Dienstag11. November 2025

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DeutschlandFast zwei Jahre nach der Gründung: Vom Höhenflug und jähen Absturz der Sahra Wagenknecht

Deutschland / Fast zwei Jahre nach der Gründung: Vom Höhenflug und jähen Absturz der Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht und ihr auserwählter Nachfolger an der Parteispitze, Fabio de Masi (l.) Foto: Tobias Schwarz/AFP

Vor knapp zwei Jahren hat sich Sahra Wagenknecht neu erfunden: Sie gründete eine Partei, die ihren Namen trug und auch sonst gänzlich auf sie zugeschnitten war. Es folgte ein bemerkenswerter Höhenflug – und ein tiefer Fall. Die Geschichte einer Ausnahmepolitikerin.

Sahra Wagenknecht zieht sich aus der ersten Reihe der Politik zurück. Mit Rückfahrticket im Erfolgsfall. So kann man die Ansage der BSW-Chefin am Montag in Berlin verstehen. Sie werde beim Bundesparteitag Anfang Dezember nicht erneut für den Parteivorsitz kandidieren und sich stattdessen als Vorsitzende einer neuen BSW-Grundwertekommission um die Schärfung des inhaltlichen Profils kümmern. Ihr Nachfolger an der BSW-Spitze soll der Europaabgeordnete Fabio de Masi werden. Sollte die Partei aber mit ihrem Einspruch zur Bundestagswahl Recht bekommen und doch ins Parlament einziehen, soll Wagenknecht Fraktionschefin werden. Es ist ein Rückzug auf Raten, der dem BSW gefährlich werden könnte.

Anfang Januar 2024 präsentierte Wagenknecht der Hauptstadtpresse ihre ehrgeizigen Ziele: Sie hatte eine auf ihre Person zugeschnittene Partei gegründet, das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Keinesfalls sollte es eine politische Eintagsfliege werden, sondern vielmehr eine ernst zu nehmende politische Kraft, die das deutsche Parteienspektrum grundlegend verändert. Seit über einem halben Jahr sitzt die einstige Ausnahmepolitikerin noch nicht einmal mehr im Bundestag – die 56-Jährige kämpft gegen die Bedeutungslosigkeit an.

Dabei hat die kühle Populistin zeitweise zu den beliebtesten Politikern Deutschlands gehört. Unter den Frauen in der Politik war sie sogar mal die mit Abstand populärste. In der Vergangenheit schaffte es die gebürtige Jenaerin, die mit ihrem Ehemann Oskar Lafontaine im Saarland lebt, sich immer wieder neu zu erfinden.

Die Tochter einer Deutschen und eines Iraners wuchs in Ostberlin bei ihrer Mutter auf. In jungen Jahren ging sie in die Politik, wurde bekannt als Frontfrau der „Kommunistischen Plattform“ der SED-Nachfolgepartei PDS, später zum Superstar der Linken und einem gern gesehenen Talkshow-Gast. Doch zunehmend entfremdete sie sich von ihrer Partei, schrieb das Buch „Die Selbstgerechten“ und kritisierte die „woke“ Ideologie einer hippen, gendernden Lifestyle-Linken. Gleichzeitig schlug sie migrationskritische Töne an. Die von ihr mitinitiierte Sammlungsbewegung „Aufstehen“ für neue linke Mehrheiten scheiterte, weil sie allerlei sonderbare Gestalten anzog, die politisch nicht mehr unter einen Hut zu bringen waren.

Parteichefin wollte keine Regierungsbeteiligung

Im Oktober 2023 trat sie schließlich mit neun weiteren Bundestagsabgeordneten aus der zerstrittenen Linken aus, um mit dem BSW einen Neuanfang zu wagen. Sie arbeiteten im Parlament als BSW-Gruppe weiter – die Brandmauer zur AfD lehnten sie ab.

Nach Vorstellung ihrer neuen Partei im Januar begann ein bemerkenswerter Höhenflug: Erst ein Achtungserfolg bei der Europawahl, dann feierte Wagenknecht große Wahlerfolge in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Die junge Partei war nach den Ost-Landtagswahlen Königsmacherin, also für Regierungsmehrheiten jenseits der AfD entscheidend. Doch ausgerechnet diese erfolgreichste Zeit brachte den ersten Zoff, der dem BSW zum Verhängnis wurde: Es begann ein öffentlicher Machtkampf zwischen Parteichefin Wagenknecht und der Thüringer BSW-Chefin Katja Wolf. Wolf war Wagenknecht von der Linken zum BSW gefolgt, doch auf Landesebene hatten sie unterschiedliche Interessen: Sie führte den Landesverband in Koalitionsverhandlungen mit CDU und SPD, die zur Regierungsbeteiligung in einer sogenannten Brombeerkoalition führte. Wagenknecht war das überhaupt nicht recht. Sie befürchtete, die Wähler würden es ihr übel nehmen, wenn sich die Partei – die alles anders machen wollte – bei der ersten Gelegenheit mit den politischen Gegnern zusammentut. Doch Wolf hatte das übergeordnete Ziel, die AfD mit Scharfmacher Björn Höcke von der Macht fernzuhalten. Der Kleinkrieg zwischen den beiden Frauen sollte noch über Monate weitergehen. Das BSW fiel erstmals seit Monaten in Umfragen unter die Fünf-Prozent-Marke.

Ungeahnter Höhenflug der Linken

Auch in Brandenburg bildete das BSW ein Regierungsbündnis mit der SPD – nachdem die Parteien sich auf eine Friedensformel einigten, in der festgehalten ist, dass beide Landesparteien eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland kritisch sehen. Auch diese Koalition wurde von Wagenknecht kritisch gesehen.

Das Ende der Ampel-Regierung und vorgezogene Neuwahlen kamen für das BSW zur Unzeit. Es fehlten noch Strukturen, ebenso wie genügend Mitglieder für die Wahllisten – und die Strahlkraft der Frontfrau ließ allmählich nach. Wagenknecht entschied sich, Kanzlerkandidatin zu werden, um mehr Sichtbarkeit zu erlangen. Angesichts von Umfragewerten um die fünf Prozent wirkte der Schritt bizarr. Das Thema Friedenspolitik, mit dem sie bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland gepunktet hatte, rückte in den Hintergrund, als in den USA der neue Präsident Donald Trump Frieden in der Ukraine zur Chefsache machte.

Als Ende Januar die oppositionelle Unionsfraktion zur Durchsetzung ihrer Anträge zur Migrationspolitik Stimmen der AfD in Kauf nahm, stimmten einem Antrag auch die BSW-Parlamentarier zu. Was Sahra Wagenknecht besonders ärgern dürfte: Diese Abstimmung bescherte ihrer früheren Partei, der Linken, einen ungeahnten Höhenflug, der bis heute andauert. Während das BSW aus dem Bundestag flog, landete die Linke bei 8,8 Prozent. Wagenknecht hatte zu hoch gepokert.