eigene Deindustrialisierung. Dies war keine Niederlage in einem Handelskrieg, sondern das geopolitische Schachmatt, und Europa spielte dabei nur die Rolle eines Bauern der Verliererseite.
Maximale Demütigung
Der dritte Schock war die Leichtigkeit, mit der Trump seinen Zollkrieg mit der EU gewann. Am Ende ihres Treffens in einem von Trumps Golfclubs in Schottland – das von Trumps Mitarbeitern als maximale Demütigung inszeniert worden war – mühte sich die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, eine Kapitulationsurkunde als „wegweisendes Abkommen“ darzustellen. Die Zölle auf europäische Exporte in die USA stiegen von rund 1,2% auf 15% und in einigen Fällen sogar auf 25% und 50%. Die seit langem bestehenden EU-Zölle auf US-Exporte wurden aufgehoben. Nicht zuletzt verpflichtete sich die Kommission zu europäischen Investitionen in Höhe von 600 Milliarden Dollar in die US-Industrie auf US-amerikanischem Boden – Geld, das nur durch Umleitung vor allem deutscher Investitionen in Chemiefabriken in Texas und Automobilwerke in Ohio aufgebracht werden kann.
Das war mehr als ein schlechter Deal. Es war ein beispielloser Vertrag zur Kapitalabschöpfung. Er formalisiert den Übergang der EU von einem industriellen Konkurrenten zu einem Bittsteller und zielt darauf, Europa zur Kapitalquelle, zu einem regulierten Markt für US-Waren und zu einem technologisch abhängigen Juniorpartner zu machen. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, wurde diese neue Realität in einer verbindlichen Vereinbarung festgeschrieben, der nun alle 27 EU-Mitgliedstaaten zugestimmt haben, was den Block jeglicher Souveränität beraubt hat. Ein Teil des Kapitals, das Trump zur Konsolidierung seiner Vision einer um die Achse Washington-Peking herum strukturierten G2-Welt benötigt, muss nun vertragsgemäß aus Europa gen Westen fließen.
Synergetische Trilogie
Diese drei Schocks bilden eine synergetische Trilogie. Die Niederlage Europas in der Ukraine hat seine strategischen Schwachstellen offenbart und sein militärisches keynesianisches Projekt zunichte gemacht. Trumps Nachgeben gegenüber dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping hat eine Flut chinesischer Exporte in die EU ausgelöst. Die Erpressung in Schottland hat Europa sein angesammeltes Kapital und jede noch verbliebene Hoffnung auf eine Gleichstellung gekostet.
In der G2-Welt ist das imaginäre globale Dorf eine Gladiatorenarena, in der die EU und das Vereinigte Königreich nun ziellos umherirren. Auf dem Grab der europäischen Ambitionen wurde eine neue, härtere, kältere Weltordnung errichtet. Die bleibende Lehre dieses Jahres ist, dass in Zeiten existenzieller Auseinandersetzungen strategische Abhängigkeit der Auftakt zur Bedeutungslosigkeit ist.
(Aus dem Englischen von Jan Doolan)
* Yanis Varoufakis war Finanzminister Griechenlands. Er ist Vorsitzender der Partei MeRA25 und Professor für Volkswirtschaft an der Universität Athen.
Copyright: Project Syndicate, 2025. www.project-syndicate.org
De Maart
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können