Sonntag21. Dezember 2025

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„Liegt in der Hand der Justiz“Lydie Polfer reagiert auf Anklage zum tödlichen Vorfall auf Weihnachtsmarkt

„Liegt in der Hand der Justiz“ / Lydie Polfer reagiert auf Anklage zum tödlichen Vorfall auf Weihnachtsmarkt
Der Zweijährige saß auf einem Schlitten aus Eis, als er von einem schweren Teil einer Eisskulptur hinter ihm getroffen wurde. Am Tag nach dem Unglück legten Menschen Blumen bei den Überbleibseln der Skulptur nieder. Foto: Editpress/Alain Rischard

Im November 2019 ereignete sich auf dem Weihnachtsmarkt in Luxemburg-Stadt ein tragischer Vorfall, bei dem ein Zweijähriger ums Leben kam. Nach jahrelangen Ermittlungen hat die Staatsanwaltschaft nun Anklage erhoben. Die betroffenen Institutionen halten sich auf Nachfrage bedeckt.

„Wir können dazu keinen Kommentar abgeben. Das liegt jetzt in der Hand der Justiz und nicht in unserer“ – mit diesen Worten reagiert die hauptstädtische Bürgermeisterin Lydie Polfer (DP) auf Nachfrage auf Entwicklungen zu einem tödlichen Unfall auf dem Weihnachtsmarkt vor sechs Jahren: Am 24. November 2019 kam auf dem Knuedler ein Zweijähriger ums Leben, als er von einem schweren Teil einer Eisskulptur getroffen wurde. Das Kind erlag seinen schweren Verletzungen noch im Krankenwagen.

Mehr als sechs Jahre nach dem tödlichen Vorfall teilte die Pressestelle der Justiz Anfang Dezember mit, dass neun physische und eine juristische Person angeklagt werden – und nennt auf Nachfrage auch die genaue Anzahl: Drei Bildhauer, zwei Angestellte vom „Luxembourg City Tourist Office“ (LCTO) sowie diese Vereinigung selbst und vier Personen der Stadtverwaltung der Gemeinde Luxemburg werden sich wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung vor Gericht verantworten müssen. Die Mehrheit der Angeklagten hatte laut Justiz gegen diesen Beschluss Berufung eingelegt.

Schweigen der Institutionen

Die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg – die die Weihnachtsmärkte jedes Jahr organisiert – will sich nicht weiter zu dem tödlichen Unglück äußern und sagt, dass man den Prozess abwarten müsse. Auch beim Innenministerium will man mit Verweis auf die laufende Prozedur keine allgemeinen Fragen zur politischen Verantwortung in solchen Fällen äußern. Auch nicht dazu, inwiefern Bürgermeisterinnen und Bürgermeister generell geschützt sind, wenn innerhalb der Verwaltung eventuelle Fehler passieren.

Wenig überraschend heißt es von der Pressestelle des LCTO – das damals den Auftrag zur Anfertigung der Eisskulptur an eine französische Agentur vergab und bereits zum dritten Mal mit der Firma zusammenarbeitete – ebenfalls: „Das ‚Luxembourg City Tourist Office‘ bezieht dazu keine Stellung.“ Übrigens ist unter anderem Bürgermeisterin Lydie Polfer Mitglied im Verwaltungsrat vom LCTO.

LCTO als juristische Person

Die Pressestelle des Justizministeriums erklärt, wie es sich generell mit gemeinnützigen Vereinen vor Gericht verhält: Diese haben eine juristische Persönlichkeit und werden vor dem Gesetz als Person angesehen, die unabhängig vom Verwaltungsrat existiert. Durch diese Persönlichkeit kann ein Verein laut dem Justizministerium unter anderem angeklagt und für Fehler bestraft werden. Dieses unterstreicht: „Verwalter sind physische Personen, die die ASBL nach außen hin vertreten. Sie sind nicht persönlich verantwortlich für die Verpflichtungen der Vereinigungen.“

Gerichtsprozeduren können dennoch Konsequenzen für einen gemeinnützigen Verein haben. „Wenn das Gericht feststellt, dass Fehler gemacht wurden, können die Folgen beispielsweise folgende sein: eine Geldstrafe, Schadenersatz oder andere juristische Auflagen.“ Diese Konsequenzen betreffen dann die ASBL als juristische Person. Das Justizministerium unterstreicht: „Verwalter können nur persönlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn bewiesen wird, dass sie selbst Fehler bei der Verwaltung des Vereins gemacht haben.“ Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Mitglied des Verwaltungsrats betrogen oder Geldwäsche betrieben hat.

