Freitag19. Dezember 2025

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Luxemburg-Stadt„Mir sinn d’Stëmm fir déi Leit ouni Stëmm“: Ein Fest der Würde und Nähe

Luxemburg-Stadt / „Mir sinn d’Stëmm fir déi Leit ouni Stëmm“: Ein Fest der Würde und Nähe
Alice Hinterscheidt freut sich auf Begegnungen und Gespräche bei der Weihnachtsfeier, insbesondere mit dem großherzoglichen Paar Foto: Carole Theisen

Ein volles Haus, warme Mahlzeiten, klare Worte: Die 27. Weihnachtsfeier der „Stëmm vun der Strooss“ zeigt, wie konkret soziale Fragen werden, wenn man ihnen nicht ausweicht.

Der große Saal des „Centre culturel Victor Hugo“ wirkt an diesem Dezembernachmittag fast zu klein. Rund 650 Menschen sind gekommen – viele ohne Wohnung, ohne Arbeit, mit Brüchen im Lebenslauf, mit Suchterfahrungen, psychischen Erkrankungen, Haftgeschichten oder schlicht ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Und mittendrin: Freiwillige aus Unternehmen, Vereinen, Institutionen, Mitarbeitende der „Stëmm vun der Strooss“, politische Vertreterinnen und Vertreter.

Als das großherzogliche Paar, gemeinsam mit Vizepremier Xavier Bettel und Gesundheitsministerin Martine Deprez, den Saal betritt, geht ein spürbares Raunen durch die Reihen. Handys werden gezückt, Hände geschüttelt, Fotos gemacht, kurze Gespräche geführt. Dann setzen sich der Großherzog und die Großherzogin zu den Gästen an den Tisch.

„Ich bin so froh, dass die beiden heute hier sind“, sagt Alice Hinterscheidt. Ihre Freude ist unverstellt. „Ich sammle Fotos von ihnen. Ich habe ihnen auch gesagt, dass ich ein Fan bin.“ Für sie ist dieser Tag mehr als eine warme Mahlzeit oder ein Geschenk. „Es ist immer schön hier. Wir können essen, trinken, andere Menschen treffen. Viele feiern Weihnachten auf der Straße. Das tut weh.“

Logistik statt Romantik

Hinter diesem Nachmittag steckt monatelange Arbeit. Bob Ritz, Kommunikationsbeauftragter der „Stëmm vun der Strooss“, spricht über die Logistik. „Der Saal wird schon ein Jahr im Voraus reserviert. Zwei Monate vorher beginnt die eigentliche Arbeit: Material bestellen, Freiwillige organisieren, Partner kontaktieren.“ Am Tag selbst sind rund 100 Ehrenamtliche im Einsatz, dazu etwa 60 bis 80 Mitarbeitende der Stëmm. „Das Küchenteam kocht bereits morgens in unseren Einrichtungen vor, andere bringen alles hierher.“ Der ursprüngliche Veranstaltungsraum in Bonneweg ist mittlerweile zu klein geworden für den Andrang, daher findet das Event in diesem Jahr erstmals auf Limpertsberg statt.

Finanziell flossen rund 15.000 Euro direkt in das Event. Doch der größere Teil kommt in Form von Sachspenden: 650 Winterkits vom Kleiderkonzern Uniqlo, 650 Hygiene-Pakete der Kleiderbörse ASBL, Bûches von De Schnékert und Auchan, Getränke von Rosport, Powerbanks, Mahlzeiten, Getränke, Spielzeug. „Die Unterstützung ist sehr vielfältig“, sagt Ritz. „Manche spenden Geld, andere Kleidung, andere ihre Zeit.“

Zeit ist auch das, was viele der Anwesenden bewusst investieren. Kevin Concannon von State Street ist zum vierten Mal dabei. „Es ist eine gute Möglichkeit, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben, in der wir leben und arbeiten. Zu sehen, wie Menschen zusammenkommen und diesen Tag genießen – und Teil davon zu sein.“ Engagement, so sagt er, dürfe nicht abstrakt bleiben.

