Dienstag18. November 2025

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Analyse von außenWie man den Fortschritt im Klimaschutz misst

Analyse von außen / Wie man den Fortschritt im Klimaschutz misst
Protest während der COP30: Die Vorteile einer Abkehr von fossilen Brennstoffen übersteigen die Kosten bei weitem, so der Autor Foto: Andre Penner/AP/dpa

Versuchen Sie sich in die Lage von Bill Gates zu versetzen. Sie könnten Ihre Tage mit den Dingen verbringen, die Sie zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht haben, und gleichzeitig Ihren Reichtum zum Wohle der Allgemeinheit einsetzen. Es wäre Ihnen möglich, in gewinnorientierte Unternehmen zu investieren, die beispielsweise bahnbrechende Innovationen im Bereich sauberer Energien vorantreiben, oder sich für einen Politikwechsel einzusetzen. Und zu Ihrem 70. Geburtstag würden Sie einen Aufsatz veröffentlichen, der in kürzester Zeit weltweit für Schlagzeilen sorgt.

All das hat Gates getan. Sein Essay „Three Tough Truths About Climate“ (Drei unbequeme Wahrheiten über das Klima) hat am Vorabend der diesjährigen Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP30) in der brasilianischen Stadt Belém eine Schockwelle durch die Klimabewegung geschickt. Allerdings ist der Essay ist weniger eine Blaupause als ein Rorschach-Test, denn aus den 5.000 Wörtern kann jeder und jede selektiv zitieren, um eine Vielzahl von Standpunkten zu untermauern.

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Von den fünf registrierten Wirbelstürmen, die so heftig waren, dass sie die vorgeschlagene Einstufung als „Kategorie 6“ rechtfertigen, ereigneten sich alle in den letzten 15 Jahren

Wie zahlreiche derartige Papiere beginnt auch dieses mit einem Strohmann-Argument. In einer Vorgehensweise, die eher für das Breakthrough Institute typisch ist – eine in Kalifornien ansässige Gruppe, die auf der Prämisse gegründet wurde, dass Umweltschutz der Klimarettung schadet – weist Gates das „Weltuntergangs“-Argument zurück, wonach „nichts wichtiger ist als die Begrenzung des Temperaturanstiegs“. Tatsächlich ist nur wenig wichtiger, aber Gates entschied sich für das viel stärkere Wort „nichts“.

Weiter argumentiert er, dass der Klimawandel zwar ein „ernstes“ Problem sei, aber „nicht das Ende der Zivilisation bedeuten wird“. Allerdings gefährden bereits jetzt extrem heftige Wirbelstürme und andere klimabedingte Katastrophen Leben und Lebensgrundlagen. Von den fünf registrierten Wirbelstürmen, die so heftig waren, dass sie die vorgeschlagene Einstufung als „Kategorie 6“ rechtfertigen, ereigneten sich alle in den letzten 15 Jahren.

Darüber hinaus haben wir es nicht nur mit massiven, schlagzeilenträchtigen Extremereignissen und globalen Kipppunkten (irreversiblen planetarischen Veränderungen) zu tun, sondern auch mit tückischen, oft versteckten „langsam schwelenden“ Auswirkungen, wie beispielsweise den 0,04-prozentigen Verlust der jährlichen Lohnsumme für jeden zusätzlichen Tag mit Temperaturen über 32 Grad in jedem Jahr. Solche Kosten summieren sich schnell. Die Aussage, wir könnten mit einer durchschnittlichen globalen Erwärmung von unter 3 Grad noch leben, ist wenig beruhigend, insbesondere für die Armen und Schwachen, die bereits jetzt am meisten darunter leiden.

Der Klimawandel kostet Menschenleben

Gates’ Argumentation über diese sozioökonomische Dimension ist nachvollziehbar. Die von ihm präsentierte zweite und dritte unbequeme Wahrheit konzentrieren sich auf menschliches Leid und Wohlstand, und dies sind in der Tat die Kriterien, an denen der Fortschritt im Klimaschutz gemessen werden sollte. Die jährlichen Treibhausgasemissionen, ihre Konzentration in der Atmosphäre, die daraus resultierende Erwärmung und Auswirkungen wie steigende Meeresspiegel und verheerendere Unwetter sind letztlich allesamt Messgrößen, die für beeinträchtigte oder sogar vorzeitig beendete Menschenleben stehen.

Der Klimawandel kostet Menschenleben. Die Wirtschaftswissenschaft kann mittlerweile die Mortalitätskosten von Kohlenstoff berechnen. Jede heute ausgestoßene Tonne CO2 tötet etwa 0,0002 Menschen. Auch diese Kosten können sich schnell summieren. Die Lebenszeit-Emissionen von 3,5 Amerikanerinnen und Amerikanern von heute verursachen den Tod eines Menschen bis zum Ende des Jahrhunderts.

Freilich sterben viele Menschen bereits aus anderen vermeidbaren Gründen. Gates selbst hat die Regierung von US-Präsident Donald Trump kritisiert, weil sie Hilfsgelder auf eine Weise gekürzt hat, die Kinder in einigen der ärmsten Regionen der Welt das Leben kosten wird. In dem Bestreben, einen Teil des Fehlbetrags mit seiner Stiftung und seinem persönlichen Vermögen auszugleichen, hat Gates seine Spenden für Programme und Investitionen im Bereich Klimaschutz sowohl in den USA als auch weltweit zurückgefahren.

