Donnerstag4. Dezember 2025

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„Gewalt hat nichts mit der Nationalität zu tun“Interview mit Walid Megharbi über häusliche Gewalt gegen Männer

„Gewalt hat nichts mit der Nationalität zu tun“ / Interview mit Walid Megharbi über häusliche Gewalt gegen Männer
Ist bei InfoMann für die Beratung zuständig: der Psychologe Walid Magharbi Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Die Männerberatungsstelle InfoMann hat 2024 einen neuen Dienst für männliche Überlebende häuslicher Gewalt lanciert. Der Leiter Walid Megharbi zieht Bilanz – und erklärt im Interview, warum stereotype Rollenbilder, Aufenthaltsstatus und soziale Herkunft entscheidend sind.

Tageblatt: Walid Megharbi, InfoMann bietet – neben Beratungen – seit 2024 auch Hilfe für männliche Opfer häuslicher Gewalt an. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Walid Megharbi: Wir kontaktieren alle Opfer, bei denen ein Hausverbot gegen die Tatperson verhängt wurde. 2024 gab es nach dem „Rapport violence“ des „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ 287 solcher Fälle. 87 Prozent der Täter und 19 Prozent der Opfer waren Männer. Das Angebot wird angenommen, auch wenn nicht alle Betroffenen es nutzen.

Wie sieht häusliche Gewalt gegen Männer aus?

Sexualisierte Gewalt ist seltener als bei Frauen. Beide Geschlechter erleben körperliche, psychische und wirtschaftliche Gewalt – aber unterschiedlich: Frauen dürfen oft nicht arbeiten, Männer müssen ihr Gehalt abgeben. Dahinter stecken stereotypische Rollenbilder wie „Eine Frau gehört in den Haushalt“ oder „Ein Mann muss seine Familie ernähren“.

Wer kommt zu InfoMann?

2024 führten wir 1.020 Beratungsgespräche durch, alle in einer der drei Landessprachen. Die meisten auf Luxemburgisch. Männer verschiedenster Herkunft suchen uns auf, aber kein Kulturkreis überwiegt. Was auffällt: Migranten brauchen häufiger Notunterkünfte. Letztes Jahr waren 17 der 22 Nutzer der InfoMann-Wohnräume Ausländer aus Europa oder Drittstaaten.

InfoMann

InfoMann ist eine Beratungsstelle für Männer. Betroffene von Gewalt können sich unter anderem telefonisch (+352 274 965) an die Mitarbeitenden wenden. Walid Megharbi ist Psychologe und Leiter von InfoMann. Weitere Infos: acttogether.lu/infomann.

Woran liegt das?

Luxemburger Männer und Frauen kommen öfter bei Familie oder Bekannten unter. Menschen mit Migrationshintergrund haben diese Netzwerke nicht. Für sie selbst besteht meist nur die Hoffnung auf die Hilfe der Polizei und auf einen Platz in einer Notunterkunft.

Unterscheiden sich die Probleme Ihrer Klienten je nach Herkunft?

Nicht grundsätzlich. Die meisten suchen Rat wegen Beziehungskonflikten. Im Jahr 2024 waren das 101 Männer. Seit 2020 sehen wir mehr psychische (+54 Prozent, d.Red.) und körperliche Gewalt (+44 Prozent, d.Red.) gegen Männer in Partnerschaften. Migranten aus Drittländern leben zusätzlich häufiger in prekären Situationen. Wer fliehen musste, erleidet oft Traumata. Wenn die Aufenthaltsgenehmigung an die Ehe oder eine Familienzusammenführung gebunden ist, fällt der Gang zur Polizei oder Beratungsstellen schwer – aus Angst vor einer Ausweisung. Hinzu kommt: In manchen Kulturen gilt die Scheidung als Schande. Die Betroffenen halten die Situation deswegen aus.

Walid Megharbi räumt mit den Vorurteilen gegenüber Migranten auf
Walid Megharbi räumt mit den Vorurteilen gegenüber Migranten auf Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Nutzen die Tatpersonen diese Abhängigkeit aus?

Ja. Häusliche Gewalt ist ein Prozess, der auf Kontrolle und Dominanz abzielt. Der Aufenthaltsstatus oder die Kinder werden als Druckmittel eingesetzt – sowohl gegen Männer als auch gegen Frauen.

Beobachten Sie Diskriminierung durch die Behörden?

Ja, vor allem nach sozialer Klasse. Menschen mit hohem Ansehen werden schneller und besser von den Autoritäten betreut. Das Interesse an ihren Fällen ist größer. Die Gefahrenlage scheint zweitrangig. Migranten aus der Arbeiterschicht, die wir begleiten, droht deshalb eine doppelte Diskriminierung. Sie leiden unter dem Vorurteil, Männer aus bestimmten Kulturkreisen seien aus Prinzip selbst gewalttätig, und unter dem Klassismus. Außerdem werden männliche Opfer häuslicher Gewalt oft nicht ernst genommen und belächelt. Die Vorstellung ist unvereinbar mit dem Klischee, ein Mann könne sich jederzeit gegen Gewalt wehren.