Hygiene, Würde und gestrickte Zeit

„Am Eingang stapeln sich Taschen, Mützen, Schals. Enja Jans und Evelyn Gschwindt von der Kleiderbörse ASBL haben auch dieses Jahr wieder geliefert – im wörtlichen Sinn. Wir haben 650 Hygiene-Pakete gepackt“, erklärt Jans. Darin: Duschgel, Zahnbürsten, Hygieneartikel, Schokolade. Keine Luxusgüter, aber Dinge, die oft fehlen.

„Im letzten Jahr waren es 450 Pakete, dieses Jahr 650.“ Der Bedarf ist gestiegen – und mit ihm der Aufwand. Besonders ins Auge fallen die gestrickten Stücke: Mützen, Schals, Handschuhe, alle handgemacht. „Wir haben ein ganzes Team mobilisiert“, sagt Gschwindt. „Die Leute haben zu Hause gestrickt.“ Unbezahlt, selbstverständlich.

Zusammen mit dem Verein der Kiwanis wurden zusätzlich Schokoladentüten für Kinder vorbereitet. „Damit auch sie etwas Eigenes bekommen.“ Warum sie das seit über zehn Jahren machen? „Wir sind ein karitativer Verein. Das ist unsere Leidenschaft. Wir machen vieles – links, rechts, überall.“ Die Weihnachtsfeier ist für sie kein Einzelereignis, sondern Teil eines kontinuierlichen Engagements.

Auch Unternehmen wie Uniqlo setzen auf langfristige Unterstützung. Marijn Pronker, Sustainability Manager für Benelux, erklärt: „Jede Filiale soll die Gemeinschaft unterstützen, in der sie angesiedelt ist. Wenn wir als Unternehmen wachsen, sollten auch die Gesellschaften wachsen können.“ Neben neuer, funktionaler Winterkleidung sammelt Uniqlo Kundenspenden und verdoppelt diese aktuell. „Aus einem Euro werden drei. Das Geld geht direkt an die NGO.“

Morgane Delacroix und Aurélia Burlo sind angehende Erzieherinnen und ehemalige Praktikantinnen der Stëmm. Ihre Praktika sind längst beendet – dennoch sind sie zurückgekommen. „Mit Freude“, sagt Delacroix. „Wir haben unsere Zeit hier sehr geliebt.“ Heute bieten sie Handmassagen und Pflege an. Keine Termine, kein Zeitdruck. Es geht nicht um Kosmetik, sondern um Berührung, Aufmerksamkeit, um einen Moment ohne Zweck.

Stimmen aus dem Saal: Warum Menschen kommen

Ryan Martins Ferreira lässt sich gerade die Hände pflegen. Er sei gekommen, um „ein bisschen frische Luft zu schnuppern“. Er habe viel Positives gehört. „Manchmal ein bisschen chaotisch, aber unterhaltsam.“ Worauf er sich am meisten freue? „Auf das Essen.“ Er lacht dabei, ganz ohne Ironie.

Daniel Majerus aus Esch betont die gesellschaftliche Dimension des Events: „Ich habe mein Leben lang gearbeitet, es ging mir auch einmal schlecht, aber ich habe mich wieder aufgerappelt. Viele schaffen das nicht.“ Deshalb komme er jedes Jahr. „Um zu zeigen, dass es auch anders gehen kann. Aber: Luxemburg ist ein reiches Land, und trotzdem schlafen Menschen im Winter auf Parkbänken. Das darf nicht sein.“

Manche Gäste kennen beide Seiten. Romain Schaaf und seine Frau Mathilde engagieren sich seit Jahren. Er erzählt offen von seinem eigenen Bruch: Er arbeitete beim Staat, war abgesichert, integriert. Dann kam die Krankheit – schweres Asthma, Herzprobleme, eine Operation. „Ich habe 45 Kilo verloren.“ Die Wohnung in Luxemburg ging verloren, eine neue war nicht zu finden. „Am Ende blieb nur der Umzug nach Deutschland.“

Heute engagiert er sich gemeinsam mit seiner Frau in Gewerkschaften, sozialen Netzwerken und karitativen Initiativen. „Wir versuchen, zu helfen, wo es geht.“ Sein Wunsch ist klar und nüchtern formuliert: „Frieden. Würde. Und dass wir hier im Land alt werden können, ohne weggehen zu müssen.“