30. Dezember 2025 - 16.53 Uhr
Akt.: 30. Dezember 2025 - 16.54 Uhr
FotoausstellungDas Vermächtnis des Welterblickers
Zum ersten Mal bin ich Sebastião Salgado und seinem Werk im Jahr 1997 in São Paulo begegnet. Der Fotograf hatte gerade seine Ausstellung „Terra“ über die Landlosen in Brasilien eröffnet. Ich nahm am selben Jahr an einer großen Demonstration der Landlosenbewegung in Porto Alegre teil und war erstmals in die Millionenmetropole gekommen. In den symbolträchtigen Fotos Salgados war vielen der Menschen, die ihre Arbeit auf dem Land verloren hatten und gezwungen waren, in die Städte abzuwandern, wo sie zumeist in Favelas lebten, ihr Schicksal regelrecht ins Gesicht geschrieben. Mir blieb neben den Schwarz-Weiß-Fotos vor allem die sanfte Stimme, mit der Salgado voller Empathie für die Menschen über seine Arbeit und Begegnungen sprach, dauerhaft in Erinnerung.
Dieser Eindruck sollte spätestens in Wim Wenders’ Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ (2014) über den großen Fotografen wiederkehren. Dazwischen war es die formidable Ausstellung „Exodus“, die ich 2001 zuerst in Buenos Aires und dann in Brasilia wiedersah, das Resultat eines sechs Jahre andauernden Projekts, das die Flucht und die Vertreibung von Millionen Menschen weltweit dokumentiert: im ehemaligen Jugoslawien ebenso wie in Ruanda, vor Hunger und Krieg unter anderem in der Sahelzone und wieder die Landflucht der Bauern in die lateinamerikanischen Megastädte wie Mexiko-City und São Paulo. Für das Projekt hatte er etwa 40 Länder weltweit besucht. Die Brutalität des Krieges in Ruanda setzte ihm so schwer zu, dass er fortan „für das Böse“ nie mehr eine Kamera in die Hand nehmen wollte. Die Grausamkeit war ihm sehr nahegegangen. Er hatte genug Leiden, genug Elend gesehen. Er wollte nicht als Zyniker weiterfotografieren.
Salgado hatte in São Paulo in den 60ern Wirtschaftswissenschaften studiert und war dann nach London und nach Paris gezogen. Seine ersten Fotos hatte er auf Reisen als Angestellter der Internationalen Kaffeeorganisation (ICO) nach Afrika mit der Leica seiner Frau Lélia Wanick gemacht. Das Fotografieren begeisterte ihn so sehr, dass er sich als Fotograf selbstständig machte und in Paris niederließ. Monatelang reiste er durch afrikanische Länder und durch Lateinamerika. 1979 wurde der Brasilianer, nachdem er bereits für andere Agenturen gearbeitet hatte, von der Agentur Magnum aufgenommen.
Humanistische Botschaft
Den wunderbaren Bildband „Genesis“, das Ergebnis von Salgados Arbeiten von 2004 bis 2013 über noch unberührte Landschaften, bekam ich 2014 von Freunden geschenkt. Salgado war dafür sehr nah an die von ihm fotografierten Objekte herangegangen. Wie so oft. „Sie sahen ihr Bild wie in einem Spiegel“, sagte er über die Berggorillas in Ostafrika, die in die Linse seiner Kamera schauten, „sie waren unglaublich neugierig, als ob sie sich Fragen stellen würden.“ Das Projekt ist ganz der Natur und der Schönheit des Planeten gewidmet. Und seine Botschaft ist dabei eine zutiefst humanistische.
Nebelverhangene Berge, ein Labyrinth aus Flüssen, spektakuläre Wolkenformationen. Neben den großformatigen Landschaftsmotiven sind in der Ausstellung die Menschen zu sehen, deren Zuhause der Regenwald ist. Für „Amazônia“ bereiste er sechs Jahre lang das brasilianische Amazonasgebiet. Seine Fotos, wie immer in Schwarz-Weiß, zeigen sowohl die Schönheit des Regenwaldes, der Flüsse und Berge als auch die Menschen, die dort möglichst im Einklang mit der Natur leben.
Schönheit und Zerstörung
Salgado wurde hin und wieder ein Hang zum Dramatisieren unterstellt. In der Tat sind die Bilder so intensiv, dass sie den Betrachter überwältigen. Manchmal wurde Salgado eine „Überästhetisierung“ vorgeworfen, er würde seine Bilder „inszenieren“. Und an einigen der bisherigen Stationen wurden die Bilder der oftmals nackt gezeigten Indigenen als Aktfotografie bezeichnet.
Was nicht zutrifft: Salgado begegnet den Menschen immer respektvoll. Und was wäre die Alternative zur Ästhetik des Gezeigten? Dies wäre in der Tat eine Zurschaustellung. „Wir dürfen nicht einfach nur Bilder sein in so einer Ausstellung, sondern wir müssen den Leuten zu verstehen geben, dass wir wirklich existieren“, so Francisco Piyako von den Asháninka, dessen Familie von Salgado fotografiert wurde. Die Indigenen werden in ihrem Alltag gezeigt: in ihren Familien, bei der Jagd und beim Fischfang, wie sie ihre Mahlzeiten zubereiten und teilen sowie bei ihren Ritualen. Im Rahmen der Ausstellung sind Interviews mit Vertretern der Indigenen zu sehen. Sie berichten von verschmutzten Flüssen, in denen die Fische sterben und deren Wasser nicht mehr getrunken werden kann. Die Natur in ihrer ganzen Schönheit droht der Zerstörung anheim zu fallen.
„Die Zukunft ist indigen“
In seinem Werk zeigt Salgado, der als erster Fotograf 2019 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, sowohl die Schönheit als auch die Grausamkeit der Welt. Er sei ein „Welterblicker“, schreibt die Zeitschrift Monopol in einem Nachruf über den im Mai im Alter von 81 Jahren in Paris an den Folgen einer Leukämie Verstorbenen, der sein Herzensprojekt den indigenen Völkern Amazoniens gewidmet hat. Zusammen mit seiner Frau hatte er sich gegen die Entwaldung engagiert und auf seiner Farm in Brasilien zweieinhalb Millionen Regenwaldbäume pflanzen lassen, das Gelände als Nationalpark dem brasilianischen Staat überlassen und das Instituto Terra gegründet.
Die Ausstellung wurde von seiner Witwe Lélia Wanick Salgado kuratiert. Der Fotograf selbst hatte gesagt: „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass dieses Buch in 50 Jahren nicht als Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt gelten wird. Amazônia muss fortbestehen.“ Die Wanderausstellung mit ihren rund 200 großformatigen Schwarzweißfotografien, die nach mehreren Stationen unter anderem in Rio de Janeiro, Paris und Brüssel nun im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen ist, kann als Vermächtnis Salgados bezeichnet werden. Sie wird begleitet von einem Programm aus Musik, Diskussionen und Workshops mit dem Motto „Die Zukunft ist indigen“.
Die Ausstellung „Amazônia“ ist noch bis 15. März 2026 im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln zu sehen.
De Maart









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