22. Dezember 2025 - 7.53 Uhr
Analyse von außenAmerikas zivilisatorischer Selbstmord
Anfang dieses Monats beschrieb Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die neue Nationale Sicherheitsstrategie der Trump-Regierung in lapidaren Worten als „weitgehend im Einklang mit unserer Vision“. Da hat er recht. Diese neue nationale Sicherheitsstrategie enthält nicht einen Hauch Kritik an Russland, weder an seiner zunehmend autoritären Innenpolitik noch an seiner unverhohlenen militärischen Aggression gegen die Ukraine. Stattdessen wird Europa – Amerikas langjähriger demokratischer Freund und Verbündeter – herausgestellt und in besonderem Maße ins Visier genommen.
Zwar war schon in der 2017 von der ersten Trump-Regierung veröffentlichten nationalen Sicherheitsstrategie viel die Rede von einer über allem stehenden nationalen Souveränität. Doch wurde in diesem Dokument noch der Wert der amerikanischen Verbündeten anerkannt und festgestellt, dass „die Vereinigten Staaten und Europa gemeinsam gegen die Subversion und Aggression Russlands vorgehen werden“. Überdies fügten sich diese Anstrengungen in eine umfassendere Strategie des „Wettbewerbs der Großmächte“, in der China eine große Rolle spielte.
Macht vor Prinzipien
Seitdem hat Russland seine vollständige Invasion der Ukraine eingeleitet und China ist nur noch bedrohlicher in das Blickfeld geraten. Die zweite Trump-Regierung jedoch beugt sich Russland, kritisiert die Europäer und betrachtet die Bedrohung durch China nur noch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Offenbar ist der Wettbewerb der Großmächte einer Kameraderie der Großmächte gewichen. Die USA sagen nun, sie seien mehr an „Stabilität“ interessiert, die angeblich durch Zusammenarbeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und durch eine „G2“ mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping erreicht werden kann. Die implizite Botschaft lautet, dass Großmächte ähnlich denken. Jede will ihren eigenen Einflussbereich und legt mehr Wert auf Macht als auf Prinzipien.
Diese niederträchtige Rhetorik stammt direkt von europäischen Extremisten. Es ist schier unglaublich, dass dies die Grundlage dafür bilden soll, wie Amerika seine stärksten und engsten Verbündeten behandelt.
Wie in zahlreichen Kommentaren festgestellt, markiert diese neue nationale Sicherheitsstrategie eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik und Doktrin der USA. Darin vorgesehen ist eine Rückbesinnung auf die westliche Hemisphäre und – in nahezu allen Fragen – eine Priorisierung wirtschaftlicher Interessen vor politischen Prinzipien. Der Nahe Osten beispielsweise wird in erster Linie als Investitionsziel betrachtet. Politik ist kompliziert, Deals zu machen hingegen einfach.
Dennoch sticht die heftige Kritik an Europa hervor, nicht zuletzt wegen der Mängel in der zugrunde liegenden Argumentation. In der neuen nationalen Sicherheitsstrategie wird behauptet, dass „bestimmte NATO-Mitglieder spätestens in wenigen Jahrzehnten mehrheitlich nicht-europäisch sein werden“ und dass Europa – das zur „zivilisatorischen Auslöschung“ verdammt sei (eine Formulierung, die viele Vizepräsident JD Vance zuschreiben) – kein verlässlicher Verbündeter sein könne. Das ist schlichtweg falsch. In keinem einzigen europäischen Land werden „Nicht-Europäer“ in absehbarer Zukunft jemals die Mehrheit bilden. Das gilt auch für das Land mit dem größten Anteil an Muslimen: Russland.
Getrübte Beziehungen
Diese niederträchtige Rhetorik stammt direkt von europäischen Extremisten. Es ist schier unglaublich, dass dies die Grundlage dafür bilden soll, wie Amerika seine stärksten und engsten Verbündeten behandelt. Die Trump-Regierung ist mittlerweile bereit, sich in die innenpolitischen Strategien und die Politik europäischer Länder einzumischen, um dort „patriotische“ Kräfte zu fördern – also diejenigen, die genau diesen rassistischen Müll verbreiten. Nicht einmal Russland hat seine beabsichtigte Einmischung in europäische demokratische Prozesse so unverhohlen zur Schau gestellt.
Es bleibt abzuwarten, was daraus werden wird. Eine Annäherung an Trump ist nicht gerade eine erfolgreiche Wahlkampfstrategie, weshalb sich die Einmischungsversuche der USA in Europa als ebenso erfolglos erweisen könnten wie die Russlands. Angesichts der bereits stark getrübten transatlantischen Beziehungen könnten sie jedoch weitaus größeren Schaden anrichten.
Freilich haben wir Europäer auch unsere Probleme. Wir müssen dringend unseren Unternehmergeist, unseren Wettbewerbsgeist und unseren Sinn für den globalen Handel wiederbeleben, unsere Verteidigung stärken und unser erfolgreiches Integrationsprojekt auf den gesamten Kontinent ausweiten. Die Steuerung der Migration ist zweifellos eine Herausforderung, genau wie für die USA.
Anstatt zu versuchen, uns bei Trumps Amerika einzuschmeicheln, müssen wir Rückgrat zeigen
Insgesamt sind wir jedoch außerordentlich erfolgreiche Gesellschaften, und das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Attentate und politische Gewalt sind hier äußerst selten. Bei uns gibt es keine politisierten Mobs, die unsere Parlamente erstürmen. Unsere Demokratien sind nach wie vor offen und lebendig, wobei die meisten von ihnen die weltweiten Rankings zur Pressefreiheit anführen. Bei uns liegt der Anteil der Bevölkerung, die im Gefängnis sitzt, bei einem Fünftel des Wertes in den USA, und unsere Mordraten sind überhaupt nur Bruchteil der amerikanischen Zahlen. Wir weisen kein massives Handelsdefizit gegenüber dem Rest der Welt auf. Unsere Gesundheitssysteme sorgen für bessere Ergebnisse und eine höhere Lebenserwartung als anderswo, und insgesamt verfügen die EU-Mitgliedstaaten über besser ausgebildete Bevölkerungen.
Ideologische Verwirrung
Wir sind sicherlich nicht von „Auslöschung“ bedroht, wie es in der neuen nationalen Sicherheitsstrategie so absurd formuliert ist. Nur wenige Orte auf der Welt bieten einem größeren Teil der Bevölkerung eine bessere Lebensqualität als Europa. Anstatt zu versuchen, uns bei Trumps Amerika einzuschmeicheln, müssen wir Rückgrat zeigen, uns wieder zu unseren eigenen Werten bekennen und darauf hoffen, dass die ideologische Verwirrung jenseits des Atlantiks bald vorübergeht. Andernfalls werden es nicht wir sein, die zivilisatorischen Selbstmord begehen.
* Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier
Carl Bildt ist ehemaliger schwedischer Ministerpräsident und Außenminister.
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