Dienstag25. November 2025

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„A Comparative Dialogue Act”Das Soundlab von Andrea Mancini & Every Island lädt zum Klangabenteuer im Mudam ein

„A Comparative Dialogue Act” / Das Soundlab von Andrea Mancini & Every Island lädt zum Klangabenteuer im Mudam ein
Eine Installation, die zum Klangabenteuer einlädt: „A Comparative Dialogue Act“ u.a. vom Künstler Andrea Mancini Foto: DelfinoSL Studio

Der Künstler Andrea Mancini und das Kollektiv Every Island ermöglichen dem Publikum mit dem Projekt „A Comparative Dialogue Act“ ein Klangerlebnis der besonderen Art. Ein Besuch durch das Mudam.

Wer die Mona Lisa betrachtet oder sich für die französischen Kronjuwelen aus der Galerie d’Apollon des Louvre in Paris interessiert (ohne diese gleich rauben zu wollen), hat ein mehr oder weniger klares Bild von der Herkunft oder dem historischen Kontext vor Augen. In der zeitgenössischen Kunst ist das mitunter anders: Man steht rätselnd vor einem Exponat, einer medialen Präsentation, einer künstlerischen Aktion. Ein Beispiel hierfür könnte „A Comparative Dialogue Act“ sein, das außergewöhnliche Projekt des italienisch-luxemburgischen Künstlers und Musikers Andrea Mancini (1989). Zusammen mit dem multidisziplinären Designkollektiv Every Island aus Brüssel hat er es für den luxemburgischen Pavillon auf der Biennale von Venedig 2024 konzipiert, wo es nach Auffassung der Kunstkritik zu den Highlights gehörte.

Die Installation

Das Mudam präsentiert dieses multisensorisch erleb- und erfahrbare künstlerische Experiment in seinem Henry J. and Erna D. Leir Pavilion. Vom „Jardin des sculptures“ kommend fällt der Blick auf die silbrig-glänzenden Metallfliesen eines schrägen Übergangs, die im weiteren Verlauf den gesamten Boden des Pavillons bedecken und die Bühne der Installation darstellen. In die Bodenplatten sind Beschreibungen der Konzeption des Projekts abwechselnd mit Phantasieformen eingraviert. Der Raum öffnet sich nun nach beiden Seiten in die Breite, wodurch er zusammen mit der gläsernen Kuppel einen lichten und einladenden Charakter erhält.

Gravuren und Reifenstopper auf dem Boden: Nahaufnahme der Installation
Gravuren und Reifenstopper auf dem Boden: Nahaufnahme der Installation Foto: Delfino SL Studio

Die Wände sind mit Akustikvorhängen im gleichen Farbton wie die Fliesen ausgekleidet; nur wenige farbliche Akzente in Gelb und Rot unterbrechen das Silber und Hellgrau des Raumes. Sie gehören als Reifenstopper zu vier großen freistehenden Glaspanels auf Rädern oder sitzen als Gummikappen auf einem mittig platzierten Mikrofonstativ. Auf den Glaspanels sind Resonanzlautsprecher angebracht, die das Glas als Schallfläche nutzen und seine Oberfläche zum Schwingen bringen können. In die Architektur des Pavillons, der insgesamt eine kühle Ästhetik ausstrahlt, ist außerdem ein transformierbares Musikstudio integriert. Andrea Mancini und Every Island haben hier einen Produktions- und Experimentierraum für die Übertragung von Klang geschaffen, in dem die Eigenschaften unterschiedlicher Materialien in Bezug auf ihre Klangqualitäten sowie die Beziehung zwischen Raum, Klang und Identität erforscht werden sollen.

Die Soundbibliothek

Das transformative Potenzial von Klang wird längst nicht nur in der Musikwissenschaft untersucht, sondern neben der Medizin und Psychologie auch in neueren Forschungszweigen wie der Ökoakustik. Im menschlichen Organismus können Klänge tiefgreifende Veränderungen auf der physiologischen, emotionalen und psychologischen Ebene hervorrufen. Klang kann aber auch auf einer gesellschaftlichen Ebene neue Diskurs- und Erfahrungsräume eröffnen und als Medium für Kommunikation über komplexe Themen genutzt werden. Mit künstlerischen Mitteln will „A Comparative Dialogue Act“ gerade dieses Potenzial experimentell erkunden und lädt internationale Künstler:innen ein, sich mit ihren Ideen, Themen und Perspektiven einzubringen: Inwieweit kann Klang Beziehungen, Gemeinschaft und Verständnis fördern? Wie können kreative Aushandlungsprozesse, Interventionen oder der Austausch von Wissen und Erfahrungen durch das Medium Klang gestaltet werden? Dies sind einige der Fragen, die die Teilnehmenden an diesem Prozess je nach kulturellem Hintergrund und künstlerischer Präferenz beantworten und in Klangproduktionen und Performances praktisch umsetzen.

