23. November 2025 - 18.56 Uhr
BommeleeërDie Vertuschungsaffäre: Die erste Woche im Prozess um Falschaussagen – ein Fazit
Details fallen in der Regel nicht auf. So auch am vierten Tag des Gerichtsverfahrens wegen falscher Aussagen im Bommeleeër-Prozess der Ermittler, der sich mit dem Fall des früheren „Sûreté“-Leiters Armand Schockweiler befasste und kurz den früheren Gendarmerie-Chef Aloyse Harpes erwähnte. Dieser habe versucht, zu vermeiden, dass aus der Anschlagserie Mitte der 80er Jahre eine erneute „Joerhonnertaffär“ werden sollte. Demnach wäre es aus der Sicht der Ordnungshüter das wohl schlechteste nur denkbare Ermittlungsergebnis gewesen, wenn herausgefunden worden wäre, dass jemand aus dem Apparat selbst hinter den Anschlägen stünde.
Die Polizei ist dem allen nicht mehr gewachsen
Dabei sei daran erinnert, dass die „Joerhonnertaffär“ einen Skandal wenige Jahre zuvor bezeichnet, in dem es um Drogen- und Waffenhandel sowie um Korruption und Zuhälterei ging. Verhaftet wurde ein hochrangiger Polizeibeamter. Erst 15 Jahre später wurde er freigesprochen. Vor dem Hintergrund der vor allem wegen der als bedrückend erfahrenen „bleiern“ genannten Jahre. Der Begriff bezieht sich vor allem in Deutschland und Italien auf die Interaktion von Terrorismus, Staat und Gesellschaft.

