25. Dezember 2025 - 10.53 Uhr
Analyse von außenDer KI-Krieg gegen Weihnachten
Als ich mich neulich in ein Café setzte, um dort zu arbeiten, erlebte ich den wahren Krieg gegen Weihnachten. Ich hoffte auf das vertraute Summen von Gesprächen und Musik, stellte dann aber beim Eintreten überrascht fest, dass niemand sprach. Dennoch setzte ich mich mit meinem Notebook hin und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Aber etwas störte meine Konzentration empfindlich. Die Musik klang unheimlich. Ich hob den Kopf und lauschte zunehmend verstört.
Was zunächst wie eine Playlist mit Winterklassikern und Weihnachtsliedern schien, bot etwas ganz anderes. Die Melodien waren mehr oder weniger dieselben – erkennbar als „Stille Nacht“, „The First Noël“ und „Winter Wonderland“. Die Stimme jedoch war ein farblos ernster, langweiliger Bariton, der sich, wie ich fand, von nirgendwo nach nirgendwo mühte.
Keine menschlichen Bezüge
Schlimmer noch: Die Texte stimmten nicht. Und zwar enthielten sie nicht hier und da einen Fehler, sondern ein Muster von Fehlern. Verweise auf die Geburt Christi waren gestrichen und durch metaphysisches Geschwurbel ersetzt worden. Und auch die menschlichen Bezüge waren verschwunden. In dem Liebeslied „Winter Wonderland“ sollten wir diese beiden schönen Zeilen über ein Paar hören, das spazieren geht:
„In the meadow we can build a snowman / Then pretend that he is Parson Brown (Auf der Wiese können wir einen Schneemann bauen / Und dann so tun, als wäre er Pfarrer Brown).“
Doch in dem Lied, das ich im Café hörte, war der Text verstümmelt worden:
„In the meadow we can find a snowman / Then pretend that he is a nice old guy (Auf der Wiese können wir einen Schneemann finden / Und dann so tun, als wäre er ein netter alter Mann).“
Es folgte leeres Geschwafel über das Tanzen bis in die Nacht hinein, wobei „guy“ (Mann/Typ) lahm mit „high“ (hoch) gereimt wurde. Hier noch einmal das eigentliche Lied: „In the meadow we can build a snowman / Then pretend that he is Parson Brown / He’ll say, ‚Are you married?‘ We’ll say, ‚No man, / But you can do the job when you’re in town.’“ (Auf der Wiese können wir einen Schneemann bauen / Und dann so tun, als wäre er Pfarrer Brown / Er wird fragen: ’Seid ihr verheiratet?’ Wir werden antworten: ’Nein, Mann, / Aber Sie können das übernehmen, wenn Sie in der Stadt sind.’“)
Diese vier Zeilen sind sehr bedeutsam. Das junge Paar erzählt sich gegenseitig eine Geschichte über eine gemeinsame Erfahrung. In dieser Geschichte ist Pfarrer Brown eine konkrete Person, deren körperliche Eigenschaften sich aus dem Verweis auf den Schneemann ableiten lassen. Die Haltung des jungen Paares ihm gegenüber ist ebenso verspielt wie respektvoll.
Winter Wonderland
Diese Liebenden, die noch unverheiratet sind, aber heiraten wollen, bewegen sich am Rande des gesellschaftlich Erlaubten und leben ihre Liebe in der Öffentlichkeit aus, bevor sie sich den Konventionen der Zeit anpassen. Die Vielschichtigkeit dieser Zeilen legt sich sanft auf den Zuhörer wie Schnee im Sonnenlicht.
Mein Geist erwartete all dies; die Leere des „netten alten Mannes“ strapazierte die Neuronen – oder die Seele.
