Mittwoch26. November 2025

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Mobbing im KindesalterWenn der Schulbesuch zur Qual wird – für Eltern und Kinder eine schwere Belastung

Mobbing im Kindesalter / Wenn der Schulbesuch zur Qual wird – für Eltern und Kinder eine schwere Belastung
Immer noch ist der Umgang mit Mobbing im Kindesalter ein schwieriges Thema mit oft schwerwiegenden Konsequenzen für die Betroffenen Foto: Germain Jung

Nathalie Poos (32) schaudert es immer noch bei den Gedanken an ihre Schulzeit. Sie war ein Mobbingopfer. Wenn sie darüber spricht, wie von Mitschülern mit ihr umgegangen wurde, schwingt in ihren Worten Einsamkeit mit. Sie fühlt sich zu der Zeit nirgends aufgehoben. Mobbing bei Kindern wird oft klein geredet und als „Spielerei” abgetan.

Bei Nathalie Poos beginnt es schon in der Grundschule. Sie besucht eine Klasse, in der Kinder mit Migrationshintergrund überwiegen. In Pausen oder anderen Zeiten, in denen sich die Grundschüler außerhalb des Unterrichts begegnen, bleibt sie allein. Sie versteht deren Sprache nicht. Sie ist schüchtern, introvertiert, ergreift selten aktiv das Wort.

Ihr Vater ist zu der Zeit schwer krank, die Mutter ist mit Arbeit und Pflege stark eingebunden. „Ich musste sehr früh lernen, mich ruhig zu verhalten“, sagt Poos. Ihr Selbstwertgefühl ist klein. Auf der weiterführenden Schule setzen sich die Hänseleien fort. Dort wird sie ausgegrenzt, gehänselt und schließlich vom Mittagstisch der Mitschüler verbannt. Sie „nervt“ – angeblich. „Ich war ein Außenseiter“, sagt Nathalie.

Mobbingopfer beziehen die Taten häufig auf sich

Als sie sich schließlich ihrer Mutter anvertraut, geht es damals zum „Service de psychologie et d’orientation scolaire“ (SPOS), heute „Centre psycho-social et d’accompagnement scolaires“ (Cepas). „Wirklich geholfen hat es mir nicht“, sagt sie. „Die Hänseleien gingen weiter.“ Wie bei vielen anderen kindlichen Mobbingopfern setzt sich irgendwann das Gefühl durch, sie sei das Problem. Mit ihr stimme etwas nicht. Trotzdem macht sie ihren Weg.

Nathalie Poos, die Autorin von  „Unspoken Hurts“
Nathalie Poos, die Autorin von  „Unspoken Hurts“ Foto: Editpress/Hervé Montaigu

In der „Ecole de deuxième chance“ holt sie die „Neuvième“ nach und schließt später eine Ausbildung als „Assistante de la pharmacie“ ab. Das ist nicht selbstverständlich. Meistens führt Mobbing zu einer Verschlechterung der schulischen Leistungen – von der emotionalen Belastung einmal ganz abgesehen. Das hält der am 6. Oktober 2025 erschienene 63-seitige Bericht „Le harcèlement scolaire au Luxembourg“ der „Cellule scientifique“ der Chamber fest.

Der Bericht spiegelt die wissenschaftliche Lage zum Thema und bezieht sich vor allem auf die alle vier Jahre von der Weltgesundheitsorganisation erhobene Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) und die OECD-Pisa-Studie. Die letzten Zahlen stammen von 2022. Allerdings hält der Chamber-Bericht fest, dass es derzeit im Land keine Studie zu Mobbing in der Schule für Kinder unter elf Jahren gibt.

Schon der Schulweg ist eine Gratwanderung

Heute als junge Frau sagt Nathalie Poos Sätze wie „ich entscheide, was ich machen will und was nicht“. Das wäre früher undenkbar gewesen. Sie rettet sich in Schreiben, Malen und dem Texten von Songtexten. Musik allgemein hilft ihr. Ihre Zeit als Mobbingopfer hat sie in einem Buch verarbeitet. „Unspoken Hurts“, der Titel, ist zugleich die Aufforderung an alle, es anders zu machen als sie.

Das Buch ist bei Amazon und zurzeit noch in der Buchhandlung Ernster erhältlich
Das Buch ist bei Amazon und zurzeit noch in der Buchhandlung Ernster erhältlich Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Sie hätte mehr darüber sprechen müssen, nicht alles mit sich selbst ausmachen und sich vor allem Hilfe holen müssen. „Mobbing gibt es überall“, sagt Nathalie. „Und es wird gerne verharmlost und als ‚kleine Spielereien’ abgetan.“ Bei Melanie Webers Sohn war das Mobbing zu offensichtlich, um es so zu verharmlosen. Marc* ist seit jeher nicht sehr groß gewachsen und jahrelang fast zwei Köpfe kleiner als gleichaltrige Mitschüler.