Es besteht kein Zweifel, dass nur eine begrenzte Menge an Geldern für philanthropische Zwecke zur Verfügung steht. Doch Klimafinanzierung geht weit über Wohltätigkeit hinaus, wie Gates mit seinem Vorgehen selbst zeigt. Die von ihm zur Verfügung gestellten Gesamtmittel für öffentliche Gesundheit und Klimaschutz sind im Laufe der Zeit gestiegen. Die „Mittel“ umfassen in diesem Fall auch die Unterstützung von Breakthrough Energy (steht in keinerlei Verbindung zum Institut). Diese Organisation hat in mehr als 150 Unternehmen investiert, die Hilfe bei der Skalierung von Klimatechnologien durch Senkung der „Green Premium“ benötigen (die zusätzlichen Kosten kohlenstoffarmer Technologien im Vergleich zu kohlenstoffintensiven Technologien, die nichts für die von ihnen verursachten negativen externen Effekte bezahlen).

CO2-arme Technologien in Richtung Rentabilität

Für viele Start-ups in der Frühphase, die die Lernkurve noch nicht erklommen haben und noch nicht von Skaleneffekten profitieren, ist eine Senkung dieses Aufschlags notwendig. Glücklicherweise gibt es eine Vielzahl anderer Klimatechnologien, die bereits rentabel sind. Das rasante Wachstum im Bereich Solarenergie in den letzten fünf Jahren ist das Ergebnis wirtschaftlicher Faktoren und nicht von Wohltätigkeit. Gleiches gilt für Batteriepreise, die seit 2010 um etwa 50 Prozent gesunken sind.

Während andere CO2-arme Technologien nach wie vor eine Green Premium aufweisen, bewegen sich die meisten in Richtung Rentabilität. Dennoch gilt es kreativ zu werden, um sie bei der Erreichung dieses Ziel zu unterstützen. Diversifikation in der Produktion hilft dabei. Ein Unternehmen, das sich auf ein einziges Produkt konzentriert, zieht gegenüber etablierten Unternehmen möglicherweise den Kürzeren, aber wenn man die Green Premium auf zwei oder mehr Produkte verteilt, lassen sich die Kosten erheblich senken. Das von Gates finanzierte Unternehmen Brimstone beispielsweise konzentriert sich sowohl auf die Herstellung von kohlenstoffärmerem Zement als auch darauf, mit dem im Produktionsprozess gewonnenen Aluminiumoxid Geld zu verdienen. Eine ähnliche Strategie verfolgt Sublime, ein konkurrierendes Zement-Startup. (Ich habe kürzlich gemeinsam mit dem CEO von Brimstone, Cody Finke, und einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen, darunter ein Mitarbeiter eines anderen von Gates finanzierten Unternehmens, eine Studie zu genau diesem Thema verfasst.)

Geduld und langfristige Investitionssicherheit

Ebenfalls hilfreich ist Geduld. Als der kanadische Premierminister Mark Carney noch Gouverneur der Bank of England war, beschrieb er das Klima treffend als „Tragödie des Horizonts“. Zu viele Unternehmen fühlen sich gezwungen, sich auf kurzfristige Gewinne zu fokussieren, genauso wie führende Politikerinnen und Politiker nicht über Wahlzyklen hinausdenken können. Aber einige von Gates’ Klimainvestitionen, wie jene in TerraPower, das Atomenergie-Unternehmen der nächsten Generation, und insbesondere seine Investitionen in Commonwealth Fusion, sind bewusst so strukturiert, dass sie erst in Jahren oder sogar Jahrzehnten Renditen abwerfen.

Auch unterstützende Maßnahmen helfen, wie beispielsweise die ausdrücklichen CO2-Preise sowie die Dekarbonisierungsziele in der Europäischen Union oder die Subventionen, die in den Vereinigten Staaten eine größere Rolle spielen. In jedem Fall ist es entscheidend, langfristige Investitionssicherheit zu bieten. In dieser Hinsicht ist Gates’ Essay besonders schwach. Gates erkennt zwar die Bedeutung der Politik uneingeschränkt an, schafft aber für Leute wie Trump gleichzeitig eine Möglichkeit, ihre persönlichen, kurzfristigen Gewinne in den Vordergrund stellen.

Eines ist jedoch gewiss: Die Vorteile einer Abkehr von fossilen Brennstoffen übersteigen die Kosten bei weitem. Dessen ist sich Gates bewusst. Bei sauberer Energie geht es um Souveränität, Energiesicherheit, Gerechtigkeit und, ja, auch um zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Die Abhängigkeit von Öl, Kohle und Gas zu beenden und Technologien zu nutzen, die mit der Zeit immer besser und billiger werden, ist nicht nur kluge Klimapolitik, sondern auch der beste Weg, um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und den Wohlstand der Menschen in den kommenden Jahrzehnten zu verbessern.

* Gernot Wagner ist Klimaökonom an der Columbia Business School.

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

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