Ich hatte „Winter Wonderland“ erstmals etwa 40 Jahre nach dem Tod seines Verfassers Richard Bernhard Smith (1935) gehört; seitdem sind weitere 50 Jahre vergangen. Hinter den Versen steht ein junger Mann, inspiriert vom Schneefall in einem Park, der zweifellos etwas von Romantik verstand. Smith starb kurz nach Verfassen des Liedes an Tuberkulose, doch das Lied lebt weiter und bewahrt seine spielerische Vorstellung davon, wie wir zusammen sein könnten, weitergegeben von denen, die singen, an diejenigen, die zuhören.
Der Angriff durch auf die Monopolisierung unserer Aufmerksamkeit ausgelegte Algorithmen hat viele grundlegende kulturelle Formen stark geschwächt
Kunst lebt, bis sie dahingemeuchelt wird. In diesem Fall werden „Winter Wonderland“ und Weihnachtslieder im Allgemeinen durch eine Reihe von Algorithmen ruiniert, die wir schmeichelhaft als künstliche Intelligenz bezeichnen. Ich vermute, dass irgendwo jemand ein KI-Modell veranlasst hat, Winter- und Weihnachtslieder zu generieren, die „kontroverse“ Themen wie göttliche und menschliche Liebe vermeiden. Das Ergebnis ist ein kitschiger Brei. In einer umgekehrten Sublimierung wird das Heilige zu Slop.
Viele amerikanische Konservative klammern sich an die Vorstellung, dass Weihnachten irgendwie von Ausländern, insbesondere Nichtchristen, besudelt würde. Aber wer sind die wahren Fremden in dieser Weihnachtsgeschichte? Die nicht-menschlichen Systeme.
Die Spitze des Eisbergs
Die verstümmelte Version von „Winter Wonderland“, die ich mir anhören musste, ist nur die Spitze des Eisbergs. Der Angriff durch auf die Monopolisierung unserer Aufmerksamkeit ausgelegte Algorithmen hat viele grundlegende kulturelle Formen stark geschwächt: Musik und Feiertagsrituale, aber auch den Unterricht in der Schule, das gemeinsame Essen und einfache Gespräche.
Natürlich verdienen einige wenige Menschen viel Geld damit. Und in einigen bemerkenswerten Fällen sind die Profiteure dieser kulturzerstörenden Maschinerie dieselben, die Ausländer dafür verantwortlich machen, dass sie uns Weihnachten wegnehmen und unsere Zivilisation zerstören. Derweil haben die Menschen, die die Lieder tatsächlich singen, Schwierigkeiten, Zuhörer zu finden.
„Winter Wonderland“ ist ein Stück Unterhaltungsmusik mit einer subtilen Botschaft über Romantik, die ein gewisses Maß an Geduld und Erfahrung sowie einen Sinn für Humor erfordert. Alle Verweise auf die Feiertage sind indirekter, spielerischer Art: der imaginäre Pfarrer mit seiner schmelzenden Zurechtweisung, das wandernde unverheiratete Paar.
Weihnachten trägt eine Botschaft der Liebe in sich: „Und sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“ Keine Maschine kann dieses Gefühl nachvollziehen – eine Tatsache, die die Propagandisten der unvermeidlichen Überlegenheit der Maschinen uns nicht begreifen lassen wollen. Stattdessen wollen sie, dass wir uns gegeneinander wenden, während ihre Algorithmen einen grundlegenden Teil unserer Menschlichkeit entweihen, scheibchenweise, ein Lied nach dem anderen.
*Aus dem Englischen von Jan Doolan.
Timothy Snyder ist erster Inhaber des neu gegründeten Lehrstuhls für moderne europäische Geschichte an der Munk School of Global Affairs and Public Policy der Universität Toronto und ständiger Mitarbeiter am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. Er ist Verfasser bzw. Herausgeber von 20 Büchern.
Copyright: Project Syndicate, 2025. www.project-syndicate.org.
De Maart
Die Negierung der teutonischen Propaganda im unfehlbaren päpstlichen "Luxemburger Wort" ist auf die Zerstörung der Menschlichkeit, nicht nur in Luxemburg, angelegt. MfG, Robert Hottua