Migranten aus der Arbeiterschicht, die wir begleiten, droht eine doppelte Diskriminierung. Sie leiden unter dem Vorurteil, Männer aus bestimmten Kulturkreisen seien aus Prinzip selbst gewalttätig, und unter dem Klassismus. Außerdem werden männliche Opfer häuslicher Gewalt oft nicht ernst genommen und belächelt. Die Vorstellung ist unvereinbar mit dem Klischee, ein Mann könne sich jederzeit gegen Gewalt wehren.

Walid Megharbi, Leiter und Psychologe bei der Beratungsstelle InfoMann

Wie stehen Sie zur Aussage, häusliche Gewalt betreffe nur bestimmte Kulturkreise in Luxemburg?

Das sind falsche Vorurteile. Die bestehen auch in anderen Ländern. Ausländern aus Afrika, arabischen Ländern oder Lateinamerika wird Gewaltbereitschaft unterstellt. Eine belgische Studie zu 40.000 Fällen häuslicher Gewalt zeigt hingegen: 83 Prozent betrafen Belgier, nur vier Prozent Menschen aus dem Maghreb.

Was baut diese Vorurteile ab?

Es ist wichtig, Fake News richtigzustellen. Das ist im Zeitalter der sozialen Medien schwer. Es ist ein Kampf „David gegen Goliath“: Rechtsextreme Influencer, die noch dazu toxische Männlichkeit zelebrieren, haben eine deutlich größere Reichweite als eine Plattform wie InfoMann. Trotzdem ist die Sensibilisierung wichtig: Gewalt hat nichts mit der Nationalität zu tun – auch nicht in Luxemburg.

Mit dem Geschlecht schon: Männer bleiben die Haupttäter.

Männer müssen lernen, Gefühle zu benennen und Grenzen zu respektieren. Das fällt vielen schwer, weil sie nach toxischen Männlichkeitsbildern sozialisiert wurden. Ein Mann muss stark sein, sich wehren und beweisen. Die bereits erwähnten Influencer verstärken dieses Bild. Sie bieten Männern, die nach einfachen Lösungen suchen, eine Gebrauchsanweisung. Frauen können ihre Emotionen meist besser beschreiben und einschätzen. Männern fehlen dafür oft die Worte und das Bewusstsein – mit Folgen: Sie neigen stärker zu Sucht, riskantem Verhalten und Suizid. Auch beanspruchen sie seltener Hilfsangebote.

Wie verhält es sich mit queeren Männern?

Häusliche Gewalt betrifft meiner Erfahrung nach vor allem heterosexuelle Paare. Mir ist bisher nur ein Fall in einer homosexuellen Beziehung bekannt. Der Betroffene kam in einer unserer Notunterkünfte unter. Insgesamt haben wir jedoch wenig Kontakt zu dieser Personengruppe. Dennoch sind wir offen für die Thematik. Wir berieten bereits vereinzelt Männer bei ihrem Coming-out, etwa im Rahmen unserer Partnerschaft mit der Beratungsstelle „Centre LGBTIQ+ Cigale“.

Sind Ihre Unterkünfte Safe Spaces?

Wir stehen im Austausch mit Cigale, um möglichst sichere Unterbringungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Bisher gab es in unseren Unterkünften noch keine Probleme. Natürlich kommt es gelegentlich zu Auseinandersetzungen, wie in jeder Wohngemeinschaft, aber die haben nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun.

Luxemburg verfügt seit 2025 über das „Centre national pour victimes de violences“ und über einen Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Was für politische Maßnahmen braucht es noch?

Luxemburg ist in dem Dossier nicht schlecht, aber auch nicht führend. Besonders im Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt mit Migrationshintergrund. Neben der Angst vor der Tatperson, bangen sie oft, wie bereits erwähnt, um ihren Status – und melden die Gewalttaten nicht. Spanien macht es besser: Dort bekommen Betroffene eine temporäre Aufenthaltserlaubnis und Zugang zu Schutzunterkünften sowie Begleitdiensten. Das wäre auch in Luxemburg wichtig.

Luxemburg hat die Istanbul-Konvention 2018 ratifiziert, die solche Regelungen vorsieht.

Die Istanbul-Konvention wurde ratifiziert, aber bisher nicht immer konsequent umgesetzt. Ein ähnliches Fazit zieht auch Grevio (Expertengruppe des Europarats für die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, d.Red.) in ihrem Länderbericht zur Anwendung der Istanbul-Konvention in Luxemburg. Wer in unserem Land Opfer von Gewalt wird, muss geschützt werden. Das ist eine staatliche Verantwortung gegenüber den Menschen, deren Würde verletzt wurde.

Weitere Anlaufstellen für Betroffene häuslicher Gewalt

Wer im Fall häuslicher Gewalt nach weiteren Anlaufstellen sucht, findet diese auf violence.lu, via Helpline (Tel.: 20 60 10 60, 7/7, 12-20 Uhr) oder im „Centre national pour victimes de violences“ (Tel.: 27 55 53 15; Mail: [email protected]; Anschrift: 3, Val Sainte-Croix, L-1371 Luxemburg-Stadt).