Arbeitsgrundlage für jede:n neu hinzukommende:n Künstler:in ist eine Klangbibliothek, die 2024 in Venedig angelegt wurde. Dieses Archiv enthält inzwischen eine breite Palette klanglicher Fragmente von aufgezeichneten früheren Aufführungen, Soundeffekten, gesprochenem Wort und melodische Sequenzen, aber auch Aufzeichnungen von außerhalb eines Tonstudios gewonnenen Klängen. Während der eigenen Präsenz im Soundlab kann jede:r darauf zugreifen, dort hinterlegte Ton- oder Klangdokumente verändern oder variieren und neue Sounds kreieren. Dafür wird häufig eine sogenannte Patching-Technik genutzt, bei der mehrere Soundschichten übereinandergelegt werden. Das Ergebnis dieses Schaffensaktes wird ebenfalls in der Bibliothek archiviert. Durch die Kombination von Live- und Archivelementen wird der dialogische Prozess fortgeführt, der vom sich ständig verändernden Austausch zwischen den bisherigen und neu hinzukommenden Künstler:innen lebt.

Die Performances

Konzipiert als kollektives Kunstwerk, stellt „A Comparative Dialogue Act“ die Vorstellung von der individuellen künstlerischen Autor:innenschaft infrage und setzt voraus, dass die Beteiligten ihr Ego zugunsten einer intensiven Untersuchung der gemeinsamen Kreativität durch das Medium des Klangs zurückstellen. Der dynamische und offene Charakter der Klanginfrastruktur bietet dennoch großen Freiraum für eine spannende Entdeckungsreise. Für die Präsentation im Mudam sind vier neu eingeladene Künstler:innen während kurzer Residenzen nacheinander am Werk und überarbeiten bzw. erweitern die Bibliothek. Sie alle haben international Erfahrungen gesammelt und ihre Musik oder Performances in verschiedenen Kontexten präsentiert. Sie werden von Andrea Mancini und Every Island moderiert und produzieren, experimentieren und performen neue Stücke, die auch zwischen den Live-Aufführungen im Wechsel mit früheren Bibliotheksfragmenten zu hören sind.

In Luxemburg zu Gast für das Projekt: bela
In Luxemburg zu Gast für das Projekt: bela Foto: Camille Blake

Als erste Gastkünstler:in startete die karelisch-luxemburgische Musiker:in Maria Rossi, die zu den markantesten neuen Stimmen der europäischen Underground-Musikszene gehört. In ihrem Soloprojekt „Cucina Povera“ setzt sie ihre helle Singstimme dezent und melodiös zu bisweilen harten oder in Endlosschleife sich wiederholenden elektronischen Beats ein, mit einer Wirkung, der man sich schwer entziehen kann. bela, ursprünglich aus Südkorea, heute in Berlin und Prag lebend, ist Musiker:in, Performancekünstler:in und DJ und arbeitet sowohl solistisch als auch mit anderen bekannten Künstler:innen zusammen. Die Performance von bela ist eine Mischung aus elektronischer Musik, koreanischem Folk und gutturalem Gesang, beeinflusst von Extreme Metal. Hintergrund der expressiven Ausdrucksformen wie Wut, tiefe Trauer oder Trauma sind Themen wie Exklusion, mangelnde Akzeptanz oder gesellschaftliche Realitäten. Katarina Gryvul stammt aus der Ukraine und lebt in Krakau. Sie ist eine klassisch ausgebildete Komponistin, Geigerin, Musikerin, Musikproduzentin und -pädagogin. Ihr Schwerpunkt liegt auf elektronischer Musik und der Produktion von Geräuschkulissen mit verschiedenen Instrumenten, Stimme, analogen Synthesizern und Spatial Audio, einem Wiedergabeverfahren, das sich speziell darauf konzentriert, Klangquellen im dreidimensionalen Raum zu platzieren. Thomas Lea Clarke wurde in Luxemburg geboren, lebt in Berlin, ist Klangkünstler und Elektroniker. Er interessiert sich für Klang als skulpturales, räumliches Material: Wie verhält sich Klang im Raum, wie bewegt er sich, wie wird er von den Wänden reflektiert, wie wirkt seine räumliche Verteilung auf die Wahrnehmung? Während seiner Residenz wird er insbesondere den Einfluss von Klangschleifen und -überlagerungen auf die Wahrnehmung von Dauer und Ort untersuchen. Besucher:innen erwartet eine außergewöhnliche Klanglandschaft mit überraschenden Klangerlebnissen, die auch noch eine Zeitlang nachwirken.

Die Gastauftritte im Überblick

Katarina Gryvul
Produktionsphase: 11.-12. Dezember 2025, ganztägig
Performances: 13.-14. Dezember 2025, 16:30 Uhr

Thomas Lea Clarke
Produktionsphase: 15.-16. Januar 2026, ganztägig
Performances: 17.-18. Januar 2026, 16:30 Uhr

Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Februar 2026 geöffnet.