23. Dezember 2025 - 16.45 Uhr
Mentale GesundheitTabubruch im Büro: Warum Unternehmen lernen müssen, mit Trauer umzugehen
Tageblatt: Trauerberaterin ist ja nicht gerade ein 0815-Job. Können Sie kurz erklären, was Sie genau tun?
Christina Gippert: Zuerst einmal enttabuisiere ich Trauer, das ist wirklich mein Herzensprojekt. Ich tue das auf Bühnen, in Unternehmen oder Vereinen, gebe Workshops, leite Events, gehe in Podcasts und gebe Interviews zum Thema. Erst kürzlich war ich beim Leadership-Summit der Debeka (Versicherungsgruppe; Anm. d. Red.) in Koblenz, um da einen Vortrag über Trauer zu halten. Ursprünglich habe ich BWL studiert und komme von der Mosel, daher auch der Bezug zu Luxemburg. Ich habe dann 19 Jahre in Brüssel gelebt und war im Europäischen Parlament verbeamtet. Vor zwei Jahren habe ich mich selbstständig gemacht.
Und wie kommt man dazu, dies als Berufsweg zu wählen?
Ich sage immer, dass ich über Umwege zum Thema gekommen bin, aber je länger ich mich mit Trauer beschäftigt habe, desto mehr habe ich natürlich gemerkt, dass es auch viel mit mir zu tun hat. Ich bin auch eine von denen, denen nicht beigebracht wurde, wie man richtig trauert. Viele Generationen haben das nie gelernt. Bei uns zu Hause wurden zwar schon der Kanarienvogel und der Hase beerdigt, aber ich hatte trotzdem oft das Gefühl, dass es keinen Platz gab, um traurig zu sein. Meine Eltern haben eher versucht, mich abzulenken. Ich erinnere mich zum Beispiel an einen schlimmen Liebeskummer, da meinte meine Mutter zu mir: ,Komm lass mal dein Zimmer neu streichen.’ Einfach diese Unbeholfenheit und Ohnmacht der Trauer gegenüber, egal ob im privaten oder beruflichen Kontext.
Die Weihnachtszeit wird ja meist als schönste Zeit des Jahres dargestellt. Wie sehen Sie das?
Für viele Trauernde sind die Feiertage der absolute Horror, da sie sich nicht wie alle anderen fröhlich fühlen, und das kann sehr schwer sein. Auch der Jahreswechsel ist oft schlimm für sie, da sie nicht wissen, wie sie das neue Jahr überleben werden, gerade im ersten Jahr nach einem Trauerfall, aber auch danach. Ich leite deshalb einen speziellen Online-Kurs während dieser Periode. Oft geht es nämlich einfach darum, der Trauer Raum zu lassen. Es wird erwartet, dass es für alle eine schöne Zeit ist, aber für Trauernde ist das nicht der Fall. Dann kommt da noch die Dunkelheit dazu und dass die meisten Menschen im Dezember kaum Zeit haben.
Ein Fokus Ihrer Arbeit liegt ja auf der Beratung im Arbeitsumfeld. Weshalb ist diese dort wichtig?
Selbst wenn man es versucht, verbringt man heute mehr Zeit mit Kollegen als mit der eigenen Familie. Viele haben nicht mehr diese Kernfamilie um sich und es gibt auch viel mehr Single-Haushalte als früher. Es finden sich Freundschaften am Arbeitsplatz, aber auch Paare, man kann also Privates nicht von Beruflichem trennen und seine Gefühle abstellen, sobald man ins Büro kommt – die nimmt man mit. Wenn jemand zu mir sagt, Trauer ist privat, dann kontere ich immer, dass man dann auch keinen Kuchen zum Geburtstag mit ins Büro bringen braucht. Der Unterschied ist einfach nur, dass Freude ein Gefühl ist, mit dem wir umgehen können, und Trauer eben nicht.
Und wie sieht das in der Praxis aus?
Führungskräften bringe ich zum Beispiel bei, wie man damit umgeht, wenn jemand aus dem Team eine Krebsdiagnose erhält oder eine schwere Trennung erlebt oder Angehörige pflegen muss, denn die Symptome sind immer ähnlich: Man kann sich vor allem nicht konzentrieren. Kommt jemand nach einem Trauerfall zurück und wird dann ignoriert, ist das eine ganz schlimme Sache. Man muss natürlich wissen, dass etwas passiert ist, aber oft sind Betroffene erst mal krankgeschrieben und man kann zum Beispiel eine E-Mail schreiben, um zu fragen, wie die Person denn zurückkommen möchte, oder sie mal ins Büro einladen und sich Zeit nehmen, um zu fragen, was sie braucht. Es ist wichtig, Unterstützung anzubieten und auf die Person zuzugehen, denn Trauernden fehlt oft die Kraft, die richtigen Worte zu finden. Man kann zum Beispiel einmal die Woche ein Emoji schicken, eine Kleinigkeit auf den Tisch legen oder eine Mail schreiben. Es braucht keine großen Worte. Egal, ob im privaten oder beruflichen Kontext, es gilt, lieber langfristig dranbleiben als eine Beileidskarte senden.

Was geschieht denn, wenn dies nicht getan wird?
Wenn etwas Schlimmes geschieht und nichts gemacht wird, macht das etwas mit den Menschen, denn Trauer ist ja da. Ich habe einmal in Luxemburg eine Zeremonie geleitet für einen Verstorbenen, für die seine Teammitglieder freigestellt wurden. Es gab sein Lieblingsessen, es lief Jazz und die Leute haben über ihn gesprochen. Am Ende kam dann eine Dame zu mir und meinte, es hätte so gutgetan, einfach mal zwei Stunden da sein zu dürfen und das Ganze zu verarbeiten. Es bringt nichts, wenn sich zwei Leute aus einem Team mal bilateral mit einem externen Psychologen treffen. Es braucht wirklich ein Meeting oder eine Zeremonie fürs ganze Team.
Und was bringt es einem Betrieb, wenn richtig mit Trauer umgegangen wird?
Rein wirtschaftlich gesehen ist es besser, wenn wir trauern, sonst fällt man später aus, weil man krank wird. Trauer bleibt im Körper, auch wenn wir versuchen, sie zu unterdrücken. Es gibt in der Tat dieses Phänomen des gebrochenen Herzens, und daran kann man sterben. In den ersten Wochen nach einem Trauerfall ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Trauernden nämlich erwiesenermaßen erhöht. Auch Krebs ist ein Klassiker. Ernährung, Schlaf, ein gesunder Lebensstil – all das geht in denselben Körper, wie unsere mentale Hygiene, schließlich haben wir nur den einen. Alle Stressoren, ob Chemie, Mikroplastik, Handybildschirm oder Dinge, die unser Nervensystem belasten, spielen eine Rolle bei unserer Gesundheit, denn dadurch sinkt unsere Resilienz gegenüber Erkrankungen. Es spielt alles ineinander, deshalb ist es wichtig, dass man sowohl selbst als auch das Umfeld der Trauer Platz lässt.
De Maart

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