24. November 2025 - 6.56 Uhr
ÖsterreichDreier-Koalition lässt keine Gelegenheit zur Stärkung der Rechtspopulisten aus
Seit ÖVP, SPÖ und liberale NEOS vor acht Monaten gestartet sind, wird den Österreichern den Ernst der davor beschönigten Lage schonungslos vor Augen geführt. Das von der schwarz-grünen Vorgängerregierung hinterlassene Budgetdesaster erfordert einen schmerzhaften Sparkurs, der selbst starke Lobbys nicht verschont. Die Beamten bekamen für 2026 die Abgeltung der Inflation nur gegen eine Vereinbarung niedriger Gehaltsabschlüsse für die beiden darauffolgenden Jahre. Höhere Pensionen steigen nicht im Ausmaß der Teuerung. Die mächtige Metallergewerkschaft schluckte angesichts der tristen Konjunktur ein Lohnplus von 1,9 Prozent bei einer auf vier Prozent verharrenden Inflation.
Alle müssen sparen! Wirklich alle? In der Wirtschaftskammer (WKO) hatten Dienstgeber und Beschäftigte still und leise ein sattes Gehaltsplus von 4,2 Prozent vereinbart. Ausgerechnet die vom ÖVP-Wirtschaftsbund dominierte Arbeitgebervertretung, welche Hiobsbotschaften von der Konjunkturfront erfolgreich zur Zähmung der Gewerkschaften nützt, hält offenbar nichts vom Sparen bei sich selbst. Als WKO-Präsident Harald Mahrer nach lauten Protesten auch aus der Unternehmerschaft zurückruderte, war es schon zu spät. Denn nun kam auch noch heraus, dass sich die Kammergranden im Sommer ebenfalls in aller Verschwiegenheit Gehaltserhöhungen von bis zu 50 Prozent gegönnt haben. Mahrer hat inzwischen seinen Rücktritt angekündigt, auch als Chef des Wirtschaftsbundes.
Wasser predigen …
Der Fall Mahrer ist auch eine Causa ÖVP. Und es ist nicht der einzige Widerspruch zwischen hehren Worten und realen Taten. Auch ihren alten Parteislogan „Leistung muss sich lohnen“ hat die ÖVP ab absurdum geführt. Fraktionschef August Wöginger hatte mit einer Intervention im Finanzministerium einem befreundeten Bürgermeister den Chefposten in einem regionalen Finanzamt zugeschanzt und damit die bestqualifizierte Mitbewerberin rausgekickt. Die Frau klagte. Wöginger entging einer Verurteilung wegen Bestimmung zum Amtsmissbrauch nur mit einer 44.000 Euro Geldbuße kostenden Diversion, die zwar keine Verurteilung, aber auch keinen Freispruch bedeutet. Ausgestanden ist die Sache noch nicht, weil die Korruptionsstaatsanwaltschaft berufen hat. An Rücktritt denkt der mächtige ÖVP-Promi dennoch nicht.
Wassermassen auf FPÖ-Mühlen leitet auch die SPÖ. Während sich Vizekanzler Andreas Babler als Kämpfer für die kleinen Leute inszeniert, flog der Babler-Gegner Georg Dornauer gerade aus der Partei, weil er im Tiroler Landtag beantragt hatte, die Milliardengewinne des landeseigenen Energiekonzerns TIWAG für eine Senkung der Strompreise zu nutzen. Anstatt Dornauer zu unterstützen, wertete die SPÖ den Antrag als Bruch der Koalitionsvereinbarung mit der ÖVP und schloss den Babler-Kritiker aus. In den Ländern wollen weder Rot noch Schwarz auf den aus hohen Energiepreisen resultierenden Geldregen für die Landesbudgets verzichten.
Ausgeflippt
Die ungebremste Teuerung bleibt anders als in weniger inflationären Gegenden Europas das Topthema. Umso mehr überraschen die Einfälle der nicht gerade unterbesetzten PR-Abteilung des SPÖ-Chefs. Diese Woche ging auf Instagram ein Foto viral, das Babler in seinem Büro an einem Flipperautomaten zeigt. Es war nicht das Werk eines heimtückischen Paparazzo. Vielmehr hatten die roten Kommunikationsprofis geglaubt, den Chef mal ganz locker präsentieren zu müssen. Den Vizekanzler mit 6.000 Euro teurem Spielzeug im Büro empfanden jedoch selbst wohlmeinende Genossen nicht als angemessene Illustration harter Regierungsarbeit.
