Lou sitzt auf der Couch, der Finger streicht gedankenverloren über den Handybildschirm. Selfies von der Neueröffnung des #Cactuslalleng. Make-up-Tutorials. Dazwischen Menschen in zu engen Sporthosen. Lou ist zehn – und ihr Scroll-Fieber keine Ausnahme. Was als harmloser Zeitvertreib beginnt, kann fatale Folgen haben. Davor warnt der „Ombudsman fir Kanner a Jugendlecher“ (Okaju) in seinem Jahresbericht 2025, den Präsident Charel Schmit gestern der Abgeordnetenkammer vorstellte. Politische Gegenmaßnahmen sind ein Anfang, ein Kurswechsel müsste das eigentliche Ziel sein.
90 Prozent der Zwölfjährigen in Luxemburg besitzen ein Smartphone, das erste gibt es meist mit zehn (Quelle: „Service national de la jeunesse“). Die drei beliebtesten Plattformen der 12- bis 16-Jährigen: YouTube, WhatsApp und Snapchat, so der „Bee Secure Radar 2025“. Der frühe Internetzugriff hat seinen Preis. Laut dem Global Mind Project der Forschungsorganisation Sapien Labs – zitiert im Okaju-Bericht – steigt das Risiko für mentale Erkrankungen im Erwachsenenalter, wenn Kinder vor dem 13. Geburtstag ein Smartphone erhalten. Aggressivität, Gleichgültigkeit, Suizidgedanken – ausgelöst durch Social Media, Cybermobbing und Schlafmangel. Bei manchen treten die Symptome früher ein. Das offenbaren Medienberichte, nach denen junge Menschen Straftaten ins Netz stellen, sich gegenseitig bis in den Suizid mobben oder Pädokriminellen zum Opfer fallen.
Die Probleme sind bekannt, die Warnungen alt. Radikale Schritte blieben bisher aus. Im Ausland kommt jetzt Bewegung ins Dossier: Das dänische Parlament plant ein Social-Media-Verbot für alle unter 15. Der Okaju geht weiter und fordert: kein Gerät mit unkontrolliertem Internetzugang bis zum 15. Lebensjahr. Ferner lobt er europäische Richtlinien zum Kinder- und Jugendschutz im Netz. Mutige Vorhaben, die allerdings an Hypokrisie grenzen. Sie greifen nur, wenn die Gesamtgesellschaft Verantwortung übernimmt und den Tech-Giganten die Stirn bietet. Und davon ist sie weit entfernt.
Der Anteil aktiver Social-Media-Nutzender liegt weltweit bei über 60 Prozent (Quelle: Statista). Kaum ein Unternehmen kommt ohne Social-Media-Präsenz aus. Wer nicht fließend Instagram und TikTok spricht, verliert teils den Anschluss. Große Content Creators verdienen mit Klicks ihren Lebensunterhalt. Die Sucht nach Likes und Inhalten wächst, ist aber (noch) keine anerkannte Krankheit.
Social Media und Smartphones sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Statt Zuckerberg & Co. Grenzen zu setzen, toben hetzerische Debatten über altersgerechte Kinderlesungen von Drag Queens und Jugendbücher – ironischerweise auf denselben Plattformen, die Kinder gefährden. Der Umgangston ist rau. Die Hemmschwellen niedrig. Das neueste Handy? Ein Statussymbol. Die Erwachsenen gehen mit schlechtem Beispiel voran.
Die Kampagne „Nobody is perfect“ von BeeSecure dekonstruiert seit kurzem makellose Social-Media-Profile. Das Ministerium für Gleichstellung und Diversität sowie respect.lu sagen mit „Zivilcourage im Netz“ unter anderem Online-Hass den Kampf an. Beide Initiativen richten sich primär an eine junge Zielgruppe, kommen jedoch allen zugute. Immerhin. Aber das reicht nicht. Neben dem Vorantreiben politischer Entscheidungen muss sich die Gesellschaft dringend einer Grundsatzdebatte stellen: Wie viel Macht wollen wir Social Media und Internetplattformen weiterhin geben?
Hilfsangebote für Betroffene oder Zeug*innen bieten u.a. die Bee-Secure-Helpline (bee-secure.lu/Tel: 8002 1234), Kanner- a Jugendtelefon (kjt.lu/Tel.: 116111) oder SOS Détresse (454545.lu/Tel: 454545).
De Maart

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