Dienstag30. Dezember 2025

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Kino 2025Deine Wahrheit? Meine Wahrheit!

Kino 2025 / Deine Wahrheit? Meine Wahrheit!
Sie sprechen die gleiche Sprache, aber sie verstehen sich nicht mehr: Joaquin Phoenix (l.) und Pedro Pascal in Ari Asters „Eddington“ Foto: A24 Film

Die Welt ist im Arsch, der Dialog ist tot, das Ego triumphiert über die Empathie. 2025 ist die gesellschaftliche Spaltung endgültig im Kino angekommen – in drei furiosen Albträumen. Ein Rückblick.

Manchmal, um ehrlich zu sein: relativ oft, hatte man in diesem Jahr das Gefühl, dass die Menschen auf verschiedenen Planeten leben. Menschen, die nüchtern betrachtet eine Realität teilen müssten. Die in demselben Land leben, in derselben Stadt, die dieselben Orte besuchen, in denselben Läden essen, dieselben Autos fahren. Gesellschaftliche Spaltung. Das war in diesem scheidenden Jahr die One-size-fits-all-Diagnose der sozialen Ordnung westlicher Demokratien.

In den USA konnte man in diesem Jahr beobachten, wie sich der Extremfall Monat für Monat verschlimmert hat. Der soziale Dialog ist tot. Die Gesprächsgrundlage ist verloren gegangen, die gemeinsame Ebene, der gemeinsame Nenner. Fakten und Wahrheiten zählen nicht mehr, die Leute haben ihre eigenen Realitäten, sie leben in ihren eigenen Welten, isolierte Filterblasen, aufrechterhalten und verstärkt vom Dauerfeuer der Algorithmen.

Grandiose filmische Albträume

2025 war auch das Jahr, in dem dieser nervöse Weltenzustand endgültig im Kino angekommen ist. Das Kino, nicht umsonst seit jeher als „Traumfabrik“ bespitznamt, verarbeitet unsere erlebte Realität – so wie die Träume in unserem Schlaf. Und 2025 hat diese Realität ein paar grandiose filmische Albträume produziert.

Oben und unten: Paketepacker Jesse Plemons unter dem Bild von CEO Emma Stone
Oben und unten: Paketepacker Jesse Plemons unter dem Bild von CEO Emma Stone Foto: Focus Features

Da ist zum einen „Bugonia“ vom griechischen Regisseur Giorgos Lanthimos, der die gesellschaftliche Spaltung von einem Endpunkt aus erzählt. Ein junger Mann (Jesse Plemons) hat sich radikalisiert, er hat sich schon verloren. Er glaubt buchstäblich daran, dass seine Mitmenschen auf einem anderen Planeten leben, genauer: dass die CEO (Emma Stone) seiner Firma, in der er am unteren Ende der Karriereleiter malocht, eigentlich ein Alien ist, das die Menschheit infiltrieren will. Vor allem in seiner ersten Hälfte ist „Bugonia“ ein irres Porträt unserer irren Zeit. Einsame Männer, Incel-Fantasien, ein Kaninchenbau aus Verschwörungstheorien – und das alles vor dem sehr realen Hintergrund der Opioidkrise. Eine zweite Hillbilly-Elegie. Zermürbender Realismus, konterkariert von einer kranken Weltsicht. Ein Film, der davon erzählt, wie weit Menschen gehen, wenn sie in die Enge getrieben werden.

„Bugonia“ strotzt vor Klassenbewusstsein, das steckte auch schon in der koreanischen Vorlage, dem Film „Save the Green Planet!“ von 2003. Seitdem sind die Gräben noch tiefer, die Ungerechtigkeiten noch größer geworden. Regisseur Lanthimos dreht, wie von seinen Werken zu erwarten, in der zweiten Hälfte Gewalt und Absurdität auf, die Zeitdiagnose bleibt jedoch erschreckend realistisch.