Ihm wird von einer „Gang“ regelrecht aufgelauert, es kommt zu physischen Attacken. Bauchschmerzen vor dem Schulbeginn und wahnsinnige Angst machen schon den Weg zur Schule zur Quälerei. Im Gegensatz zu Nathalie vertraut er sich seinen Eltern früh an. Sie reagieren. Anzeigen bei der Polizei bleiben allerdings ohne Konsequenzen. Dass dem Strafrecht in diesen Fällen enge Grenzen gesetzt sind, bestätigt der Chamber-Bericht.

Die Mobber sind das Problem, nicht die Opfer

Erst die „White Tigers“, eine Bikergruppe, die kindliche Mobbingopfer im Alltag begleitet und der Marcs Mutter angehört, helfen, die Situationen zu entschärfen. Abgesehen von den seelischen Verletzungen ihres Sohnes, die die Eltern in vielen Gesprächen auffangen, ist Melanie Weber ernüchtert. „Wir haben ein Kinderschutzgesetz, aber kein Kinderstrafgesetz“, sagt die 48-Jährige heute. Die „White Tigers“ arbeiten daneben präventiv und setzen auf Aufklärung.

Olivier Betz, der Gründer von „Clever Kanner“
Olivier Betz, der Gründer von „Clever Kanner“ Foto: Privat

„Wir vermitteln den Kindern, dass nicht sie, sondern die Mobber das Problem sind“, sagt Weber. Dass die Opfer das Mobbing irgendwann auf sich beziehen, mit den entsprechenden psychischen und physischen Konsequenzen, bestätigt der Gründer von „Clever Kanner“, Olivier Betz (44). Er hat als Trainer für Selbstbehauptung und Resilienz und Mobbing-Präventionsberater in 30 „Maison relais“ mit 1.900 Kindern Präventionsarbeit geleistet.

Er rät, die Vorfälle unbedingt bei der Polizei anzuzeigen und sich, falls sich nichts ändert, an die Regionaldirektion der Schule zu wenden. Aber: „Ich erlebe viel mehr Eltern, die nichts dagegen tun, als welche, die reagieren“, sagt er. Seine Praxiserfahrung ist, dass die Schulen in den meisten Fällen schlecht oder gar nicht auf das Problem vorbereitet sind. Dem widerspricht das Bildungsministerium, wie aus der Antwort auf die parlamentarische Frage Nr. 2868 vom 20. Oktober 2025 zum Thema Mobbing hervorgeht.

Die Schulen sind gefragt

Alle Schulen hätten eigene Richtlinien und Interventionsstrategien für die Zeit während und nach dem Mobbing, heißt es in der Antwort, die zudem zahlreiche Anlaufstellen und Kampagnen innerhalb des schulischen Systems auflistet, die im Chamber-Bericht teilweise ebenfalls auftauchen.

Nathalie Poos macht die Erfahrung, dass der Besuch beim damaligen SPOS ihr nichts bringt. Melanie Weber macht – bedingt durch die Schulwechsel ihres Sohnes – unterschiedliche Erfahrungen in den jeweiligen Bildungsstätten. Ihr Rat: Die Vorfälle gut dokumentieren, wenn notwendig Strafanzeige stellen und die Schule nicht nur informieren, sondern nach dem Umgang mit Mobbing und Diskriminierung fragen.

Laut HSBC liegt Luxemburg beim Mobbing und Cybermobbing zwar im Mittelfeld der 44 untersuchten Länder. Für Eltern wie die betroffenen Kinder kommt es jedoch – je nach Schwere – einer Katastrophe gleich. Der aktuelle Koalitionsvertrag verspricht ein „Programme national de prévention contre le mobbing“ (PAM), das sowohl Grundschulen als auch „Enseignement secondaire“ umfassen soll. Es wird daran gearbeitet.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert. 

Anlaufstellen

Cepas: www.cepas.public.lu
White Tigers über Facebook und Instagram, Tel: 00352 691392585, Prävention und Begleitung im Alltag
Clever Kanner: Prävention und Sensibilisierung, cleverkanner.lu

I. Meierle
26. November 2025 - 9.37

Papier ist geduldig, alles hört sich gut an, die Realität ist eine andere! Das Schlimme ist auch, dass die Nöte der Kinder heruntergespielt werden. Dass Nathalie P. so offen darüber sprechen kann und das Buch geschrieben hat, wird anderen Mobbingopfern helfen. Paradox - vor ein paar Monaten haben sich die mit Migrationshintergrund über die Behandlung, die ihnen hier angeblich zuteil wird, lauthals beschwert. Das können die Ausgegrenzten nicht!