In Luxemburg trieb derweil die Waldbilliger Bande ihr Unwesen, während in Belgien die „Tueurs du Brabant“ eine besonders blutige Spur des Verbrechens zurückließen. Das deutsche Magazin Der Spiegel schrieb Mitte der 80er von einer „Welle der organisierten Kriminalität“ im Großherzogtum und zitierte den Kriminologen Armand Mergen: „Wir haben hier neuerdings Klein-Chicago, und die Polizei ist dem allen nicht mehr gewachsen.“ Die Zahl der Morde und Mordversuche sei um fast 45 Prozent gestiegen, die von Totschlag und Totschlagversuchen habe sich in einem Jahr verdreifacht. So wenig aussagekräftig diese Statistiken auch waren – die Sicherheitskräfte standen unter erhöhtem Druck.
Als relativ früh der Verdacht aufkam, jemand aus dem Sicherheitsapparat könne in die terroristische Anschlagserie verwickelt sein, galt die sogenannte Insider-Spur als heißeste. Zum Hauptverdächtigen wurde das frühere Gendarmerie-Mitglied Ben Geiben. Der „Super-Flic“ hatte die Brigade Mobile der Gendarmerie (BMG) aufgebaut und geleitet, bevor er aus der Eliteeinheit ausschied und in den privaten Sicherheitssektor wechselte. Gendarmerie-Chef Harpes sagte selbst noch im Juli 2017 gegenüber den Ermittlern, wen er für die Täter hielt: „De Geiben an dann de Steil (…) dat war jo Een, an dann déi Zwee, de Jos an de Marc.“ Gemeint war also neben Geiben sein früherer Stellvertreter bei der BMG, Jos Steil – und die beiden Angeklagten des Bommeleeër-Prozesses, Marc Scheer und Jos Wilmes. „Jo, déi hunn him jo missen hannendru lafen.“
Die beiden Letztgenannten treten im aktuellen Prozess als Nebenkläger auf. Während sich die Angeklagten Guillaume Büchler (ohne Anwalt), Aloyse Harpes (am ersten Tag, zusammen mit seinem Sohn als Verteidiger), Pierre Reuland, Armand Schockweiler, Guy Stebens und Marcel Weydert* zusammen mit ihren Verteidigern in den vorderen Reihen des großen Sitzungssaals niedergelassen haben, sitzen ihnen Scheer und Wilmes mit ihren beiden Verteidigern Maximilien Lehnen und Thierry Hirsch im Nacken. Das zur Konstellation, aus der Lehnen und Hirsch während der vier ersten Verhandlungstage mehrmals in die Offensive gegangen sind. Zum Beispiel, als sie auf Schadensersatz in der Höhe von jeweils einer halben Million Euro für ihre Mandanten klagten. Oder als sie die Vorladung von drei weiteren Zeugen beantragen – einer davon ist Ben Geiben.
Wer profitierte von den Attentaten?
Unzählige Male in den Dokumenten um die Bommeleeër-Affäre genannt, etliche Jahre lang als Hauptverdächtiger geltend, als Zeuge des Mammutprozesses angehört – eine Anklage gegen Geiben gab es jedoch nie. Vor nicht allzu langer Zeit tauchte er noch in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft auf. Was im März 2022 eine mögliche Wende in der Affäre bedeutete, nachdem der zuständige Untersuchungsrichter Ernest Nilles im Juli 2019 von einer Anklage gegen ihn abgesehen hatte. War Geiben also doch für die Anschläge verantwortlich und Steil damals sein Komplize, wie es in einem Bericht vom Oktober 1985 hieß?
Auf die Frage nach Geibens Motiv antwortete Harpes, wie aus dem Ermittlungsbericht vom Juli 2017 hervorgeht, dass dies mit Geibens Ausschluss aus der Gendarmerie wegen seiner Homosexualität zu tun habe. Harpes sagte, dass es einen Deal mit Geiben gegeben habe: „dass Geiben aus der Gendarmerie austreten und das Land verlassen musste, um im Gegenzug einer Anklage wegen Kindesmissbrauchs zu entgehen, dies wegen seiner Beziehung zu seinem damals noch minderjährigen, ebenfalls homosexuellen Freund“.
Doch wer profitierte noch von den Attentaten? Cui bono? Nach der Aussage des früheren Richters Prosper Klein wohl die damalige Gendarmerie-Führung, die an Macht gewann. Mit den Anschlägen hätten Reformen und ein höheres Budget für die Sicherheitskräfte erzwungen werden. Nach ihnen wurde vor allem abgewiegelt und vertuscht. Die genannte Insiderspur wurde mit dem Ender der Observation des Verdächtigen Geiben fallen gelassen, ebenso wie die „piste militariste“, also die Spur zur Armee; dieser selbst ging ins Ausland und lebt heute in Frankreich, seine frühere rechte Hand Steil starb 2004 infolge einer Krebserkrankung. Die an mehreren der 177 Verhandlungstage vom Februar 2013 bis Juli 2014 behandelte Spur des „Stay behind“-Netzwerks wurde erst verfolgt, als vor gut 20 Jahren Journalisten die Affäre neu aufrollten. Und Scheer und Wilmes mussten auf die Anklagebank. Dass eine Reihe von Zeugen – die heute Angeklagten – bei ihren Aussagen gelogen haben soll, dass sich die Balken bogen, wird ihnen heute vorgeworfen.
Doch noch eine „Joerhonnertaffär“
Was Aloyse Harpes also einst verhindern wollte, eine neue „Joerhonnertaffär“, ist das, was die Bombenattentate vor vier Jahrzehnten nach sich gezogen haben, längst geworden. Die Anschläge selbst waren Verbrechen, die weniger harmlos hätten ausgehen können. Sie hätten Menschenleben kosten können. Dass sie bis heute nicht aufgeklärt sind, ist der eigentliche Skandal. Die Ermittler von einst, unter dem damaligen „Sûreté“-Chef Armand Schockweiler, verschlampten reihenweise Beweismittel. Derweil wurde vertuscht, was zu vertuschen war. Jahre gingen ins Land, und wertvolle Zeit verstrich. Die Ermittlungen gerieten zur Farce. Aus der Bommeleeër-Affäre wurde eine Vertuschungsaffäre. Als zu Beginn des Jahrhunderts eine neue Generation von Ermittlern sich die Anschlagserie vorknöpfte und zwei RTL-Journalisten tief in der angestaubten Geschichte aus dem Kalten Krieg wühlten, die beinahe ein Cold Case geworden war, kam wieder Bewegung in die eingeschlafene Geschichte. Auf einmal war Pandoras Büchse geöffnet, darin verbarg sich ein Labyrinth weiterer Pisten wie „Stay Behind“ oder die SREL-Affäre.

Damals war bekanntlich schon einiges am Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen angekratzt worden. Dass es fast drei Jahrzehnte dauerte, bis die Affäre 2013/14 vor Gericht kam, ist nicht nur aus heutiger Sicht ebenfalls ein Skandal, sondern auch, dass der Prozess seit nunmehr weiteren elf Jahren auf Eis liegt und die beiden Angeklagten Scheer und Wilmes noch immer unter dem Schwert von Justitia in Ungewissheit schmoren müssen. Von ausgleichender Gerechtigkeit kann schon gar keine Rede sein. Warum es denn nicht möglich ist, dass die vermutlich meistgenannte Person der Bommeleeër-Affäre zumindest wieder als Zeuge vor Gericht erscheint? „Geiben, Geiben, Geiben“, rief Harpes‘ Sohn und Verteidiger, als hätte man den Leibhaftigen genannt. Das Gericht lehnte das Ansinnen, den Genannten in den Zeugenstand zu rufen, in Windeseile ab. Schließlich ist es nicht der Bommeleeër-Prozess.
*Paul Haan kann wegen seiner Demenzerkrankung nicht mehr an dem Prozess teilnehmen, Charles Bourg und Lucien Linden sind mittlerweile verstorben.
De Maart

Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können