Ein deutlich konventionellerer, aber nicht weniger nervenaufreibender Film ist „After the Hunt“ von Luca Guadagnino. Die zentrale Figur, eine College-Professorin in Yale, wird hier verkörpert von Julia Roberts. Als eine ihrer Studentinnen (Ayo Edebiri) ihrem Kollegen (Andrew Garfield) vorwirft, sie vergewaltigt zu haben, sieht sich der Roberts-Charakter mit der Frage konfrontiert: Wessen Wahrheit glaube ich? Dem vermeintlichen Opfer oder dem vermeintlichen Täter?

Opfer des Moralismus: Dozenten Julia Roberts (l.) und Andrew Garfield
Opfer des Moralismus: Dozenten Julia Roberts (l.) und Andrew Garfield Foto: Amazon Content Services LLC

Das, was sich aus diesem Grundkonflikt entspinnt, als „MeToo“- oder „Cancel Culture“-Film abzukanzeln, wird der Komplexität nicht gerechtet, mit der sich Guadagnino diesem Stoff nähert. Es geht in „After the Hunt“ nicht mehr darum, ob die Tat stattgefunden hat oder nicht, was Wahrheit ist oder nicht. Vielmehr ist der Film das Porträt einer moralisierten Gesellschaft, die diese Kategorien längst hinter sich gelassen hat. Es wird viel gesprochen in diesem Film, am Anfang noch verständnisvoll, später immer unversöhnlicher. Für Verständigung ist kein Platz mehr in einer Welt, in der das Ego die Empathie verdrängt.

Unvollkommene Menschen in moralistischen Zeiten

Der Italiener Guadagnino inszeniert einen intelligenten Thriller, der keinen seiner Protagonisten verschont und sich nicht scheut, in die komplexen Verflechtungen von Feminismus und Rassismus einzutauchen – und zu zeigen, wie diese „-ismen“ pervertiert werden können. Am Ende ist „After the Hunt“ ein Film über die Unvollkommenheit des Menschseins in der makellosen Heuchelei unserer moralistischen Zeit. Was ihn so unbequem macht, ist, dass er die Auswirkungen dieser Weltenverschiebung gerade in einem linken, akademischen Milieu zeigt. Die Spaltung, das sind zwei Schollen, die voneinander wegdriften.

Keiner hat den nervös-paranoiden Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft in diesem Jahr besser auf die Spitze getrieben als Ari Aster in seinem furiosen „Eddington“, dem vielleicht besten Film des Jahres. Der politische Wettstreit zwischen dem konservativen Sheriff (Joaquin Phoenix) und dem amtierenden liberalen Bürgermeister (Pedro Pascal) in einer Kleinstadt in New Mexico eskaliert in einer Spirale der Gewalt – befeuert von den Restriktionen der Corona-Pandemie und den „Black Lives Matter“-Protesten nach dem Tod von George Floyd.

Aster inszeniert diesen Konflikt als modernen Western, das ur-amerikanischste aller Genres. Die Welt ist aus den Fugen geraten, kann Gewalt noch einmal Zivilisation herstellen? „Eddington“ hat Züge eines Endzeit-Horrors, irgendwo plärrt immer ein Smartphone-Lautsprecher, eine Gesellschaft radikalisiert sich auf Social Media. Die Menschen sind auf Abstand gerückt, aber die Bildschirme sind ganz nah.

Am Ende schenkt Aster seinen Zuschauern einen radikalen Shoot-Out, der in klassischer Western-Tradition die Ordnung in „Eddington“ wiederherstellt. Nur ist es keine neue, sondern die altbekannte, kaputte, desaströse Ordnung. Am Ende gewinnen die, die immer gewonnen haben. Die Welt ist im Arsch. Und auf dem letzten Bildschirm flimmert das Ende von „Young Mr. Lincoln“ von John Ford, dem größten Mythenschreiber des US-Kinos. Es ist ein Plädoyer für die Macht des Rechts und ein Triumph der unerschütterlichen Wahrheit über die Lüge. Was für eine Farce.