Es war nicht das erste Bild, das dem in der Partei zunehmend Umstrittenen Spott und Hohn eintrug. Im September hatte das Foto vom dandymäßig an einer New Yorker Straßenlaterne lehnenden Vizekanzler Fragen nach dem Sinn des Kurztrips auf Staatskosten provoziert. Als für Kultur zuständiges Regierungsmitglied hatte Babler den Nachfahren des Wiener Komponisten Walter Benedikt von den Nazis geraubte Notenblätter persönlich restituiert. Eine ihre Sparparolen ernst nehmende Regierung hätte das den etwa zur gleichen Zeit zur UNO-Vollversammlung geflogenen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen erledigen lassen. Das politische Gewicht des Restitutionsaktes wäre sogar noch größer gewesen.
FPÖ steigt und steigt …
Als Babler dann auch noch zu Monatsbeginn beim Treffen der Kultur- und Medienminister in Dänemark ein Doorstep-Statement in gebrochenstem Englisch abgab, fragten sich Freund und Feind, ob dieser Parteichef ohne abgeschlossene Ausbildung wirklich der richtige Mann für diesen Job ist.
Keinerlei Sprachtalent nachzuweisen braucht dagegen Herbert Kickl. Der FPÖ-Chef meldet sich nur selten zu Wort. Für ihn genügt es, Regierungsperformance und Konjunkturtristesse auf die Stimmung wirken zu lassen. Österreich wird immer mehr zum Schlaraffenland für die von einem Umfragerekord zum nächsten eilende FPÖ. In der jüngsten Erhebung der Lazarsfeld-Gesellschaft liegen die Rechtspopulisten schon bei 37 Prozent, acht Punkte über ihrem Ergebnis bei der Nationalratswahl vor einem Jahr. ÖVP (20 Prozent), SPÖ (18) und NEOS (8) stehen ohne gemeinsam Mehrheit da. Besserung ist nicht in Sicht. Die EU-Kommission prognostiziert Österreich 2026 lediglich 0,9 Prozent BIP-Zuwachs – viel zu wenig für eine Entspannung an der Budgetfront. Nur Italien und Irland schwächeln noch mehr.
Kurz und Kern?
Während die liberalen NEOS mangels Durchsetzungskraft ihren Ruf als Reformmotor verspielen, ist bei Sozial- wie Christdemokraten die Führungsdebatte eröffnet. Vorerst nur hinter vorgehaltener Hand werden der nach einer Rückenoperation seit drei Wochen nur gelegentlich aus dem Homeoffice in Erscheinung tretende Kanzler Stocker und sein überforderter Vize von den eigenen Leuten infrage gestellt. Bei der ÖVP führt das unweigerlich zur Frage nach einem Comeback von Ex-Kanzler Sebastian Kurz. Nur ihm traut man zu, Kickl in einer vorgezogenen Neuwahl das Wasser reichen zu können.
Auch die SPÖ hat offenbar keine neuen Hoffnungsträger in petto: Dort werden dem 2018 aus der Politik geschiedenen Ex-Kanzler Christian Kern die besten Chancen gegen Kickl und Kurz zugeschrieben. Kurz wie Kern sind erfolgreich in der viel lukrativeren Privatwirtschaft unterwegs, dementieren jegliche Comebackgelüste. Das ist nachvollziehbar. Denn je länger die Krise andauert, desto mehr wirken die einst staatstragenden Parteien als aus der Zeit gefallen – unfähig zur seit Jahrzehnten überfälligen Staatsreform an Haupt und Gliedern. Das riecht nach Sisyphusarbeit. Auch Kickl ist kein Reformwunderwuzzi, sondern ein die Rückkehr zum neutralen Insel-der-Seligen-Dasein vorgaukelnder Nostalgiker – und gerade deshalb immer mehr Österreichern einen Versuch wert. Die FPÖ träumt davon, gemeinsam mit AfD, Rassemblement national und Viktor Orban Europa mit Jericho-Trompeten den Marsch zu blasen.
Haben die Regierenden begriffen, dass diese Perspektive immer mehr an Wahrscheinlichkeit gewinnt?
De Maart
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