Neben dem LCTO als juristische Personen werden in dem konkreten Fall zum tödlichen Unglück auf dem Knuedler aber auch zwei natürliche Personen der Vereinigung sich vor Gericht verantworten müssen. Für sie, aber auch für alle anderen Angeklagten, gilt bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung. Für den Gerichtstermin wird laut Pressestelle der Justiz das Sommerquartal 2026 angestrebt.

Chronologie

2019
Am 24. November 2019 ereignet sich an einem Sonntag kurz nach 20 Uhr ein tragischer Vorfall auf dem Weihnachtsmarkt in Luxemburg-Stadt: Auf dem Knuedler bricht ein zweieinhalb Meter hoher und rund 700 Kilo schwerer Eisblock in sich zusammen und begräbt einen Zweijährigen unter sich. Das Kind stirbt im Krankenwagen. Ein Künstler einer französischen Firma mit Sitz in Paris hatte den Eisblock am selben Tag innerhalb von drei Stunden mit einer Motorsäge zu einer Skulptur geformt – wie bei einer Pressekonferenz der Stadt einen Tag nach dem Vorfall bekannt wird. Lydie Polfer (DP) spricht dabei vom „traurigsten Unfall“ ihrer Amtszeit. Die Bürgermeisterin erklärt, dass die Skulptur eine partizipative Installation war, und dass „ein Teil der Skulptur gedacht war, um sich draufzusetzen“.

2020
Mehr als einen Monat nach den Ereignissen erstellt im Januar 2020 ein Sachverständiger ein Gutachten zum Unfall. Im Mai des gleichen Jahres wird die Familie des verstorbenen Jungen informiert, dass der Untersuchungsrichter die Ermittlungen übernommen hat.

2021
Im Februar 2021 wird ein Zusatzgutachten erstellt. Später wird kurz vor dem zweiten Jahrestag des Unfalls im November deutlich: Die Ermittlungen verlängern sich. Laut einem Sprecher der Justiz sind neue Erkenntnisse aufgetaucht, die weitere Überprüfungen erfordern.

2022
Eigentlich hätte die Untersuchung Ende Juli 2022 abgeschlossen sein sollen, doch der Anwalt eines Beschuldigten verlangt ein weiteres Gutachten. Die Ermittlungen verlängern sich erneut. „Es sind grausame Fehler passiert und wir wünschen uns, dass endlich aufgeklärt wird, welche“, fordert der Vater des verstorbenen Jungen, Ragbet Hamza, kurz vor dem dritten Todestag seines Sohnes im Gespräch mit dem Tageblatt. Zu diesem Zeitpunkt sind elf Personen beschuldigt.

2023
Im Oktober kündigt die Staatsanwaltschaft an, gegen neun natürliche und eine juristische Person Anklage erheben zu wollen – mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Die Eltern wurden über den Abschluss der Ermittlungen nicht gesondert informiert. Die Mutter des verstorbenen Jungen erklärt in einem Post bei Facebook, sie hoffe, „endlich Antworten auf Fragen wie ‚Warum?‘ und ‚Wo sind Fehler passiert?‘“ zu erhalten. Gegen eine elfte Person wird das Verfahren eingestellt, da es keine Anhaltspunkte für eine Strafverfolgung gibt. Dann muss die sogenannte „Chambre du conseil“ entscheiden, ob sie die Meinung des Untersuchungsrichters teilt und alle Angeklagten – vielleicht aber auch niemand oder nur ein Teil von ihnen – vor Gericht kommen.

2024
Wie öfters in dem Verfahren fordert der Anwalt eines Beschuldigten im März 2024 weitere Ermittlungsmaßnahmen. Dies zieht die Prozedur erneut in die Länge.

2025
Als sich das Unglück zum sechsten Mal jährt, liegt das Dossier bei der Ratskammer des Berufungsgerichts. Am 2. Dezember dann Licht am Ende des Tunnels: Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen neun natürliche Personen, darunter die Bildhauer der Skulptur, Personal des „Luxembourg City Tourist Office“ (LCTO) sowie Angestellte der Verwaltung der Stadt Luxemburg. Zusätzlich klagt die Staatsanwaltschaft das LCTO als juristische Person an. Für den Gerichtstermin wird der Sommer im kommenden Jahr angestrebt. Bis zu einer Verurteilung gilt für alle Angeklagten die Unschuldsvermutung.